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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Der deutsche Volkscharakter und seine Wandlungen.

trachtuugsweise geltend blieb. Den spätern Gedanken der Menschenrechte oder
der allgemeinen Staatsbürgerschaft wird man mit mehr Mühe an die aristo¬
kratischen Republiken des Altertums anknttpfeu, als aus dem Trieb der ge¬
rechteren und milderen germanisch-deutschen Betrachtungsweise emporgesprossen
glauben.

In demselben Kreise der Billigkeit und Gerechtigkeit, die dem andern dasselbe
Recht zugesteht, das man für sich selbst in Anspruch nimmt, wurzelt das ehren¬
hafte Verfahren gegen den Feind, das Verschmähen von List und Vorteil, das
wir seit den Cimbern immer wieder beobachtet sehen. Es hängt zusammen mit
der nationalen Auffassung des Kampfes als eines Gottesurteils, das; der
Stärkere ist, wer Recht hat. Denn der Germane überhaupt und auch der
Deutsche sann nicht wie der Römer auf die Vernichtung und Auslöschung des
Feindes um jeden Preis; wie einst die Cimbern oder Ariovist Tag und Art
der Schlacht ausgemacht haben wollten, so hält es noch der Ritter und der
Landsknecht für Pflicht der Ehrenhaftigkeit, den Kampf mit gleichem Vorteil zu
gewähren. Deutsche Art hatte es wohl stets verschmäht, uuter dem fliehenden
Feinde das Eis zu zerschießen oder Verwundete und Gefangene schlecht zu be¬
handeln.

Diese gerechte, fast wohlwollende Behandlung des Feindes -- man halte
etwa den Waltharius gegen den Achilleus in seinem Verhalten zum Hektor --
vertrüge sich recht gut mit der uralten Tapferkeit und Kampflust, deren Preis
den Deutschen kein Jahrhundert bestritt. Lange Jahrhunderte galt der Kampf
den Deutschen als würdigste Übung und Bethätigung männlicher Kraft. Dem
Germanen der Völkerwanderung war es gleichgiltig, für wen es zum Vorteil
gereiche, bis zum gedankenlosesten Landskncchtstum im Dienste der berechnenden
Feinde feines Volkes; dieselbe Freude an Kampf und Abenteuer um seiner selbst
willen ist das Element des Ritters und das Geschäft des Landsknechtes. Und
wenn auch friedlichere Zeiten die Gelegenheit seltener gemacht haben, in denen
sich die alte Wahrhaftigkeit und Kampfcsfrende als unvcrlorues Erbe beweist,
so ist doch noch dem Bauernburschen der Gegenwart das Raufen mehr Ver¬
gnügen als Körperverletzung, und auf den Universitäten hat sich ein Nest der
Freude an Kampf und Blut erhalten.

In einem gewissen innern Zusammenhange mit jenem Zuge der Gerechtigkeit
und Billigkeit, der die Selbstschcitzuug begleitet, steht wohl auch der Grundzug
der Bedenklichkeit und Vedachtsamteit, der Scheu, fremdes Recht zu verletzen,
der sich so oft zeigt, aber freilich sehr verschieden in den einzelnen Zeiten, und
eigentlich erst großgezogen in Zeiten nationaler Schwäche. Deshalb sei er an
dieser Stelle nur nicht übergangen. (Fortsetzung folgt.)




Grenzboten III. 1887.4
Der deutsche Volkscharakter und seine Wandlungen.

trachtuugsweise geltend blieb. Den spätern Gedanken der Menschenrechte oder
der allgemeinen Staatsbürgerschaft wird man mit mehr Mühe an die aristo¬
kratischen Republiken des Altertums anknttpfeu, als aus dem Trieb der ge¬
rechteren und milderen germanisch-deutschen Betrachtungsweise emporgesprossen
glauben.

In demselben Kreise der Billigkeit und Gerechtigkeit, die dem andern dasselbe
Recht zugesteht, das man für sich selbst in Anspruch nimmt, wurzelt das ehren¬
hafte Verfahren gegen den Feind, das Verschmähen von List und Vorteil, das
wir seit den Cimbern immer wieder beobachtet sehen. Es hängt zusammen mit
der nationalen Auffassung des Kampfes als eines Gottesurteils, das; der
Stärkere ist, wer Recht hat. Denn der Germane überhaupt und auch der
Deutsche sann nicht wie der Römer auf die Vernichtung und Auslöschung des
Feindes um jeden Preis; wie einst die Cimbern oder Ariovist Tag und Art
der Schlacht ausgemacht haben wollten, so hält es noch der Ritter und der
Landsknecht für Pflicht der Ehrenhaftigkeit, den Kampf mit gleichem Vorteil zu
gewähren. Deutsche Art hatte es wohl stets verschmäht, uuter dem fliehenden
Feinde das Eis zu zerschießen oder Verwundete und Gefangene schlecht zu be¬
handeln.

