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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Goethes Lriefe aus Italien.

die er sich in quälenden Jugendtagen bestimmt glaubte. Eigne bildkünstlerische
Thätigkeit kommt in Italien erst später hinzu, mehr angeregt durch seinen Um¬
gang mit Künstlern, niemals als Selbstzweck, sondern nur um für Anschaue"
und Aufnehmen empfänglicher zu werden. "Ich will, sagt er, so lange ich hier
bin -- und das ist das eigentliche Programm seiner Reise die Augen auf¬
thun, bescheiden sehen und erwarten, was sich mir in der Seele bildet." "Wie
eine Flasche sich leicht füllt, die man oben offen unter das Wasser stößt, so
kann man hier leicht sich ausfülle", wenn man empfänglich und bereit ist."
"Ich bin fleißig -- sagt er ein andermal --, ich nehme von allen Seiten ein
und wachse von innen heraus." Italien hat er zum Ziele seiner Reise gewählt,
weil er hier in Natur und Kunst des Neuen am "leisten sehen kann; er. der
der Todfeind aller leeren Worte ist, will endlich, was ihm von früher Jugend
an in Texten und Kommentaren vom Altertume überliefert wurde, durch Auf¬
suchen der klassischen Gegenden, Ruinen und Kunstüberreste vor sich lebendig
machen. Er will seine Seele erweitern und reinigen, ihr zunächst den "höchsten
anschauenden Begriff von Natur und Kunst" geben. "Ich will nicht mehr
ruhen, bis mir nichts mehr Wort und Tradition, sondern lebendiger Begriff
ist." Nichts wäre vergeblicher, als wenn man um Goethes Aufenthalt in Italien
eine Darstellung der damaligen Zustände der Gesellschaft, der Wissenschaft,
überhaupt der höhern Kultur des Landes gruppiren wollte; nicht auf das gegen¬
wärtige, "auf das Rom, das alle zehn Jahre wechselt," sondern auf das Blei¬
bende in Natur und Kunst kam es ihm an.

Man hat es Goethe oft zum Vorwürfe gemacht, daß er für gewisse Zeiten
der italienischen Kunst keinen Sinn und kein Auge hatte; gewichtige Stimmen
wie die Niebuhrs hielten mit ihrem Tadel nicht zurück. Die bildende Kunst
nahm in jener Zeit eine eigentümliche Stellung ein. Ein sonderbarer Umschwung
bereitet sich vor oder hat sich schou halb vollzöge". Die Kunst lag im Sterben,
und überall standen Literaten, die ihr erhebende Totengebete vorsprachen. Das
Geschlecht der großen Freskomaler, das durch Jahrhunderte hindurch die römischen
Kirchen und Paläste mit rauschenden Darstellungen geschmückt hatte, war ab¬
gestorben und versprach keine neuen Schößlinge mehr. Die letzten dieser Arbeiten
hatte schon schlecht und recht ein zugewanderter Deutscher ausgeführt. Die
Kunst hatte keinen utütterlichen Boden mehr. Die Zeit reifte heran, in der
ein Däne in Rom unter dem Beifall Deutschlands griechische Skulptur nach¬
ahmte. Soll man es beklagen oder belächeln, daß es hente noch Bildungs¬
schichten giebt, in welchen dieses Ereignis als eine Blüte der Kunst ge¬
priesen wird?

Nichts ist inniger mit dem Boden verwachsen, nichts so fein mit unsicht¬
baren Fäden an das innerste Wesen eines Volkes geknüpft als seine bildende Kunst,
das Wiederspiel seiner Sprache. Wie ein Volk in diese sein Empfinden, die ganze
weite Erfahrung seiner Kinderjahre legt, so ist jene das Abbild dessen, was es mit


Goethes Lriefe aus Italien.

die er sich in quälenden Jugendtagen bestimmt glaubte. Eigne bildkünstlerische
Thätigkeit kommt in Italien erst später hinzu, mehr angeregt durch seinen Um¬
gang mit Künstlern, niemals als Selbstzweck, sondern nur um für Anschaue»
und Aufnehmen empfänglicher zu werden. „Ich will, sagt er, so lange ich hier
bin — und das ist das eigentliche Programm seiner Reise die Augen auf¬
thun, bescheiden sehen und erwarten, was sich mir in der Seele bildet." „Wie
eine Flasche sich leicht füllt, die man oben offen unter das Wasser stößt, so
kann man hier leicht sich ausfülle», wenn man empfänglich und bereit ist."
„Ich bin fleißig — sagt er ein andermal —, ich nehme von allen Seiten ein
und wachse von innen heraus." Italien hat er zum Ziele seiner Reise gewählt,
weil er hier in Natur und Kunst des Neuen am »leisten sehen kann; er. der
der Todfeind aller leeren Worte ist, will endlich, was ihm von früher Jugend
an in Texten und Kommentaren vom Altertume überliefert wurde, durch Auf¬
suchen der klassischen Gegenden, Ruinen und Kunstüberreste vor sich lebendig
machen. Er will seine Seele erweitern und reinigen, ihr zunächst den „höchsten
anschauenden Begriff von Natur und Kunst" geben. „Ich will nicht mehr
ruhen, bis mir nichts mehr Wort und Tradition, sondern lebendiger Begriff
ist." Nichts wäre vergeblicher, als wenn man um Goethes Aufenthalt in Italien
eine Darstellung der damaligen Zustände der Gesellschaft, der Wissenschaft,
überhaupt der höhern Kultur des Landes gruppiren wollte; nicht auf das gegen¬
wärtige, „auf das Rom, das alle zehn Jahre wechselt," sondern auf das Blei¬
bende in Natur und Kunst kam es ihm an.

