Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.Dichterfrenndinnen. der Tochter Wielands, sogar befreundet, Frau von Stein und Frau vou Scharbe Am 21. Juli 1787, ein paar Monate später als Charlotte, kam Schiller Dichterfrenndinnen. der Tochter Wielands, sogar befreundet, Frau von Stein und Frau vou Scharbe Am 21. Juli 1787, ein paar Monate später als Charlotte, kam Schiller <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0230" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201009"/> <fw type="header" place="top"> Dichterfrenndinnen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_688" prev="#ID_687"> der Tochter Wielands, sogar befreundet, Frau von Stein und Frau vou Scharbe<lb/> kamen ihr freundlich entgegen. Frau von Stein hatte schon früher Charlottens<lb/> Aufmerksamkeit erregt, wie überhaupt anmutige Frauengestalten ihr einen<lb/> ästhetischen Genuß bereiteten, in den sich keine Spur von Neid mischte. Vor<lb/> zehn Jahren hatten sich beide Frauen in Meiningen gesehen, und Frau von Kalb<lb/> konnte nicht vergessen, wie lieblich die Stein im weißen Taftkleidc und mit<lb/> der dunkeln Rose im braunen Haare gewesen sei. Jetzt belohnte Frau vou Stein<lb/> die neidlose Verehrerin damit, daß sie ihr von dem in Italien weilenden Goethe<lb/> erzählte und dessen Briefe lesen ließ. Die beiden Frauen erkannten wohl die<lb/> Ähnlichkeit ihrer Aufgabe in der klassischen Welt. Ganz unbedingt schloß sich<lb/> Fran von Kalb an Herder an. In seine Denkweise hatte sie sich schon ein¬<lb/> gelebt, seine Predigten, sein freundliches Entgegenkommen im gesellschaftlichen<lb/> Verkehr, die Würde und Hoheit seiner Person ergänzten den Einfluß, den seine<lb/> Schriften auf sie ausgeübt hatten. Auch der schwermütige Ernst, dem er sich<lb/> mehr und mehr hingab, zog sie an. „Ich sah — sagt sie — die Leiden derer,<lb/> die sich tieferen Forschungen geweiht hatten." Herder wurde ihr Berater, ihr<lb/> Trost; so oft sie uur konnte, verkehrte sie in seinem Hanse und verwunderte<lb/> sich in Demut, daß er sie duldete. So gehörte sie denn recht eigentlich zu dem<lb/> Herderschen Kreise, dem auch Knebel nahe stand und dem sich ebenso entschieden<lb/> Frau von Stein zuwandte, als Goethe seine eignen Wege ging. Im übrigen<lb/> hielt sie sich sehr zurück; mit dem Hofe hatte sie wenig Berührung, der Herzog<lb/> beachtete sie fast gar nicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_689" next="#ID_690"> Am 21. Juli 1787, ein paar Monate später als Charlotte, kam Schiller<lb/> nach Weimar. Das erste Wiedersehen hatte etwas Gepreßtes, Betäubendes,<lb/> doch fand Schiller die Freundin unverändert, sodaß er sich schon in der ersten<lb/> Stunde des Zusammenseins mit ihr nicht anders fühlte, als hätte er sie erst<lb/> gestern verlassen. Vierzehn Tage später schreibt er an Körner: „Ich habe dir<lb/> nicht geschrieben, welche sonderbare Folgen meine Erscheinung auf sie gehabt<lb/> hat. Sie hat mich mit einer heftigen, bangen Unruhe erwartet. Mein letzter<lb/> Brief, der ihr meine Ankunft gewiß versicherte, setzte sie in eine Unruhe, die<lb/> auf ihre Gesundheit wirkte. Ihre Seele hing nur noch an diesem Gedanken, und<lb/> als sie mich hatte, war ihre Empfänglichkeit für Frende dahin. Ein langes Harren<lb/> hatte sie erschöpft, und Freude wirkte bei ihr Lähmung. Sie war fünf, sechs<lb/> Tage nach der ersten Woche meines Hierseins fast jedem Gefühl abgestorben,<lb/> nur die Empfindung dieser Ohnmacht blieb ihr und machte sie elend. Jetzt<lb/> fängt sie an, sich zu erholen, ihre Gesundheit stellt sich wieder her, und ihr<lb/> Geist wird freier. Jetzt erst können wir einander etwas sein. Aber noch ge¬<lb/> nießen wir uns nicht in einem zweckmäßigen Lebensplane, wie ich mir ver¬<lb/> sprochen hatte. Alles ist nur Zurüstung für die Zukunft." Aus dieser ersten<lb/> Zeit stammen einige interessante Äußerungen Schillers über Frau von Kalb<lb/> und sein Verhältnis zu ihr. Er schildert sie seinem Freunde Körner als eine</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0230]
Dichterfrenndinnen.