Diese gerechte, fast wohlwollende Behandlung des Feindes — man halte
etwa den Waltharius gegen den Achilleus in seinem Verhalten zum Hektor —
vertrüge sich recht gut mit der uralten Tapferkeit und Kampflust, deren Preis
den Deutschen kein Jahrhundert bestritt. Lange Jahrhunderte galt der Kampf
den Deutschen als würdigste Übung und Bethätigung männlicher Kraft. Dem
Germanen der Völkerwanderung war es gleichgiltig, für wen es zum Vorteil
gereiche, bis zum gedankenlosesten Landskncchtstum im Dienste der berechnenden
Feinde feines Volkes; dieselbe Freude an Kampf und Abenteuer um seiner selbst
willen ist das Element des Ritters und das Geschäft des Landsknechtes. Und
wenn auch friedlichere Zeiten die Gelegenheit seltener gemacht haben, in denen
sich die alte Wahrhaftigkeit und Kampfcsfrende als unvcrlorues Erbe beweist,
so ist doch noch dem Bauernburschen der Gegenwart das Raufen mehr Ver¬
gnügen als Körperverletzung, und auf den Universitäten hat sich ein Nest der
Freude an Kampf und Blut erhalten.

In einem gewissen innern Zusammenhange mit jenem Zuge der Gerechtigkeit
und Billigkeit, der die Selbstschcitzuug begleitet, steht wohl auch der Grundzug
der Bedenklichkeit und Vedachtsamteit, der Scheu, fremdes Recht zu verletzen,
der sich so oft zeigt, aber freilich sehr verschieden in den einzelnen Zeiten, und
eigentlich erst großgezogen in Zeiten nationaler Schwäche. Deshalb sei er an
dieser Stelle nur nicht übergangen. (Fortsetzung folgt.)




Grenzboten III. 1887.4
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[0033] Der deutsche Volkscharakter und seine Wandlungen. trachtuugsweise geltend blieb. Den spätern Gedanken der Menschenrechte oder der allgemeinen Staatsbürgerschaft wird man mit mehr Mühe an die aristo¬ kratischen Republiken des Altertums anknttpfeu, als aus dem Trieb der ge¬ rechteren und milderen germanisch-deutschen Betrachtungsweise emporgesprossen glauben. In demselben Kreise der Billigkeit und Gerechtigkeit, die dem andern dasselbe Recht zugesteht, das man für sich selbst in Anspruch nimmt, wurzelt das ehren¬ hafte Verfahren gegen den Feind, das Verschmähen von List und Vorteil, das wir seit den Cimbern immer wieder beobachtet sehen. Es hängt zusammen mit der nationalen Auffassung des Kampfes als eines Gottesurteils, das; der Stärkere ist, wer Recht hat. Denn der Germane überhaupt und auch der Deutsche sann nicht wie der Römer auf die Vernichtung und Auslöschung des Feindes um jeden Preis; wie einst die Cimbern oder Ariovist Tag und Art der Schlacht ausgemacht haben wollten, so hält es noch der Ritter und der Landsknecht für Pflicht der Ehrenhaftigkeit, den Kampf mit gleichem Vorteil zu gewähren. Deutsche Art hatte es wohl stets verschmäht, uuter dem fliehenden Feinde das Eis zu zerschießen oder Verwundete und Gefangene schlecht zu be¬ handeln. Diese gerechte, fast wohlwollende Behandlung des Feindes — man halte etwa den Waltharius gegen den Achilleus in seinem Verhalten zum Hektor — vertrüge sich recht gut mit der uralten Tapferkeit und Kampflust, deren Preis den Deutschen kein Jahrhundert bestritt. Lange Jahrhunderte galt der Kampf den Deutschen als würdigste Übung und Bethätigung männlicher Kraft. Dem Germanen der Völkerwanderung war es gleichgiltig, für wen es zum Vorteil gereiche, bis zum gedankenlosesten Landskncchtstum im Dienste der berechnenden Feinde feines Volkes; dieselbe Freude an Kampf und Abenteuer um seiner selbst willen ist das Element des Ritters und das Geschäft des Landsknechtes. Und wenn auch friedlichere Zeiten die Gelegenheit seltener gemacht haben, in denen sich die alte Wahrhaftigkeit und Kampfcsfrende als unvcrlorues Erbe beweist, so ist doch noch dem Bauernburschen der Gegenwart das Raufen mehr Ver¬ gnügen als Körperverletzung, und auf den Universitäten hat sich ein Nest der Freude an Kampf und Blut erhalten. In einem gewissen innern Zusammenhange mit jenem Zuge der Gerechtigkeit und Billigkeit, der die Selbstschcitzuug begleitet, steht wohl auch der Grundzug der Bedenklichkeit und Vedachtsamteit, der Scheu, fremdes Recht zu verletzen, der sich so oft zeigt, aber freilich sehr verschieden in den einzelnen Zeiten, und eigentlich erst großgezogen in Zeiten nationaler Schwäche. Deshalb sei er an dieser Stelle nur nicht übergangen. (Fortsetzung folgt.) Grenzboten III. 1887.4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/33>, abgerufen am 23.07.2024.