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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Wenn sich auch die Ehren der Waffenführung auf eme geringe Minder¬
heit einschränkten, so behaupteten doch große Teile des Bauernstandes noch die
volle Freiheit, in Sachsen so gut wie im Süden des Reiches. Und auch für
die, welche den Schutz geistlicher und weltlicher Großen den Lasten der Freiheit
vorgezogen hatten, blieben Form und Leistungen der Unterthänigkeit auf Jahr¬
hunderte mild und gemäßigt genug. Weder wurde die persönliche Lebenshaltung
dnrch Entbehrung heruntergedrückt, sodaß auch die körperliche Grundlage der
Kraft und Ausdauer, der Wehrbarkeit und des Selbstgefühls uicht Schaden
zu leiden brauchte -- noch wurde Arbeitsamkeit, Sparsamkeit, Rührigkeit durch
die Nötigung, andern die Früchte der Thätigkeit abzutreten, gelähmt. Diese
Eigenschaften machten den deutschen Bauern zum besten der Welt. Das wirt¬
schaftliche Gedeihen der Arbeit war damals besonders unter geistlicher Leitung,
unter dem gepriesenen Krummstab, so nachhaltig, daß die Rodung der Wald¬
bestände und die Gebirgsgegenden bald nicht mehr genügten, um die rasch zu¬
nehmende Bevölkerung zu versorgen, daß ein Jahrhunderte laug fließender
Strom von Auswanderern sich in die östlichen Grenzländer wendete und aus
ihnen, die das Schwert der deutschen Eroberer verödet hatte, die Reste der
slawischen Bevölkerung dnrch die Arbeitsamkeit der deutschen Bauern viel mehr
verdrängte als verdeuschte.

In gleicher Weise ist der Aufschwung des Städtewesens, sobald nur die
ackerbauende Bevölkerung dicht genug war, um Mittelpunkte für Gewerbe und
Handel zu erfordern, ein Beweis für die Kräfte, welche der Nation noch für
eine andre Entwicklung zu Gebote standen, als in der die Kaiseridee sich auf¬
lebte. Als diese durch die Scheidung der altererbteu, unklar zusammenfließenden
Bestandteile, der Nachfolgerschaft der römischen Kaiser und einer darauf ge¬
gründeten Schirmherrschaft über die Kirche, die Herrschaft über die Gemüter
an die folgerecht aufgebaute Lehre der päpstlichen Theokratie verloren hatte,
war längst die neue Krystallisirung der Volkskraft im Laufe, die der nächsten
Zeit neben den Landesfürftentümern das eigentümlich deutsche und volkstüm¬
liche Gepräge geben sollte. Die Geschichte der Kaiserzeit knüpft sich an mäch¬
tige Individuen aus fürstlichem und geistlichem Stande; die Städte entwickeln
sich aus der unbeachteten Thätigkeit zahlloser Einzelnen, wohl meist Höriger, die
das Recht der Kaufmannschaft oder übertragene geringfügige Ämter mit der Zähig¬
keit und Rührigkeit des kleinen Mannes angriffen, der weniger zu verlieren, viel
mehr zu gewinnen hat. Jeder Vorteil mußte der Lage der Dinge und den eigent¬
lichen Herren erst abgerungen werden und bedürfte dann noch steter Wahrung?
so war der Einzelne ganz auf sich angewiesen. Die Willenskraft, die Umsicht
und praktische Klugheit mußten sich so immer mehr steigern. Zu besserem
Schutz des Erreichten mußten sich die Gleichgestellten zusammenschließen. Das
Streben nach Ausdehnung der materiellen Vorteile, Marktgerechtigkeiten, Vor¬
rechte in fremden Städten, Selbstverwaltung unter Herren oder auch andern


Wenn sich auch die Ehren der Waffenführung auf eme geringe Minder¬
heit einschränkten, so behaupteten doch große Teile des Bauernstandes noch die
volle Freiheit, in Sachsen so gut wie im Süden des Reiches. Und auch für
die, welche den Schutz geistlicher und weltlicher Großen den Lasten der Freiheit
vorgezogen hatten, blieben Form und Leistungen der Unterthänigkeit auf Jahr¬
hunderte mild und gemäßigt genug. Weder wurde die persönliche Lebenshaltung
dnrch Entbehrung heruntergedrückt, sodaß auch die körperliche Grundlage der
Kraft und Ausdauer, der Wehrbarkeit und des Selbstgefühls uicht Schaden
zu leiden brauchte — noch wurde Arbeitsamkeit, Sparsamkeit, Rührigkeit durch
die Nötigung, andern die Früchte der Thätigkeit abzutreten, gelähmt. Diese
Eigenschaften machten den deutschen Bauern zum besten der Welt. Das wirt¬
schaftliche Gedeihen der Arbeit war damals besonders unter geistlicher Leitung,
unter dem gepriesenen Krummstab, so nachhaltig, daß die Rodung der Wald¬
bestände und die Gebirgsgegenden bald nicht mehr genügten, um die rasch zu¬
nehmende Bevölkerung zu versorgen, daß ein Jahrhunderte laug fließender
Strom von Auswanderern sich in die östlichen Grenzländer wendete und aus
ihnen, die das Schwert der deutschen Eroberer verödet hatte, die Reste der
slawischen Bevölkerung dnrch die Arbeitsamkeit der deutschen Bauern viel mehr
verdrängte als verdeuschte.