der Tochter Wielands, sogar befreundet, Frau von Stein und Frau vou Scharbe
kamen ihr freundlich entgegen. Frau von Stein hatte schon früher Charlottens
Aufmerksamkeit erregt, wie überhaupt anmutige Frauengestalten ihr einen
ästhetischen Genuß bereiteten, in den sich keine Spur von Neid mischte. Vor
zehn Jahren hatten sich beide Frauen in Meiningen gesehen, und Frau von Kalb
konnte nicht vergessen, wie lieblich die Stein im weißen Taftkleidc und mit
der dunkeln Rose im braunen Haare gewesen sei. Jetzt belohnte Frau vou Stein
die neidlose Verehrerin damit, daß sie ihr von dem in Italien weilenden Goethe
erzählte und dessen Briefe lesen ließ. Die beiden Frauen erkannten wohl die
Ähnlichkeit ihrer Aufgabe in der klassischen Welt. Ganz unbedingt schloß sich
Fran von Kalb an Herder an. In seine Denkweise hatte sie sich schon ein¬
gelebt, seine Predigten, sein freundliches Entgegenkommen im gesellschaftlichen
Verkehr, die Würde und Hoheit seiner Person ergänzten den Einfluß, den seine
Schriften auf sie ausgeübt hatten. Auch der schwermütige Ernst, dem er sich
mehr und mehr hingab, zog sie an. „Ich sah — sagt sie — die Leiden derer,
die sich tieferen Forschungen geweiht hatten." Herder wurde ihr Berater, ihr
Trost; so oft sie uur konnte, verkehrte sie in seinem Hanse und verwunderte
sich in Demut, daß er sie duldete. So gehörte sie denn recht eigentlich zu dem
Herderschen Kreise, dem auch Knebel nahe stand und dem sich ebenso entschieden
Frau von Stein zuwandte, als Goethe seine eignen Wege ging. Im übrigen
hielt sie sich sehr zurück; mit dem Hofe hatte sie wenig Berührung, der Herzog
beachtete sie fast gar nicht.
Am 21. Juli 1787, ein paar Monate später als Charlotte, kam Schiller
nach Weimar. Das erste Wiedersehen hatte etwas Gepreßtes, Betäubendes,
doch fand Schiller die Freundin unverändert, sodaß er sich schon in der ersten
Stunde des Zusammenseins mit ihr nicht anders fühlte, als hätte er sie erst
gestern verlassen. Vierzehn Tage später schreibt er an Körner: „Ich habe dir
nicht geschrieben, welche sonderbare Folgen meine Erscheinung auf sie gehabt
hat. Sie hat mich mit einer heftigen, bangen Unruhe erwartet. Mein letzter
Brief, der ihr meine Ankunft gewiß versicherte, setzte sie in eine Unruhe, die
auf ihre Gesundheit wirkte. Ihre Seele hing nur noch an diesem Gedanken, und
als sie mich hatte, war ihre Empfänglichkeit für Frende dahin. Ein langes Harren
hatte sie erschöpft, und Freude wirkte bei ihr Lähmung. Sie war fünf, sechs
Tage nach der ersten Woche meines Hierseins fast jedem Gefühl abgestorben,
nur die Empfindung dieser Ohnmacht blieb ihr und machte sie elend. Jetzt
fängt sie an, sich zu erholen, ihre Gesundheit stellt sich wieder her, und ihr
Geist wird freier. Jetzt erst können wir einander etwas sein. Aber noch ge¬
nießen wir uns nicht in einem zweckmäßigen Lebensplane, wie ich mir ver¬
sprochen hatte. Alles ist nur Zurüstung für die Zukunft." Aus dieser ersten
Zeit stammen einige interessante Äußerungen Schillers über Frau von Kalb
und sein Verhältnis zu ihr. Er schildert sie seinem Freunde Körner als eine
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