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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Der deutsche volkscharatter und seine Wandlungen.

Dienstesauszeichnuugen dem deutschen Sinne wert geblieben ist, und die Em¬
pfindlichkeit, wenn er sich übersehen vorkommt und zurückgesetzt fühlt. Wohl
darf man in dieser hochgespannter Geltung der Persönlichkeit einen nationalen
Gegensatz sehen zu der theokratischen Gesetzlichkeit des Hebräers, zu der knech¬
tischen Unterwürfigkeit der sonstigen Orientalen gegen die als Götter betrach¬
teten Herrscher, zu dem ausblickenden Gehorsam des Griechen und noch mehr
des Römers gegen seinen Staat und die Götter, die dieser verehrt und
durch Opfer geneigt zu halten zwingt, und gegen die Hoheit der unpersönlichen
Gesetze des Gemeinwesens. Die Freiheitsliebe jener Urzeit, die nnr die lockerste
Form staatsähnlichen Zusammenhaltes ertragen machte und sich kaum vorüber¬
gehend durch gemeinsame Gefahr zu gemeinsamem Handeln gezwungen fand,
spricht noch immerfort in der deutschen Vorliebe für Staatsformen, die den
Einzelnen und lokalen Vereinigungen recht viel Spielraum gewähren; sie lockt
den Bauern, dem Beamten und Steuern immer unheimlich sind, dahin, wo er
von beiden nichts mehr zu sehen erwartet. Die Überspannung des antiken
Staatsbegriffes ist dem deutschen Charakter völlig unfaßbar.

Die Betonung der Persönlichkeit und ihres Rechtes führt von selbst dazu,
auch ander" dasselbe zuzugestehen, zur Rechtlichkeit und Billigkeit, die man
stets als deutsche Tugenden gepriesen und damit auch zur Forderung nationaler
Sittlichkeit gemacht hat. Ju dieser Abkehr von dem verhärteten Egoismus
p'egt eine Erweichung des Gemütes -- das Wort ist nicht ohne tiefsten Grund
eigentlich uuübersetzbar. Stets hat mau diese Eigentümlichkeit waltend gefunden
in dem deutschen Verhältnis der Geschlechter, in der Verehrung der Frauen,
wie sie schon dem Taeitus auffiel. Ein scharfer Unterschied gegen orientalische
Haremswirtschaft, die das Weib nur als Lustwerkzcug oder als kluge Ränke-
spinnerin achtet, oder gegen die griechische und römische Auffassung, die
sie in erster Reihe als Mutter rechtmäßiger Kinder hochstellt, im übrigen
aber kaum den Anspruch auf wechselseitige Treue einräumt, eine Folge der
vou jeher bestehenden Sklaverei. Um entsprechende Kulturstufen zu ver¬
gleichen, übergehen wir die Thusnelda und Velleda und die Stellung der
Frau im Rechte und stellen die Briseis und den Achilleus und Agcunemnon
oder Odysseus und Circe und Penelope gegen unsre nationale Gudrun und
Kriemhilde. Erst diese Erhebung der Frau zur gleichgeltenden und gleich¬
begabten Gefährtin des Mannes hat die Form der Monogamie geadelt und der
Geschlechtsliebe höhern Wert für die Empfindung und Aufnahme in die nordische
Dichtung verschafft, aber uicht etwa wegen, sondern trotz des Christentums in
seiner thatsächlichen Ausgestaltung. Im Gegenteil wäre die Verehrung der
Jungfrau Maria im Zusammenhange mit dem ritterlichen Franenkultus eine
unerklärliche Laune, wenn sie nicht aus dieser Wurzel deutscher und als ger¬
manischer verpflanzter Grundanschauung aufgeschossen wäre. Daß auch jetzt
noch etwa gegenüber Romanen und Slawen ein Unterschied in dieser Hinsicht


Der deutsche volkscharatter und seine Wandlungen.

Dienstesauszeichnuugen dem deutschen Sinne wert geblieben ist, und die Em¬
pfindlichkeit, wenn er sich übersehen vorkommt und zurückgesetzt fühlt. Wohl
darf man in dieser hochgespannter Geltung der Persönlichkeit einen nationalen
Gegensatz sehen zu der theokratischen Gesetzlichkeit des Hebräers, zu der knech¬
tischen Unterwürfigkeit der sonstigen Orientalen gegen die als Götter betrach¬
teten Herrscher, zu dem ausblickenden Gehorsam des Griechen und noch mehr
des Römers gegen seinen Staat und die Götter, die dieser verehrt und
durch Opfer geneigt zu halten zwingt, und gegen die Hoheit der unpersönlichen
Gesetze des Gemeinwesens. Die Freiheitsliebe jener Urzeit, die nnr die lockerste
Form staatsähnlichen Zusammenhaltes ertragen machte und sich kaum vorüber¬
gehend durch gemeinsame Gefahr zu gemeinsamem Handeln gezwungen fand,
spricht noch immerfort in der deutschen Vorliebe für Staatsformen, die den
Einzelnen und lokalen Vereinigungen recht viel Spielraum gewähren; sie lockt
den Bauern, dem Beamten und Steuern immer unheimlich sind, dahin, wo er
von beiden nichts mehr zu sehen erwartet. Die Überspannung des antiken
Staatsbegriffes ist dem deutschen Charakter völlig unfaßbar.