In gleicher Weise ist der Aufschwung des Städtewesens, sobald nur die
ackerbauende Bevölkerung dicht genug war, um Mittelpunkte für Gewerbe und
Handel zu erfordern, ein Beweis für die Kräfte, welche der Nation noch für
eine andre Entwicklung zu Gebote standen, als in der die Kaiseridee sich auf¬
lebte. Als diese durch die Scheidung der altererbteu, unklar zusammenfließenden
Bestandteile, der Nachfolgerschaft der römischen Kaiser und einer darauf ge¬
gründeten Schirmherrschaft über die Kirche, die Herrschaft über die Gemüter
an die folgerecht aufgebaute Lehre der päpstlichen Theokratie verloren hatte,
war längst die neue Krystallisirung der Volkskraft im Laufe, die der nächsten
Zeit neben den Landesfürftentümern das eigentümlich deutsche und volkstüm¬
liche Gepräge geben sollte. Die Geschichte der Kaiserzeit knüpft sich an mäch¬
tige Individuen aus fürstlichem und geistlichem Stande; die Städte entwickeln
sich aus der unbeachteten Thätigkeit zahlloser Einzelnen, wohl meist Höriger, die
das Recht der Kaufmannschaft oder übertragene geringfügige Ämter mit der Zähig¬
keit und Rührigkeit des kleinen Mannes angriffen, der weniger zu verlieren, viel
mehr zu gewinnen hat. Jeder Vorteil mußte der Lage der Dinge und den eigent¬
lichen Herren erst abgerungen werden und bedürfte dann noch steter Wahrung?
so war der Einzelne ganz auf sich angewiesen. Die Willenskraft, die Umsicht
und praktische Klugheit mußten sich so immer mehr steigern. Zu besserem
Schutz des Erreichten mußten sich die Gleichgestellten zusammenschließen. Das
Streben nach Ausdehnung der materiellen Vorteile, Marktgerechtigkeiten, Vor¬
rechte in fremden Städten, Selbstverwaltung unter Herren oder auch andern


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[0127] Wenn sich auch die Ehren der Waffenführung auf eme geringe Minder¬ heit einschränkten, so behaupteten doch große Teile des Bauernstandes noch die volle Freiheit, in Sachsen so gut wie im Süden des Reiches. Und auch für die, welche den Schutz geistlicher und weltlicher Großen den Lasten der Freiheit vorgezogen hatten, blieben Form und Leistungen der Unterthänigkeit auf Jahr¬ hunderte mild und gemäßigt genug. Weder wurde die persönliche Lebenshaltung dnrch Entbehrung heruntergedrückt, sodaß auch die körperliche Grundlage der Kraft und Ausdauer, der Wehrbarkeit und des Selbstgefühls uicht Schaden zu leiden brauchte — noch wurde Arbeitsamkeit, Sparsamkeit, Rührigkeit durch die Nötigung, andern die Früchte der Thätigkeit abzutreten, gelähmt. Diese Eigenschaften machten den deutschen Bauern zum besten der Welt. Das wirt¬ schaftliche Gedeihen der Arbeit war damals besonders unter geistlicher Leitung, unter dem gepriesenen Krummstab, so nachhaltig, daß die Rodung der Wald¬ bestände und die Gebirgsgegenden bald nicht mehr genügten, um die rasch zu¬ nehmende Bevölkerung zu versorgen, daß ein Jahrhunderte laug fließender Strom von Auswanderern sich in die östlichen Grenzländer wendete und aus ihnen, die das Schwert der deutschen Eroberer verödet hatte, die Reste der slawischen Bevölkerung dnrch die Arbeitsamkeit der deutschen Bauern viel mehr verdrängte als verdeuschte. In gleicher Weise ist der Aufschwung des Städtewesens, sobald nur die ackerbauende Bevölkerung dicht genug war, um Mittelpunkte für Gewerbe und Handel zu erfordern, ein Beweis für die Kräfte, welche der Nation noch für eine andre Entwicklung zu Gebote standen, als in der die Kaiseridee sich auf¬ lebte. Als diese durch die Scheidung der altererbteu, unklar zusammenfließenden Bestandteile, der Nachfolgerschaft der römischen Kaiser und einer darauf ge¬ gründeten Schirmherrschaft über die Kirche, die Herrschaft über die Gemüter an die folgerecht aufgebaute Lehre der päpstlichen Theokratie verloren hatte, war längst die neue Krystallisirung der Volkskraft im Laufe, die der nächsten Zeit neben den Landesfürftentümern das eigentümlich deutsche und volkstüm¬ liche Gepräge geben sollte. Die Geschichte der Kaiserzeit knüpft sich an mäch¬ tige Individuen aus fürstlichem und geistlichem Stande; die Städte entwickeln sich aus der unbeachteten Thätigkeit zahlloser Einzelnen, wohl meist Höriger, die das Recht der Kaufmannschaft oder übertragene geringfügige Ämter mit der Zähig¬ keit und Rührigkeit des kleinen Mannes angriffen, der weniger zu verlieren, viel mehr zu gewinnen hat. Jeder Vorteil mußte der Lage der Dinge und den eigent¬ lichen Herren erst abgerungen werden und bedürfte dann noch steter Wahrung? so war der Einzelne ganz auf sich angewiesen. Die Willenskraft, die Umsicht und praktische Klugheit mußten sich so immer mehr steigern. Zu besserem Schutz des Erreichten mußten sich die Gleichgestellten zusammenschließen. Das Streben nach Ausdehnung der materiellen Vorteile, Marktgerechtigkeiten, Vor¬ rechte in fremden Städten, Selbstverwaltung unter Herren oder auch andern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/127>, abgerufen am 23.07.2024.