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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Gberschlesicn und seine Germanisirung,

auf der Mittelstufe wird sie hierbei als verdolmetschendes Mittel gebraucht.
Aber schon auf der Unterstufe soll der Kernpunkt der biblischen Geschichte von
den Kindern nebenbei auch deutsch gelernt werden. Der Katechismusunterricht
wird dagegen, wie jeder andre Unterrichtszweig, von allem Anfang an gleich
in deutscher Sprache erteilt.

Die Schwierigkeiten, die sich hierbei für den Lehrer ergeben, sind sehr er¬
heblich. Stellt man sich vor, daß ein großer Teil der Kleinen, die in die
Schule eintreten, vorher kaum ein deutsches Wort gehört hat, und daß der
Lehrer diese Kinder, die doch erst Deutsch lernen sollen, gleich deutsch unterrichten
soll, erwägt mau ferner die Überfüllung der Schulen, die geringe Stundenzahl,
die in vielen Schulen wegen des Halbtagsunterrichts für die Unterstufe
wöchentlich nur zwölf beträgt, so gewinnt man annähernd eine Vorstellung von
den Schwierigkeiten, mit denen hier die Lehrer zu kämpfen haben, und man
kann es unter diesen Umständen eigentlich keinem jungen Lehrer verargen, wenn er
eine besser besoldete und leichtere Lehrerstelle in einem andern Regierungsbezirk,
sobald er sie bekommen kann, annimmt, zumal da er hier auf dem Lande viel¬
fach auch jedes Umganges in seinem Wohnort entbehren muß, was dort in der
Regel nicht der Fall ist.

Trotz aller dieser Schwierigkeiten ist es wunderbar, was in den Schulen
geleistet wird. Wo die Schulen nicht überfüllt sind, wo die Verhältnisse einen
regelmäßigen Schulbesuch gestatten und wo tüchtige Lehrer wirken, da kann so
manche utraquistische oberschlcsische Landschule in ihrer Oberstufe mit den
Leistungen rein deutscher Schulen wetteifern. Abgesehen von der harten Aus¬
sprache des Deutschen, die sich selten bei den Kindern ganz beseitigen läßt, wird
auch ein Fachmann keinen wesentlichen Unterschied zwischen einer utraquistischeu
oberschlesischen und einer rein deutschen Schule eines andern Regierungsbezirks
wahrnehmen können.

Auch in der gesamten Haltung der Kinder besteht kein wesentlicher Unter¬
schied. Die Kinder sind reinlich und sauber, sie kommen pünktlich und regel¬
mäßig zur Schule, sie sind lernbegierig und pflichttreu -- Eigenschaften, die
ihnen bei den traurigen Verhältnissen des Elternhauses erst durch die Schule
beigebracht worden sind. Und selbst in den überfülltesten Schulen und unter
den ungünstigsten Verhältnissen werden die Kinder doch dahin gebracht, daß sie
bei ihrer Entlassung Deutsch verstehen und sich mündlich wie schriftlich, wenn
auch nicht frei von Polonismen, auszudrücken vermögen.

Das Verdienst, daß dies überhaupt erreicht wird, ist der Schulverwaltung
zuzuschreiben, die unausgesetzt seit dem Jahre 1873 einerseits dnrch Ver¬
besserung der Unterrichtsmethode in den Seminaren und durch Einrichtung
methodologischer Kurse zur weiteren Ausbildung von älteren und weniger be¬
fähigten Lehrern an utraquistischen Schulen, anderseits durch eine ununter¬
brochene scharfe Beaufsichtigung der Schulen durch das Schulaufsichtspersonal


Gberschlesicn und seine Germanisirung,

auf der Mittelstufe wird sie hierbei als verdolmetschendes Mittel gebraucht.
Aber schon auf der Unterstufe soll der Kernpunkt der biblischen Geschichte von
den Kindern nebenbei auch deutsch gelernt werden. Der Katechismusunterricht
wird dagegen, wie jeder andre Unterrichtszweig, von allem Anfang an gleich
in deutscher Sprache erteilt.

Die Schwierigkeiten, die sich hierbei für den Lehrer ergeben, sind sehr er¬
heblich. Stellt man sich vor, daß ein großer Teil der Kleinen, die in die
Schule eintreten, vorher kaum ein deutsches Wort gehört hat, und daß der
Lehrer diese Kinder, die doch erst Deutsch lernen sollen, gleich deutsch unterrichten
soll, erwägt mau ferner die Überfüllung der Schulen, die geringe Stundenzahl,
die in vielen Schulen wegen des Halbtagsunterrichts für die Unterstufe
wöchentlich nur zwölf beträgt, so gewinnt man annähernd eine Vorstellung von
den Schwierigkeiten, mit denen hier die Lehrer zu kämpfen haben, und man
kann es unter diesen Umständen eigentlich keinem jungen Lehrer verargen, wenn er
eine besser besoldete und leichtere Lehrerstelle in einem andern Regierungsbezirk,
sobald er sie bekommen kann, annimmt, zumal da er hier auf dem Lande viel¬
fach auch jedes Umganges in seinem Wohnort entbehren muß, was dort in der
Regel nicht der Fall ist.

