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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Goethes Briefe ans Italien.

und lustig genug schienen. Warnungen von dieser Seite klingen nach in jenen
uns am befremdlichsten scheinenden Stellen der italienischen Reise, wo von christ¬
lichen Stoffen als von abscheulichen, nie genug zu verurteilenden Gegenständen
gesprochen wird. Für den Deutschen kamen noch die neueren ästhetischen
Schriften in Betracht, die gerade auf Goethes Jugend gewirkt hatten. Diese
Schriftsteller, im protestantischen, knnstarmen Norden erzogen, waren unbekannt
mit großen Leistungen der neuen Kunst, waren mit ihren Beispielen auf die
Antike augewiesen, an die sie beim Mangel eigener Anschauung wenigstens von
der Literatur her anknüpfen konnten.

Das Interesse für antike Kunst war so von verschiedenen Seiten in einem
früher ungeahnten Maße wachgerufen. Goethen hatte es schon in der Heimat
erfaßt, darauf war er vorbereitet, der Betrachtung dieser Werke gab er sich
mit ganzer Seele hin.

Man darf nicht verlangen, daß er auch die Arbeit des geschichtliche"
Forschers hätte leisten sollen. Auf diese kam es aber für die ältere italienische
Kunst zunächst an, auf sie erst konnte die ästhetische Würdigung folgen. Es
mag paradox erscheinen, aber für die geschichtliche Forschung war Goethe zu
objektiv. Sie setzt eine subjektive Beweglichkeit voraus, die seinem Wesen, dem
es angemessen war, die Gegenstände ruhig an sich herankommen zu lassen, ihre
Reife abzuwarten, ewig fern lag.

Nichts ist bezeichnender für die einfache Folgerichtigkeit seiner Natur, als
sein Verhalten gegenüber der älteren italienischen Kunst. Er tritt ihr dort
nahe, wo wirklich der einzelne Künstler mit vollem Ernste die Antike studirt
hatte. Er ist der erste, der wieder den vollen Wert Mantegnas zu erkennen
vermag, jenes Künstlers, der sich an der Statue gebildet hatte, der in der
plastischen Durchführung feiner Kompositionen weiter ging, als irgend einer
seiner Zeitgenosse", zuweilen sogar zu weit für ihren malerischen Zusammenhang.
Unter den Architekten tritt ihm Palladio am nächsten, der eingehend, in mancher
Beziehung noch heute musterhaft, die römischen Bauwerke durchforscht hatte.
Sorgfältig und beifällig beachtet er, wie die unerschöpfliche Phantasie jenes geist¬
reichen Künstlers immer neue Auswege findet, den modernen Bedürfnissen die
alten Formen anzupassen. Italienische Medaillen sammelt er zu einer Zeit,
wo Künstler wie Pisancllv, die heute in aller Munde sind, kaum dem Namen
nach bekannt waren, weil ihm ihre Werke von den antiken Münzen her, die sie
nachzubilden versuchten, vertraulich waren. Man muß nicht verlangen, daß er
Mauern hätte einrennen sollen. Er trat freimütig ein, wo eine Thür offen stand.

Im ganzen übersehen, setzt es uns im Gegenteile in Erstaunen, wie breit
sein künstlerisches Interesse war: das Altertum von der ägyptischen Skulptur
an, für deren feine Naturbeobachtung ihn, sogleich das Auge aufgegangen war,
die griechische Kunst, deren Bedeutung er ahnt -- welche ausgebildete Empfäng¬
lichkeit setzt es voraus, aus einer schwächlichen Zeichnung sogleich den Wert der


Goethes Briefe ans Italien.

und lustig genug schienen. Warnungen von dieser Seite klingen nach in jenen
uns am befremdlichsten scheinenden Stellen der italienischen Reise, wo von christ¬
lichen Stoffen als von abscheulichen, nie genug zu verurteilenden Gegenständen
gesprochen wird. Für den Deutschen kamen noch die neueren ästhetischen
Schriften in Betracht, die gerade auf Goethes Jugend gewirkt hatten. Diese
Schriftsteller, im protestantischen, knnstarmen Norden erzogen, waren unbekannt
mit großen Leistungen der neuen Kunst, waren mit ihren Beispielen auf die
Antike augewiesen, an die sie beim Mangel eigener Anschauung wenigstens von
der Literatur her anknüpfen konnten.

Das Interesse für antike Kunst war so von verschiedenen Seiten in einem
früher ungeahnten Maße wachgerufen. Goethen hatte es schon in der Heimat
erfaßt, darauf war er vorbereitet, der Betrachtung dieser Werke gab er sich
mit ganzer Seele hin.

Man darf nicht verlangen, daß er auch die Arbeit des geschichtliche»
Forschers hätte leisten sollen. Auf diese kam es aber für die ältere italienische
Kunst zunächst an, auf sie erst konnte die ästhetische Würdigung folgen. Es
mag paradox erscheinen, aber für die geschichtliche Forschung war Goethe zu
objektiv. Sie setzt eine subjektive Beweglichkeit voraus, die seinem Wesen, dem
es angemessen war, die Gegenstände ruhig an sich herankommen zu lassen, ihre
Reife abzuwarten, ewig fern lag.

