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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Der Wucher auf dem Lande.

Um nicht bei diesen allgemeineren Bemerkungen in lauter trüben Vor¬
stellungen stecken zu bleiben, füge ich hinzu, daß sämtliche Berichte versichern,
der Wucher sei zwar zum Teil noch schlimm, nehme aber ersichtlich ab; besonders
habe die neue Fassung des Wucherparagraphen im deutschen Strafgesetzbuch
vom 24. Mai 1880 (Z 302 a u. f.) die Wucherer geschreckt und manches Gute,
freilich neben Umgehuugskünsten, bewirkt. Nach dem Bericht über Braunschweig
scheint es dort in Bezug auf die Gegenwart sogar glänzend zu stehen. Es
verdiente eine besondre Untersuchung, wodurch die ausgezeichnete Lage dieses
Ländchens in Bezug auf Wucher sich erklären mag. Aber es ist erfreulich, daß
die Abnahme des Wuchers in deutschen Landen im allgemeinen nicht zu be¬
streikn ist. Freilich treten, wenn sich gegen die optimistischen Ansichten guter
Menschen irgendwo ein Verein gegen den Wucher bildet, auch zahlreiche üble
Fälle an den Tag, die früher niemand kannte. Aber das allgemeine Ergebnis
einer allmählichen Besserung der Lage wird dadurch nicht wieder zweifelhaft
gemacht. Wir dürfen uus daran halten, denn ich spreche das Wort "allmählich,"
wenn ich vou einer Besserung allgemeiner Verhältnisse spreche, mit solcher nach¬
drücklichen Betonung aus, daß uns die Thatsache, deren wir uns freuen, Wohl
ermutigen, aber nie in unserm Streben lähmen und schlaff machen kann.

Es wird aber gut sein, wenn wir in die Wucherfälle einen Blick thun.
Beginnen wir mit einem badischen Wucherer, Salomon Kaufmann, einem Juden
aus Mannheim, der endlich außer zu einer Geldstrafe von 8000 Mark zu einer
Gefängnisstrafe von 8^ Jahren verurteilt wurde. Dieser galt nach den Akten
schon seit Jahren als einer der schlimmsten Wucherer der Bergstraße und der
Pfalz; die Aussagen von zweihundert meist bäuerlichen Schuldnern entrollen ein
geradzu haearsträubendes Bild von dem Treiben dieses Mannes. Er hat einen
scharfen Verstand, erstaunliches Gedächtnis und rechnerische und hcmdelsmcinnische
Begabung, ist ohne Mitleid, ja brutal in der Behandlung seiner Opfer. Wen
er gefaßt hat, den hält er umklammert, so lange dieser eine Mark Geldes, eine
Scholle Landes sein eigen nennt. Schon in der ersten Urkunde Schürze er die
Schlinge, die er dem Opfer später um den Hals werfen will. Als Objekte
seiner Thätigkeit sucht er sich namentlich Landleute aus von geringer Einsicht
und großer Unwissenheit, von einigem Vermögen und Unerfcchrenheit in Geld¬
geschäften. Die Bauern unterschrieben die von ihm gefertigten Urkunden in der
Regel ohne Prüfung, teils in gutem Glauben, teils weil der Wucherer eilig
that und drängte, teils weil sie überhaupt nicht lesen konnten, oder doch das
Geschreibsel des Wucherers nicht, der unleserlich schrieb und einen eigentümlichen
Urkundenjargon erfunden hatte. Hauptsächlich liebte er die Einschmuggelung
höherer als der vereinbarten Schuldsummen, ferner von Zinsen, wo diese schon
in der Provision vorausbezahlt waren, und die Vermehrung der Provisionen
dadurch, daß ihr Prozentsatz statt auf ein Jahr auf ein Vierteljahr eingestellt
wurde. Wurden Termine bewilligt, so hieß der Beisatz häufig, "wenn ein Ziel


Der Wucher auf dem Lande.

Um nicht bei diesen allgemeineren Bemerkungen in lauter trüben Vor¬
stellungen stecken zu bleiben, füge ich hinzu, daß sämtliche Berichte versichern,
der Wucher sei zwar zum Teil noch schlimm, nehme aber ersichtlich ab; besonders
habe die neue Fassung des Wucherparagraphen im deutschen Strafgesetzbuch
vom 24. Mai 1880 (Z 302 a u. f.) die Wucherer geschreckt und manches Gute,
freilich neben Umgehuugskünsten, bewirkt. Nach dem Bericht über Braunschweig
scheint es dort in Bezug auf die Gegenwart sogar glänzend zu stehen. Es
verdiente eine besondre Untersuchung, wodurch die ausgezeichnete Lage dieses
Ländchens in Bezug auf Wucher sich erklären mag. Aber es ist erfreulich, daß
die Abnahme des Wuchers in deutschen Landen im allgemeinen nicht zu be¬
streikn ist. Freilich treten, wenn sich gegen die optimistischen Ansichten guter
Menschen irgendwo ein Verein gegen den Wucher bildet, auch zahlreiche üble
Fälle an den Tag, die früher niemand kannte. Aber das allgemeine Ergebnis
einer allmählichen Besserung der Lage wird dadurch nicht wieder zweifelhaft
gemacht. Wir dürfen uus daran halten, denn ich spreche das Wort „allmählich,"
wenn ich vou einer Besserung allgemeiner Verhältnisse spreche, mit solcher nach¬
drücklichen Betonung aus, daß uns die Thatsache, deren wir uns freuen, Wohl
ermutigen, aber nie in unserm Streben lähmen und schlaff machen kann.