Trotz aller dieser Schwierigkeiten ist es wunderbar, was in den Schulen
geleistet wird. Wo die Schulen nicht überfüllt sind, wo die Verhältnisse einen
regelmäßigen Schulbesuch gestatten und wo tüchtige Lehrer wirken, da kann so
manche utraquistische oberschlcsische Landschule in ihrer Oberstufe mit den
Leistungen rein deutscher Schulen wetteifern. Abgesehen von der harten Aus¬
sprache des Deutschen, die sich selten bei den Kindern ganz beseitigen läßt, wird
auch ein Fachmann keinen wesentlichen Unterschied zwischen einer utraquistischeu
oberschlesischen und einer rein deutschen Schule eines andern Regierungsbezirks
wahrnehmen können.

Auch in der gesamten Haltung der Kinder besteht kein wesentlicher Unter¬
schied. Die Kinder sind reinlich und sauber, sie kommen pünktlich und regel¬
mäßig zur Schule, sie sind lernbegierig und pflichttreu — Eigenschaften, die
ihnen bei den traurigen Verhältnissen des Elternhauses erst durch die Schule
beigebracht worden sind. Und selbst in den überfülltesten Schulen und unter
den ungünstigsten Verhältnissen werden die Kinder doch dahin gebracht, daß sie
bei ihrer Entlassung Deutsch verstehen und sich mündlich wie schriftlich, wenn
auch nicht frei von Polonismen, auszudrücken vermögen.

Das Verdienst, daß dies überhaupt erreicht wird, ist der Schulverwaltung
zuzuschreiben, die unausgesetzt seit dem Jahre 1873 einerseits dnrch Ver¬
besserung der Unterrichtsmethode in den Seminaren und durch Einrichtung
methodologischer Kurse zur weiteren Ausbildung von älteren und weniger be¬
fähigten Lehrern an utraquistischen Schulen, anderseits durch eine ununter¬
brochene scharfe Beaufsichtigung der Schulen durch das Schulaufsichtspersonal


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[0215] Gberschlesicn und seine Germanisirung, auf der Mittelstufe wird sie hierbei als verdolmetschendes Mittel gebraucht. Aber schon auf der Unterstufe soll der Kernpunkt der biblischen Geschichte von den Kindern nebenbei auch deutsch gelernt werden. Der Katechismusunterricht wird dagegen, wie jeder andre Unterrichtszweig, von allem Anfang an gleich in deutscher Sprache erteilt. Die Schwierigkeiten, die sich hierbei für den Lehrer ergeben, sind sehr er¬ heblich. Stellt man sich vor, daß ein großer Teil der Kleinen, die in die Schule eintreten, vorher kaum ein deutsches Wort gehört hat, und daß der Lehrer diese Kinder, die doch erst Deutsch lernen sollen, gleich deutsch unterrichten soll, erwägt mau ferner die Überfüllung der Schulen, die geringe Stundenzahl, die in vielen Schulen wegen des Halbtagsunterrichts für die Unterstufe wöchentlich nur zwölf beträgt, so gewinnt man annähernd eine Vorstellung von den Schwierigkeiten, mit denen hier die Lehrer zu kämpfen haben, und man kann es unter diesen Umständen eigentlich keinem jungen Lehrer verargen, wenn er eine besser besoldete und leichtere Lehrerstelle in einem andern Regierungsbezirk, sobald er sie bekommen kann, annimmt, zumal da er hier auf dem Lande viel¬ fach auch jedes Umganges in seinem Wohnort entbehren muß, was dort in der Regel nicht der Fall ist. Trotz aller dieser Schwierigkeiten ist es wunderbar, was in den Schulen geleistet wird. Wo die Schulen nicht überfüllt sind, wo die Verhältnisse einen regelmäßigen Schulbesuch gestatten und wo tüchtige Lehrer wirken, da kann so manche utraquistische oberschlcsische Landschule in ihrer Oberstufe mit den Leistungen rein deutscher Schulen wetteifern. Abgesehen von der harten Aus¬ sprache des Deutschen, die sich selten bei den Kindern ganz beseitigen läßt, wird auch ein Fachmann keinen wesentlichen Unterschied zwischen einer utraquistischeu oberschlesischen und einer rein deutschen Schule eines andern Regierungsbezirks wahrnehmen können. Auch in der gesamten Haltung der Kinder besteht kein wesentlicher Unter¬ schied. Die Kinder sind reinlich und sauber, sie kommen pünktlich und regel¬ mäßig zur Schule, sie sind lernbegierig und pflichttreu — Eigenschaften, die ihnen bei den traurigen Verhältnissen des Elternhauses erst durch die Schule beigebracht worden sind. Und selbst in den überfülltesten Schulen und unter den ungünstigsten Verhältnissen werden die Kinder doch dahin gebracht, daß sie bei ihrer Entlassung Deutsch verstehen und sich mündlich wie schriftlich, wenn auch nicht frei von Polonismen, auszudrücken vermögen. Das Verdienst, daß dies überhaupt erreicht wird, ist der Schulverwaltung zuzuschreiben, die unausgesetzt seit dem Jahre 1873 einerseits dnrch Ver¬ besserung der Unterrichtsmethode in den Seminaren und durch Einrichtung methodologischer Kurse zur weiteren Ausbildung von älteren und weniger be¬ fähigten Lehrern an utraquistischen Schulen, anderseits durch eine ununter¬ brochene scharfe Beaufsichtigung der Schulen durch das Schulaufsichtspersonal

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/215>, abgerufen am 23.07.2024.