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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Gberschlefien und seine Germanistrnng.

stünde es hier mit der Germanisirung sicher schon weit besser. Ferner befinden
sich noch an der mährischen Grenze, namentlich in den Kreisen Leobschütz und
Ratibor südlich von der Linie Leobschütz-Ratibor, zahlreiche mährische Dörfer,
und endlich giebt es noch hie und da in Oberschlesien Kolonien, in denen Nach¬
kommen der alten böhmischen Hussiten wohnen, die ihre böhmische Muttersprache
bewahrt haben.

Ganz ebenso gemischt ist die Religion der Bewohner Oberschlesiens. Bei
weitem die Mehrheit gehört der katholischen Kirche an. Wenn in der benach¬
barten Provinz Posen die Begriffe Deutsch und Evangelisch einerseits und
Polnisch und Katholisch anderseits sich in der Regel decken, so trifft dies hier
nicht zu. Denn die rein deutschen Kreise Grottkau und Reiße z. B. sind fast
ganz katholisch; so sind in ersterem Kreise nur drei evangelische Schulen und
im Kreise Reiße nur vier. Der Kreis Kreuzburg dagegen mit seiner über¬
wiegend polnischen Bevölkerung ist zum größten Teil evangelisch. Sonst darf
man wohl als feststehend ansehen, daß die Evangelischen in der Regel
deutsch sind, während die Böhmen der reformirten Kirche angehören. Ferner
befindet sich in Oberschlesien eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Altlutheranern,
die meist deutscher Zunge sind. Die Mähren endlich gehören mit nur ver¬
schwindenden Ausnahmen der katholischen Kirche an.

Was die Beschäftigung der Bewohner Oberschlesiens anlangt, so ist diese,
abgesehen von dem Hüttendistrikt, in dem der Bergbau und die Industrie zu
hoher Blüte gelangt sind, hauptsächlich der Ackerbau. Der wirtschaftlichen
Entwicklung Oberschlesiens wird sich jedoch immer der Umstand hindernd in den
Weg stellen, daß ein großer Teil des Grund und Bodens im Besitz von Gro߬
grundbesitzern ist. Ein wohlhabender Bauernstand, wie er in andern Provinzen
den Kern der Landbevölkerung bildet, ist hier mit Ausnahme der Kreise Grottkau,
Reiße, Leobschütz, Neustadt und Kreuzburg, in denen sich entweder gar keine
oder nur wenige Großgrundbesitzer mit verhältnismäßig geringem Grundbesitz
befinden, in der Regel nicht vorhanden, und der größte und wahrlich nicht der
schlechteste Teil des Grund und Bodens fast in allen übrigen Kreisen gehört
zum Großgrundbesitz, der wieder zum großen Teil in den Händen weniger
großen Magnaten vereinigt ist. Die bäuerliche Bevölkerung dagegen besitzt in
diesen Kreisen verhältnismäßig wenig und geringen Boden. Und es ist wunder¬
bar: je schlechter und ärmer der Boden ist, desto höher sind auch gewöhnlich
die infolge der Ablösung der Grundrente darauf lastenden Abgaben. Von der
Not und Armut, die hier an manchen Orten herrscht, hat man wohl ander¬
wärts kaum eine Ahnung. Giebt es doch manche Dorfschaften, deren Einwohner
nicht imstande sind, ihren Kindern täglich Brot zu essen zu geben, sondern die
sich jahraus jahrein meist von Suppe, Kartoffeln und Kraut ernähren müssen.
Wäre nicht der Wald vorhanden, in dem die Leute als Holzschläger arbeiten
und Kulturarbeiten verrichten, oder dessen Hölzer sie mit ihren armseligen Ge-


Gberschlefien und seine Germanistrnng.

stünde es hier mit der Germanisirung sicher schon weit besser. Ferner befinden
sich noch an der mährischen Grenze, namentlich in den Kreisen Leobschütz und
Ratibor südlich von der Linie Leobschütz-Ratibor, zahlreiche mährische Dörfer,
und endlich giebt es noch hie und da in Oberschlesien Kolonien, in denen Nach¬
kommen der alten böhmischen Hussiten wohnen, die ihre böhmische Muttersprache
bewahrt haben.

Ganz ebenso gemischt ist die Religion der Bewohner Oberschlesiens. Bei
weitem die Mehrheit gehört der katholischen Kirche an. Wenn in der benach¬
barten Provinz Posen die Begriffe Deutsch und Evangelisch einerseits und
Polnisch und Katholisch anderseits sich in der Regel decken, so trifft dies hier
nicht zu. Denn die rein deutschen Kreise Grottkau und Reiße z. B. sind fast
ganz katholisch; so sind in ersterem Kreise nur drei evangelische Schulen und
im Kreise Reiße nur vier. Der Kreis Kreuzburg dagegen mit seiner über¬
wiegend polnischen Bevölkerung ist zum größten Teil evangelisch. Sonst darf
man wohl als feststehend ansehen, daß die Evangelischen in der Regel
deutsch sind, während die Böhmen der reformirten Kirche angehören. Ferner
befindet sich in Oberschlesien eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Altlutheranern,
die meist deutscher Zunge sind. Die Mähren endlich gehören mit nur ver¬
schwindenden Ausnahmen der katholischen Kirche an.

