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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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jenige, was man ihm geschickt anpreist. Ein Kollege des Herrn Schleyer, der
Abbe Duploye in Montreuil (früher in Paris), hat dnrch gleiche Hilfsmittel im
Laufe von knapp zwanzig Jahren sein recht untermertiges Stenographiesystem
derartig über ganz Frankreich ausgebreitet, daß andre bessere Systeme völlig
daneben verschwinden. Die Erfinder der letztern verstanden sich eben nicht so
gut darauf, wie es gemacht wird, hatten Wohl auch nicht die nötige Zeit dazu,
das Bedürfnis war aber da und das Publikum nahm das, was man ihm am
geschäftigsten entgegenbrachte. Es soll hiermit kein Vorwurf gegen die Männer
erhoben sein, welche mit Thatkraft ihren Werken Anerkennung zu verschaffen
suchen, nur wider den Irrglauben muß Verwahrung eingelegt werden, als ob
große Ausbreitung immer die Folge sei von großen und alles übertreffenden
Vorzügen.

Unleugbar besitzt ja Volapük manche guten und schätzenswerten Eigen¬
schaften, aber es teilt mit der Mehrzahl gleichartiger Versuche ein tötliches
Grundgcbrechen, das der Gemachtheit, der Fabrikation. Was für eine entsetz¬
liche Oberflächlichkeit, welcher Mangel an allem Verständnis für Geist und
Wesen der Sprache, welche materialistische Rohheit liegt in der bloßen Vor¬
stellung "künstlich ersonnene und verfertigte Sprache"! Wer sich auf diesen
Standpunkt begiebt, verneint einfach den ganzen Entwicklungsgang der Sprach¬
philosophie und Sprachforschung. Schon die alten griechischen Philosophen
haben sich lange und eingehend mit dem Problem der Sprache beschäftigt und
die eleatische Schule z. B. war im allgemeinen der Ansicht, die Sprache sei
durch willkürliche Verabredung der Menschen, d. h. doch Erfindung, entstanden.
Gegen solche Auffassung erhob sich starker Widerspruch, der Meinungsstreit
wogte hin und her, ohne daß es zum Siege einer bestimmten Richtung kam.
In Platons Dialog "Kratylos" hat sich uns ein anschauliches Bild jener
Sprachphilosopheme des sokratischen Zeitalters erhalten. Als in der Neuzeit
Sprachstudien wieder zu ihrem Rechte gelangten, ward auch die Frage nach
dem Ursprünge der Sprache vielfach erörtert. Aus dem Gewirr mehr oder
minder absonderlicher Meinungen hoben sich schließlich zwei Gegensätze heraus
mit den Losungen: "Die Sprache ist eine Erfindung des menschlichen Ver¬
standes" und "Die Sprache verdankt ihren Ursprung einer übernatürlichen Offen¬
barung." Es gehört zu den Verdiensten Herders, der ein so feines Verständnis
für das unbewußte oder halbbewußte Geistesleben der Völker besaß, die Sprach-
Philvsvphie über den Widerstreit jener beiden Ansichten hinausgehoben zu haben.
In seiner Schrift "Über den Ursprung der Sprache" (1772), die von der
Berliner Akademie der Wissenschaften mit dem Preise gekrönt war, zeigte er,
daß weder die eine noch die andre Meinung zutreffe, daß die Sprache vielmehr
ein Charakteristikum der menschlichen Gattung als solcher sei, eine Gabe, mit
welcher der Schöpfer die Menschheit gleich bei ihrem Ursprünge bedacht habe.
Herder wandte sich dabei entschieden gegen die Erfindungsthevrie und betonte
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Grenzboten III. 1887. 23
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jenige, was man ihm geschickt anpreist. Ein Kollege des Herrn Schleyer, der
Abbe Duploye in Montreuil (früher in Paris), hat dnrch gleiche Hilfsmittel im
Laufe von knapp zwanzig Jahren sein recht untermertiges Stenographiesystem
derartig über ganz Frankreich ausgebreitet, daß andre bessere Systeme völlig
daneben verschwinden. Die Erfinder der letztern verstanden sich eben nicht so
gut darauf, wie es gemacht wird, hatten Wohl auch nicht die nötige Zeit dazu,
das Bedürfnis war aber da und das Publikum nahm das, was man ihm am
geschäftigsten entgegenbrachte. Es soll hiermit kein Vorwurf gegen die Männer
erhoben sein, welche mit Thatkraft ihren Werken Anerkennung zu verschaffen
suchen, nur wider den Irrglauben muß Verwahrung eingelegt werden, als ob
große Ausbreitung immer die Folge sei von großen und alles übertreffenden
Vorzügen.

Unleugbar besitzt ja Volapük manche guten und schätzenswerten Eigen¬
schaften, aber es teilt mit der Mehrzahl gleichartiger Versuche ein tötliches
Grundgcbrechen, das der Gemachtheit, der Fabrikation. Was für eine entsetz¬
liche Oberflächlichkeit, welcher Mangel an allem Verständnis für Geist und
Wesen der Sprache, welche materialistische Rohheit liegt in der bloßen Vor¬
stellung „künstlich ersonnene und verfertigte Sprache"! Wer sich auf diesen
Standpunkt begiebt, verneint einfach den ganzen Entwicklungsgang der Sprach¬
philosophie und Sprachforschung. Schon die alten griechischen Philosophen
haben sich lange und eingehend mit dem Problem der Sprache beschäftigt und
die eleatische Schule z. B. war im allgemeinen der Ansicht, die Sprache sei
durch willkürliche Verabredung der Menschen, d. h. doch Erfindung, entstanden.