Man hat es Goethe oft zum Vorwürfe gemacht, daß er für gewisse Zeiten
der italienischen Kunst keinen Sinn und kein Auge hatte; gewichtige Stimmen
wie die Niebuhrs hielten mit ihrem Tadel nicht zurück. Die bildende Kunst
nahm in jener Zeit eine eigentümliche Stellung ein. Ein sonderbarer Umschwung
bereitet sich vor oder hat sich schou halb vollzöge». Die Kunst lag im Sterben,
und überall standen Literaten, die ihr erhebende Totengebete vorsprachen. Das
Geschlecht der großen Freskomaler, das durch Jahrhunderte hindurch die römischen
Kirchen und Paläste mit rauschenden Darstellungen geschmückt hatte, war ab¬
gestorben und versprach keine neuen Schößlinge mehr. Die letzten dieser Arbeiten
hatte schon schlecht und recht ein zugewanderter Deutscher ausgeführt. Die
Kunst hatte keinen utütterlichen Boden mehr. Die Zeit reifte heran, in der
ein Däne in Rom unter dem Beifall Deutschlands griechische Skulptur nach¬
ahmte. Soll man es beklagen oder belächeln, daß es hente noch Bildungs¬
schichten giebt, in welchen dieses Ereignis als eine Blüte der Kunst ge¬
priesen wird?

Nichts ist inniger mit dem Boden verwachsen, nichts so fein mit unsicht¬
baren Fäden an das innerste Wesen eines Volkes geknüpft als seine bildende Kunst,
das Wiederspiel seiner Sprache. Wie ein Volk in diese sein Empfinden, die ganze
weite Erfahrung seiner Kinderjahre legt, so ist jene das Abbild dessen, was es mit


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[0338] Goethes Lriefe aus Italien. die er sich in quälenden Jugendtagen bestimmt glaubte. Eigne bildkünstlerische Thätigkeit kommt in Italien erst später hinzu, mehr angeregt durch seinen Um¬ gang mit Künstlern, niemals als Selbstzweck, sondern nur um für Anschaue» und Aufnehmen empfänglicher zu werden. „Ich will, sagt er, so lange ich hier bin — und das ist das eigentliche Programm seiner Reise die Augen auf¬ thun, bescheiden sehen und erwarten, was sich mir in der Seele bildet." „Wie eine Flasche sich leicht füllt, die man oben offen unter das Wasser stößt, so kann man hier leicht sich ausfülle», wenn man empfänglich und bereit ist." „Ich bin fleißig — sagt er ein andermal —, ich nehme von allen Seiten ein und wachse von innen heraus." Italien hat er zum Ziele seiner Reise gewählt, weil er hier in Natur und Kunst des Neuen am »leisten sehen kann; er. der der Todfeind aller leeren Worte ist, will endlich, was ihm von früher Jugend an in Texten und Kommentaren vom Altertume überliefert wurde, durch Auf¬ suchen der klassischen Gegenden, Ruinen und Kunstüberreste vor sich lebendig machen. Er will seine Seele erweitern und reinigen, ihr zunächst den „höchsten anschauenden Begriff von Natur und Kunst" geben. „Ich will nicht mehr ruhen, bis mir nichts mehr Wort und Tradition, sondern lebendiger Begriff ist." Nichts wäre vergeblicher, als wenn man um Goethes Aufenthalt in Italien eine Darstellung der damaligen Zustände der Gesellschaft, der Wissenschaft, überhaupt der höhern Kultur des Landes gruppiren wollte; nicht auf das gegen¬ wärtige, „auf das Rom, das alle zehn Jahre wechselt," sondern auf das Blei¬ bende in Natur und Kunst kam es ihm an. Man hat es Goethe oft zum Vorwürfe gemacht, daß er für gewisse Zeiten der italienischen Kunst keinen Sinn und kein Auge hatte; gewichtige Stimmen wie die Niebuhrs hielten mit ihrem Tadel nicht zurück. Die bildende Kunst nahm in jener Zeit eine eigentümliche Stellung ein. Ein sonderbarer Umschwung bereitet sich vor oder hat sich schou halb vollzöge». Die Kunst lag im Sterben, und überall standen Literaten, die ihr erhebende Totengebete vorsprachen. Das Geschlecht der großen Freskomaler, das durch Jahrhunderte hindurch die römischen Kirchen und Paläste mit rauschenden Darstellungen geschmückt hatte, war ab¬ gestorben und versprach keine neuen Schößlinge mehr. Die letzten dieser Arbeiten hatte schon schlecht und recht ein zugewanderter Deutscher ausgeführt. Die Kunst hatte keinen utütterlichen Boden mehr. Die Zeit reifte heran, in der ein Däne in Rom unter dem Beifall Deutschlands griechische Skulptur nach¬ ahmte. Soll man es beklagen oder belächeln, daß es hente noch Bildungs¬ schichten giebt, in welchen dieses Ereignis als eine Blüte der Kunst ge¬ priesen wird? Nichts ist inniger mit dem Boden verwachsen, nichts so fein mit unsicht¬ baren Fäden an das innerste Wesen eines Volkes geknüpft als seine bildende Kunst, das Wiederspiel seiner Sprache. Wie ein Volk in diese sein Empfinden, die ganze weite Erfahrung seiner Kinderjahre legt, so ist jene das Abbild dessen, was es mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/338>, abgerufen am 25.08.2024.