Was die Beschäftigung der Bewohner Oberschlesiens anlangt, so ist diese,
abgesehen von dem Hüttendistrikt, in dem der Bergbau und die Industrie zu
hoher Blüte gelangt sind, hauptsächlich der Ackerbau. Der wirtschaftlichen
Entwicklung Oberschlesiens wird sich jedoch immer der Umstand hindernd in den
Weg stellen, daß ein großer Teil des Grund und Bodens im Besitz von Gro߬
grundbesitzern ist. Ein wohlhabender Bauernstand, wie er in andern Provinzen
den Kern der Landbevölkerung bildet, ist hier mit Ausnahme der Kreise Grottkau,
Reiße, Leobschütz, Neustadt und Kreuzburg, in denen sich entweder gar keine
oder nur wenige Großgrundbesitzer mit verhältnismäßig geringem Grundbesitz
befinden, in der Regel nicht vorhanden, und der größte und wahrlich nicht der
schlechteste Teil des Grund und Bodens fast in allen übrigen Kreisen gehört
zum Großgrundbesitz, der wieder zum großen Teil in den Händen weniger
großen Magnaten vereinigt ist. Die bäuerliche Bevölkerung dagegen besitzt in
diesen Kreisen verhältnismäßig wenig und geringen Boden. Und es ist wunder¬
bar: je schlechter und ärmer der Boden ist, desto höher sind auch gewöhnlich
die infolge der Ablösung der Grundrente darauf lastenden Abgaben. Von der
Not und Armut, die hier an manchen Orten herrscht, hat man wohl ander¬
wärts kaum eine Ahnung. Giebt es doch manche Dorfschaften, deren Einwohner
nicht imstande sind, ihren Kindern täglich Brot zu essen zu geben, sondern die
sich jahraus jahrein meist von Suppe, Kartoffeln und Kraut ernähren müssen.
Wäre nicht der Wald vorhanden, in dem die Leute als Holzschläger arbeiten
und Kulturarbeiten verrichten, oder dessen Hölzer sie mit ihren armseligen Ge-


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[0211] Gberschlefien und seine Germanistrnng. stünde es hier mit der Germanisirung sicher schon weit besser. Ferner befinden sich noch an der mährischen Grenze, namentlich in den Kreisen Leobschütz und Ratibor südlich von der Linie Leobschütz-Ratibor, zahlreiche mährische Dörfer, und endlich giebt es noch hie und da in Oberschlesien Kolonien, in denen Nach¬ kommen der alten böhmischen Hussiten wohnen, die ihre böhmische Muttersprache bewahrt haben. Ganz ebenso gemischt ist die Religion der Bewohner Oberschlesiens. Bei weitem die Mehrheit gehört der katholischen Kirche an. Wenn in der benach¬ barten Provinz Posen die Begriffe Deutsch und Evangelisch einerseits und Polnisch und Katholisch anderseits sich in der Regel decken, so trifft dies hier nicht zu. Denn die rein deutschen Kreise Grottkau und Reiße z. B. sind fast ganz katholisch; so sind in ersterem Kreise nur drei evangelische Schulen und im Kreise Reiße nur vier. Der Kreis Kreuzburg dagegen mit seiner über¬ wiegend polnischen Bevölkerung ist zum größten Teil evangelisch. Sonst darf man wohl als feststehend ansehen, daß die Evangelischen in der Regel deutsch sind, während die Böhmen der reformirten Kirche angehören. Ferner befindet sich in Oberschlesien eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Altlutheranern, die meist deutscher Zunge sind. Die Mähren endlich gehören mit nur ver¬ schwindenden Ausnahmen der katholischen Kirche an. Was die Beschäftigung der Bewohner Oberschlesiens anlangt, so ist diese, abgesehen von dem Hüttendistrikt, in dem der Bergbau und die Industrie zu hoher Blüte gelangt sind, hauptsächlich der Ackerbau. Der wirtschaftlichen Entwicklung Oberschlesiens wird sich jedoch immer der Umstand hindernd in den Weg stellen, daß ein großer Teil des Grund und Bodens im Besitz von Gro߬ grundbesitzern ist. Ein wohlhabender Bauernstand, wie er in andern Provinzen den Kern der Landbevölkerung bildet, ist hier mit Ausnahme der Kreise Grottkau, Reiße, Leobschütz, Neustadt und Kreuzburg, in denen sich entweder gar keine oder nur wenige Großgrundbesitzer mit verhältnismäßig geringem Grundbesitz befinden, in der Regel nicht vorhanden, und der größte und wahrlich nicht der schlechteste Teil des Grund und Bodens fast in allen übrigen Kreisen gehört zum Großgrundbesitz, der wieder zum großen Teil in den Händen weniger großen Magnaten vereinigt ist. Die bäuerliche Bevölkerung dagegen besitzt in diesen Kreisen verhältnismäßig wenig und geringen Boden. Und es ist wunder¬ bar: je schlechter und ärmer der Boden ist, desto höher sind auch gewöhnlich die infolge der Ablösung der Grundrente darauf lastenden Abgaben. Von der Not und Armut, die hier an manchen Orten herrscht, hat man wohl ander¬ wärts kaum eine Ahnung. Giebt es doch manche Dorfschaften, deren Einwohner nicht imstande sind, ihren Kindern täglich Brot zu essen zu geben, sondern die sich jahraus jahrein meist von Suppe, Kartoffeln und Kraut ernähren müssen. Wäre nicht der Wald vorhanden, in dem die Leute als Holzschläger arbeiten und Kulturarbeiten verrichten, oder dessen Hölzer sie mit ihren armseligen Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/211>, abgerufen am 23.07.2024.