Es wird aber gut sein, wenn wir in die Wucherfälle einen Blick thun.
Beginnen wir mit einem badischen Wucherer, Salomon Kaufmann, einem Juden
aus Mannheim, der endlich außer zu einer Geldstrafe von 8000 Mark zu einer
Gefängnisstrafe von 8^ Jahren verurteilt wurde. Dieser galt nach den Akten
schon seit Jahren als einer der schlimmsten Wucherer der Bergstraße und der
Pfalz; die Aussagen von zweihundert meist bäuerlichen Schuldnern entrollen ein
geradzu haearsträubendes Bild von dem Treiben dieses Mannes. Er hat einen
scharfen Verstand, erstaunliches Gedächtnis und rechnerische und hcmdelsmcinnische
Begabung, ist ohne Mitleid, ja brutal in der Behandlung seiner Opfer. Wen
er gefaßt hat, den hält er umklammert, so lange dieser eine Mark Geldes, eine
Scholle Landes sein eigen nennt. Schon in der ersten Urkunde Schürze er die
Schlinge, die er dem Opfer später um den Hals werfen will. Als Objekte
seiner Thätigkeit sucht er sich namentlich Landleute aus von geringer Einsicht
und großer Unwissenheit, von einigem Vermögen und Unerfcchrenheit in Geld¬
geschäften. Die Bauern unterschrieben die von ihm gefertigten Urkunden in der
Regel ohne Prüfung, teils in gutem Glauben, teils weil der Wucherer eilig
that und drängte, teils weil sie überhaupt nicht lesen konnten, oder doch das
Geschreibsel des Wucherers nicht, der unleserlich schrieb und einen eigentümlichen
Urkundenjargon erfunden hatte. Hauptsächlich liebte er die Einschmuggelung
höherer als der vereinbarten Schuldsummen, ferner von Zinsen, wo diese schon
in der Provision vorausbezahlt waren, und die Vermehrung der Provisionen
dadurch, daß ihr Prozentsatz statt auf ein Jahr auf ein Vierteljahr eingestellt
wurde. Wurden Termine bewilligt, so hieß der Beisatz häufig, „wenn ein Ziel


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[0260] Der Wucher auf dem Lande. Um nicht bei diesen allgemeineren Bemerkungen in lauter trüben Vor¬ stellungen stecken zu bleiben, füge ich hinzu, daß sämtliche Berichte versichern, der Wucher sei zwar zum Teil noch schlimm, nehme aber ersichtlich ab; besonders habe die neue Fassung des Wucherparagraphen im deutschen Strafgesetzbuch vom 24. Mai 1880 (Z 302 a u. f.) die Wucherer geschreckt und manches Gute, freilich neben Umgehuugskünsten, bewirkt. Nach dem Bericht über Braunschweig scheint es dort in Bezug auf die Gegenwart sogar glänzend zu stehen. Es verdiente eine besondre Untersuchung, wodurch die ausgezeichnete Lage dieses Ländchens in Bezug auf Wucher sich erklären mag. Aber es ist erfreulich, daß die Abnahme des Wuchers in deutschen Landen im allgemeinen nicht zu be¬ streikn ist. Freilich treten, wenn sich gegen die optimistischen Ansichten guter Menschen irgendwo ein Verein gegen den Wucher bildet, auch zahlreiche üble Fälle an den Tag, die früher niemand kannte. Aber das allgemeine Ergebnis einer allmählichen Besserung der Lage wird dadurch nicht wieder zweifelhaft gemacht. Wir dürfen uus daran halten, denn ich spreche das Wort „allmählich," wenn ich vou einer Besserung allgemeiner Verhältnisse spreche, mit solcher nach¬ drücklichen Betonung aus, daß uns die Thatsache, deren wir uns freuen, Wohl ermutigen, aber nie in unserm Streben lähmen und schlaff machen kann. Es wird aber gut sein, wenn wir in die Wucherfälle einen Blick thun. Beginnen wir mit einem badischen Wucherer, Salomon Kaufmann, einem Juden aus Mannheim, der endlich außer zu einer Geldstrafe von 8000 Mark zu einer Gefängnisstrafe von 8^ Jahren verurteilt wurde. Dieser galt nach den Akten schon seit Jahren als einer der schlimmsten Wucherer der Bergstraße und der Pfalz; die Aussagen von zweihundert meist bäuerlichen Schuldnern entrollen ein geradzu haearsträubendes Bild von dem Treiben dieses Mannes. Er hat einen scharfen Verstand, erstaunliches Gedächtnis und rechnerische und hcmdelsmcinnische Begabung, ist ohne Mitleid, ja brutal in der Behandlung seiner Opfer. Wen er gefaßt hat, den hält er umklammert, so lange dieser eine Mark Geldes, eine Scholle Landes sein eigen nennt. Schon in der ersten Urkunde Schürze er die Schlinge, die er dem Opfer später um den Hals werfen will. Als Objekte seiner Thätigkeit sucht er sich namentlich Landleute aus von geringer Einsicht und großer Unwissenheit, von einigem Vermögen und Unerfcchrenheit in Geld¬ geschäften. Die Bauern unterschrieben die von ihm gefertigten Urkunden in der Regel ohne Prüfung, teils in gutem Glauben, teils weil der Wucherer eilig that und drängte, teils weil sie überhaupt nicht lesen konnten, oder doch das Geschreibsel des Wucherers nicht, der unleserlich schrieb und einen eigentümlichen Urkundenjargon erfunden hatte. Hauptsächlich liebte er die Einschmuggelung höherer als der vereinbarten Schuldsummen, ferner von Zinsen, wo diese schon in der Provision vorausbezahlt waren, und die Vermehrung der Provisionen dadurch, daß ihr Prozentsatz statt auf ein Jahr auf ein Vierteljahr eingestellt wurde. Wurden Termine bewilligt, so hieß der Beisatz häufig, „wenn ein Ziel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/260>, abgerufen am 23.07.2024.