Die Betonung der Persönlichkeit und ihres Rechtes führt von selbst dazu,
auch ander» dasselbe zuzugestehen, zur Rechtlichkeit und Billigkeit, die man
stets als deutsche Tugenden gepriesen und damit auch zur Forderung nationaler
Sittlichkeit gemacht hat. Ju dieser Abkehr von dem verhärteten Egoismus
p'egt eine Erweichung des Gemütes — das Wort ist nicht ohne tiefsten Grund
eigentlich uuübersetzbar. Stets hat mau diese Eigentümlichkeit waltend gefunden
in dem deutschen Verhältnis der Geschlechter, in der Verehrung der Frauen,
wie sie schon dem Taeitus auffiel. Ein scharfer Unterschied gegen orientalische
Haremswirtschaft, die das Weib nur als Lustwerkzcug oder als kluge Ränke-
spinnerin achtet, oder gegen die griechische und römische Auffassung, die
sie in erster Reihe als Mutter rechtmäßiger Kinder hochstellt, im übrigen
aber kaum den Anspruch auf wechselseitige Treue einräumt, eine Folge der
vou jeher bestehenden Sklaverei. Um entsprechende Kulturstufen zu ver¬
gleichen, übergehen wir die Thusnelda und Velleda und die Stellung der
Frau im Rechte und stellen die Briseis und den Achilleus und Agcunemnon
oder Odysseus und Circe und Penelope gegen unsre nationale Gudrun und
Kriemhilde. Erst diese Erhebung der Frau zur gleichgeltenden und gleich¬
begabten Gefährtin des Mannes hat die Form der Monogamie geadelt und der
Geschlechtsliebe höhern Wert für die Empfindung und Aufnahme in die nordische
Dichtung verschafft, aber uicht etwa wegen, sondern trotz des Christentums in
seiner thatsächlichen Ausgestaltung. Im Gegenteil wäre die Verehrung der
Jungfrau Maria im Zusammenhange mit dem ritterlichen Franenkultus eine
unerklärliche Laune, wenn sie nicht aus dieser Wurzel deutscher und als ger¬
manischer verpflanzter Grundanschauung aufgeschossen wäre. Daß auch jetzt
noch etwa gegenüber Romanen und Slawen ein Unterschied in dieser Hinsicht


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[0031] Der deutsche volkscharatter und seine Wandlungen. Dienstesauszeichnuugen dem deutschen Sinne wert geblieben ist, und die Em¬ pfindlichkeit, wenn er sich übersehen vorkommt und zurückgesetzt fühlt. Wohl darf man in dieser hochgespannter Geltung der Persönlichkeit einen nationalen Gegensatz sehen zu der theokratischen Gesetzlichkeit des Hebräers, zu der knech¬ tischen Unterwürfigkeit der sonstigen Orientalen gegen die als Götter betrach¬ teten Herrscher, zu dem ausblickenden Gehorsam des Griechen und noch mehr des Römers gegen seinen Staat und die Götter, die dieser verehrt und durch Opfer geneigt zu halten zwingt, und gegen die Hoheit der unpersönlichen Gesetze des Gemeinwesens. Die Freiheitsliebe jener Urzeit, die nnr die lockerste Form staatsähnlichen Zusammenhaltes ertragen machte und sich kaum vorüber¬ gehend durch gemeinsame Gefahr zu gemeinsamem Handeln gezwungen fand, spricht noch immerfort in der deutschen Vorliebe für Staatsformen, die den Einzelnen und lokalen Vereinigungen recht viel Spielraum gewähren; sie lockt den Bauern, dem Beamten und Steuern immer unheimlich sind, dahin, wo er von beiden nichts mehr zu sehen erwartet. Die Überspannung des antiken Staatsbegriffes ist dem deutschen Charakter völlig unfaßbar. Die Betonung der Persönlichkeit und ihres Rechtes führt von selbst dazu, auch ander» dasselbe zuzugestehen, zur Rechtlichkeit und Billigkeit, die man stets als deutsche Tugenden gepriesen und damit auch zur Forderung nationaler Sittlichkeit gemacht hat. Ju dieser Abkehr von dem verhärteten Egoismus p'egt eine Erweichung des Gemütes — das Wort ist nicht ohne tiefsten Grund eigentlich uuübersetzbar. Stets hat mau diese Eigentümlichkeit waltend gefunden in dem deutschen Verhältnis der Geschlechter, in der Verehrung der Frauen, wie sie schon dem Taeitus auffiel. Ein scharfer Unterschied gegen orientalische Haremswirtschaft, die das Weib nur als Lustwerkzcug oder als kluge Ränke- spinnerin achtet, oder gegen die griechische und römische Auffassung, die sie in erster Reihe als Mutter rechtmäßiger Kinder hochstellt, im übrigen aber kaum den Anspruch auf wechselseitige Treue einräumt, eine Folge der vou jeher bestehenden Sklaverei. Um entsprechende Kulturstufen zu ver¬ gleichen, übergehen wir die Thusnelda und Velleda und die Stellung der Frau im Rechte und stellen die Briseis und den Achilleus und Agcunemnon oder Odysseus und Circe und Penelope gegen unsre nationale Gudrun und Kriemhilde. Erst diese Erhebung der Frau zur gleichgeltenden und gleich¬ begabten Gefährtin des Mannes hat die Form der Monogamie geadelt und der Geschlechtsliebe höhern Wert für die Empfindung und Aufnahme in die nordische Dichtung verschafft, aber uicht etwa wegen, sondern trotz des Christentums in seiner thatsächlichen Ausgestaltung. Im Gegenteil wäre die Verehrung der Jungfrau Maria im Zusammenhange mit dem ritterlichen Franenkultus eine unerklärliche Laune, wenn sie nicht aus dieser Wurzel deutscher und als ger¬ manischer verpflanzter Grundanschauung aufgeschossen wäre. Daß auch jetzt noch etwa gegenüber Romanen und Slawen ein Unterschied in dieser Hinsicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/31>, abgerufen am 25.08.2024.