Nichts ist bezeichnender für die einfache Folgerichtigkeit seiner Natur, als
sein Verhalten gegenüber der älteren italienischen Kunst. Er tritt ihr dort
nahe, wo wirklich der einzelne Künstler mit vollem Ernste die Antike studirt
hatte. Er ist der erste, der wieder den vollen Wert Mantegnas zu erkennen
vermag, jenes Künstlers, der sich an der Statue gebildet hatte, der in der
plastischen Durchführung feiner Kompositionen weiter ging, als irgend einer
seiner Zeitgenosse», zuweilen sogar zu weit für ihren malerischen Zusammenhang.
Unter den Architekten tritt ihm Palladio am nächsten, der eingehend, in mancher
Beziehung noch heute musterhaft, die römischen Bauwerke durchforscht hatte.
Sorgfältig und beifällig beachtet er, wie die unerschöpfliche Phantasie jenes geist¬
reichen Künstlers immer neue Auswege findet, den modernen Bedürfnissen die
alten Formen anzupassen. Italienische Medaillen sammelt er zu einer Zeit,
wo Künstler wie Pisancllv, die heute in aller Munde sind, kaum dem Namen
nach bekannt waren, weil ihm ihre Werke von den antiken Münzen her, die sie
nachzubilden versuchten, vertraulich waren. Man muß nicht verlangen, daß er
Mauern hätte einrennen sollen. Er trat freimütig ein, wo eine Thür offen stand.

Im ganzen übersehen, setzt es uns im Gegenteile in Erstaunen, wie breit
sein künstlerisches Interesse war: das Altertum von der ägyptischen Skulptur
an, für deren feine Naturbeobachtung ihn, sogleich das Auge aufgegangen war,
die griechische Kunst, deren Bedeutung er ahnt — welche ausgebildete Empfäng¬
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[0340] Goethes Briefe ans Italien. und lustig genug schienen. Warnungen von dieser Seite klingen nach in jenen uns am befremdlichsten scheinenden Stellen der italienischen Reise, wo von christ¬ lichen Stoffen als von abscheulichen, nie genug zu verurteilenden Gegenständen gesprochen wird. Für den Deutschen kamen noch die neueren ästhetischen Schriften in Betracht, die gerade auf Goethes Jugend gewirkt hatten. Diese Schriftsteller, im protestantischen, knnstarmen Norden erzogen, waren unbekannt mit großen Leistungen der neuen Kunst, waren mit ihren Beispielen auf die Antike augewiesen, an die sie beim Mangel eigener Anschauung wenigstens von der Literatur her anknüpfen konnten. Das Interesse für antike Kunst war so von verschiedenen Seiten in einem früher ungeahnten Maße wachgerufen. Goethen hatte es schon in der Heimat erfaßt, darauf war er vorbereitet, der Betrachtung dieser Werke gab er sich mit ganzer Seele hin. Man darf nicht verlangen, daß er auch die Arbeit des geschichtliche» Forschers hätte leisten sollen. Auf diese kam es aber für die ältere italienische Kunst zunächst an, auf sie erst konnte die ästhetische Würdigung folgen. Es mag paradox erscheinen, aber für die geschichtliche Forschung war Goethe zu objektiv. Sie setzt eine subjektive Beweglichkeit voraus, die seinem Wesen, dem es angemessen war, die Gegenstände ruhig an sich herankommen zu lassen, ihre Reife abzuwarten, ewig fern lag. Nichts ist bezeichnender für die einfache Folgerichtigkeit seiner Natur, als sein Verhalten gegenüber der älteren italienischen Kunst. Er tritt ihr dort nahe, wo wirklich der einzelne Künstler mit vollem Ernste die Antike studirt hatte. Er ist der erste, der wieder den vollen Wert Mantegnas zu erkennen vermag, jenes Künstlers, der sich an der Statue gebildet hatte, der in der plastischen Durchführung feiner Kompositionen weiter ging, als irgend einer seiner Zeitgenosse», zuweilen sogar zu weit für ihren malerischen Zusammenhang. Unter den Architekten tritt ihm Palladio am nächsten, der eingehend, in mancher Beziehung noch heute musterhaft, die römischen Bauwerke durchforscht hatte. Sorgfältig und beifällig beachtet er, wie die unerschöpfliche Phantasie jenes geist¬ reichen Künstlers immer neue Auswege findet, den modernen Bedürfnissen die alten Formen anzupassen. Italienische Medaillen sammelt er zu einer Zeit, wo Künstler wie Pisancllv, die heute in aller Munde sind, kaum dem Namen nach bekannt waren, weil ihm ihre Werke von den antiken Münzen her, die sie nachzubilden versuchten, vertraulich waren. Man muß nicht verlangen, daß er Mauern hätte einrennen sollen. Er trat freimütig ein, wo eine Thür offen stand. Im ganzen übersehen, setzt es uns im Gegenteile in Erstaunen, wie breit sein künstlerisches Interesse war: das Altertum von der ägyptischen Skulptur an, für deren feine Naturbeobachtung ihn, sogleich das Auge aufgegangen war, die griechische Kunst, deren Bedeutung er ahnt — welche ausgebildete Empfäng¬ lichkeit setzt es voraus, aus einer schwächlichen Zeichnung sogleich den Wert der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/340>, abgerufen am 23.07.2024.