Gegen solche Auffassung erhob sich starker Widerspruch, der Meinungsstreit
wogte hin und her, ohne daß es zum Siege einer bestimmten Richtung kam.
In Platons Dialog „Kratylos" hat sich uns ein anschauliches Bild jener
Sprachphilosopheme des sokratischen Zeitalters erhalten. Als in der Neuzeit
Sprachstudien wieder zu ihrem Rechte gelangten, ward auch die Frage nach
dem Ursprünge der Sprache vielfach erörtert. Aus dem Gewirr mehr oder
minder absonderlicher Meinungen hoben sich schließlich zwei Gegensätze heraus
mit den Losungen: „Die Sprache ist eine Erfindung des menschlichen Ver¬
standes" und „Die Sprache verdankt ihren Ursprung einer übernatürlichen Offen¬
barung." Es gehört zu den Verdiensten Herders, der ein so feines Verständnis
für das unbewußte oder halbbewußte Geistesleben der Völker besaß, die Sprach-
Philvsvphie über den Widerstreit jener beiden Ansichten hinausgehoben zu haben.
In seiner Schrift „Über den Ursprung der Sprache" (1772), die von der
Berliner Akademie der Wissenschaften mit dem Preise gekrönt war, zeigte er,
daß weder die eine noch die andre Meinung zutreffe, daß die Sprache vielmehr
ein Charakteristikum der menschlichen Gattung als solcher sei, eine Gabe, mit
welcher der Schöpfer die Menschheit gleich bei ihrem Ursprünge bedacht habe.
Herder wandte sich dabei entschieden gegen die Erfindungsthevrie und betonte
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[0185] volapük. jenige, was man ihm geschickt anpreist. Ein Kollege des Herrn Schleyer, der Abbe Duploye in Montreuil (früher in Paris), hat dnrch gleiche Hilfsmittel im Laufe von knapp zwanzig Jahren sein recht untermertiges Stenographiesystem derartig über ganz Frankreich ausgebreitet, daß andre bessere Systeme völlig daneben verschwinden. Die Erfinder der letztern verstanden sich eben nicht so gut darauf, wie es gemacht wird, hatten Wohl auch nicht die nötige Zeit dazu, das Bedürfnis war aber da und das Publikum nahm das, was man ihm am geschäftigsten entgegenbrachte. Es soll hiermit kein Vorwurf gegen die Männer erhoben sein, welche mit Thatkraft ihren Werken Anerkennung zu verschaffen suchen, nur wider den Irrglauben muß Verwahrung eingelegt werden, als ob große Ausbreitung immer die Folge sei von großen und alles übertreffenden Vorzügen. Unleugbar besitzt ja Volapük manche guten und schätzenswerten Eigen¬ schaften, aber es teilt mit der Mehrzahl gleichartiger Versuche ein tötliches Grundgcbrechen, das der Gemachtheit, der Fabrikation. Was für eine entsetz¬ liche Oberflächlichkeit, welcher Mangel an allem Verständnis für Geist und Wesen der Sprache, welche materialistische Rohheit liegt in der bloßen Vor¬ stellung „künstlich ersonnene und verfertigte Sprache"! Wer sich auf diesen Standpunkt begiebt, verneint einfach den ganzen Entwicklungsgang der Sprach¬ philosophie und Sprachforschung. Schon die alten griechischen Philosophen haben sich lange und eingehend mit dem Problem der Sprache beschäftigt und die eleatische Schule z. B. war im allgemeinen der Ansicht, die Sprache sei durch willkürliche Verabredung der Menschen, d. h. doch Erfindung, entstanden. Gegen solche Auffassung erhob sich starker Widerspruch, der Meinungsstreit wogte hin und her, ohne daß es zum Siege einer bestimmten Richtung kam. In Platons Dialog „Kratylos" hat sich uns ein anschauliches Bild jener Sprachphilosopheme des sokratischen Zeitalters erhalten. Als in der Neuzeit Sprachstudien wieder zu ihrem Rechte gelangten, ward auch die Frage nach dem Ursprünge der Sprache vielfach erörtert. Aus dem Gewirr mehr oder minder absonderlicher Meinungen hoben sich schließlich zwei Gegensätze heraus mit den Losungen: „Die Sprache ist eine Erfindung des menschlichen Ver¬ standes" und „Die Sprache verdankt ihren Ursprung einer übernatürlichen Offen¬ barung." Es gehört zu den Verdiensten Herders, der ein so feines Verständnis für das unbewußte oder halbbewußte Geistesleben der Völker besaß, die Sprach- Philvsvphie über den Widerstreit jener beiden Ansichten hinausgehoben zu haben. In seiner Schrift „Über den Ursprung der Sprache" (1772), die von der Berliner Akademie der Wissenschaften mit dem Preise gekrönt war, zeigte er, daß weder die eine noch die andre Meinung zutreffe, daß die Sprache vielmehr ein Charakteristikum der menschlichen Gattung als solcher sei, eine Gabe, mit welcher der Schöpfer die Menschheit gleich bei ihrem Ursprünge bedacht habe. Herder wandte sich dabei entschieden gegen die Erfindungsthevrie und betonte ' Grenzboten III. 1887. 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/185>, abgerufen am 23.07.2024.