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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Gyinnasialunterricht und Fachbildung.

Literatur anzueignen, legte der andre den Nachdruck auf die grammatikalischen
Übungen und die durch sie gesteigerte Entwicklung des Denkvermögens. Letzterer
führte somit, vielleicht unbewußt, den Formalismus eiuer überwundenen Zeit
wieder in das Lehrsystem ein und bewies damit, wie schwer es für manchen
war, ganz mit den alten Überlieferungen zu brechen. Dieser Gruppe schloß
sich Fichte an, welcher die in den alten Sprachen niedergelegte Begriffsbildung
als das vorzüglichste, wenn nicht gar einzige Mittel zur Schürfung der Denk¬
fähigkeit betrachtete. Gerade die von den modernen Sprachen weit entlegene
Begriffsgestaltnng der klassischen Sprachen erschien ihm von besondrer Bedeutung,
und dabei räumte er dem Griechischen noch den Vorzug vor dem Lateinischen
ein. Auch Hegel legt auf diese Sprachübung großen Wert. Seiner Meinung
nach lohnt sich die Erlernung der alten Sprachen an und für sich selbst; das
grammatische Studium derselbe" macht den Anfang der logischen Bildung aus,
ja kann als elementarische Philosophie angesehen werden. In ihm "fängt der
Verstand an selbst gelernt zu werden." Daneben freilich pries er auch in den
überschwänglichsten Ausdrücken die veredelnde Wirkung des klassischen Studiums.
"Eine allgemeine äußere Bekanntschaft mit den Alten -- bemerkte er 1809 in
einer Rede -- ist nicht hinreichend, sondern wir müssen uns ihnen in .Kost und
Wohnung geben, um ihre Luft, ihre Vorstellungen, ihre Sitten, selbst, wenn
man will, ihre Irrtümer und Vorurteile einzufangen und in dieser Welt heimisch
zu werden, der schönsten, die je gewesen ist. Ich glaube nicht zu viel zu be¬
haupten, wenn ich sage, daß, wer die Werke der Alten nicht gekannt hat, gelebt
hat, ohne die Schönheit zu kennen. Ich brauche an die Großheit ihrer Ge¬
sinnungen, an ihre plastische, von moralischer Zweideutigkeit freie Tugend und
Vaterlandsliebe, an den großen Stil ihrer Thaten und Charaktere, das Mannich-
faltige ihrer Schicksale, ihrer Sitten und Verfassungen nur zu erinnern, um
die Behauptung zu rechtfertige", daß in dem Umfange keiner Bildung so viel
Vortreffliches, Bewundernswürdiges, Originelles, Vielseitiges und Lehrreiches
vereinigt war."

Was Hegel in diesen Worten zusammenfaßt, wurde und wird seitdem in
allen Tonarten wiederholt. Bei dem großen Einflüsse, den er lange Zeit in
akademischen Kreisen ausübte, kann es nicht Wunder nehmen, daß der Zweifel,
ob denn dieses Sicheinleben in den Geist des Altertums auch wirklich die sitt¬
lichen Früchte trage, die man davon erwartete, erst allmählich und schüchtern
in der gebildeten Welt auftrat. Man begann zu fragen, ob der Hellenismus
für die Entwicklung eines deutschen Nationalgeistes fördernd wirken könne, ob
er unerläßlich sei für die Kräftigung des sittlichen Bewußtseins und bürgerlicher
Tugenden, ob das alles nicht auch auf anderen Wege zu erreichen wäre. Ja
es wurden Stimmen laut, welche in der Ablenkung des jugendlichen Geistes
nach einem dämmerigen und von den Aufgaben des deutschen Volkswesens so
weitab liegenden Kulturgebiete die Gefahr einer kosmopolitischen Verflachung


Gyinnasialunterricht und Fachbildung.

Literatur anzueignen, legte der andre den Nachdruck auf die grammatikalischen
Übungen und die durch sie gesteigerte Entwicklung des Denkvermögens. Letzterer
führte somit, vielleicht unbewußt, den Formalismus eiuer überwundenen Zeit
wieder in das Lehrsystem ein und bewies damit, wie schwer es für manchen
war, ganz mit den alten Überlieferungen zu brechen. Dieser Gruppe schloß
sich Fichte an, welcher die in den alten Sprachen niedergelegte Begriffsbildung
als das vorzüglichste, wenn nicht gar einzige Mittel zur Schürfung der Denk¬
fähigkeit betrachtete. Gerade die von den modernen Sprachen weit entlegene
Begriffsgestaltnng der klassischen Sprachen erschien ihm von besondrer Bedeutung,
und dabei räumte er dem Griechischen noch den Vorzug vor dem Lateinischen
ein. Auch Hegel legt auf diese Sprachübung großen Wert. Seiner Meinung
nach lohnt sich die Erlernung der alten Sprachen an und für sich selbst; das
grammatische Studium derselbe» macht den Anfang der logischen Bildung aus,
ja kann als elementarische Philosophie angesehen werden. In ihm „fängt der
Verstand an selbst gelernt zu werden." Daneben freilich pries er auch in den
überschwänglichsten Ausdrücken die veredelnde Wirkung des klassischen Studiums.
„Eine allgemeine äußere Bekanntschaft mit den Alten — bemerkte er 1809 in
einer Rede — ist nicht hinreichend, sondern wir müssen uns ihnen in .Kost und
Wohnung geben, um ihre Luft, ihre Vorstellungen, ihre Sitten, selbst, wenn
man will, ihre Irrtümer und Vorurteile einzufangen und in dieser Welt heimisch
zu werden, der schönsten, die je gewesen ist. Ich glaube nicht zu viel zu be¬
haupten, wenn ich sage, daß, wer die Werke der Alten nicht gekannt hat, gelebt
hat, ohne die Schönheit zu kennen. Ich brauche an die Großheit ihrer Ge¬
sinnungen, an ihre plastische, von moralischer Zweideutigkeit freie Tugend und
Vaterlandsliebe, an den großen Stil ihrer Thaten und Charaktere, das Mannich-
faltige ihrer Schicksale, ihrer Sitten und Verfassungen nur zu erinnern, um
die Behauptung zu rechtfertige«, daß in dem Umfange keiner Bildung so viel
Vortreffliches, Bewundernswürdiges, Originelles, Vielseitiges und Lehrreiches
vereinigt war."

Was Hegel in diesen Worten zusammenfaßt, wurde und wird seitdem in
allen Tonarten wiederholt. Bei dem großen Einflüsse, den er lange Zeit in
akademischen Kreisen ausübte, kann es nicht Wunder nehmen, daß der Zweifel,
ob denn dieses Sicheinleben in den Geist des Altertums auch wirklich die sitt¬
lichen Früchte trage, die man davon erwartete, erst allmählich und schüchtern
in der gebildeten Welt auftrat. Man begann zu fragen, ob der Hellenismus
für die Entwicklung eines deutschen Nationalgeistes fördernd wirken könne, ob
er unerläßlich sei für die Kräftigung des sittlichen Bewußtseins und bürgerlicher
Tugenden, ob das alles nicht auch auf anderen Wege zu erreichen wäre. Ja
es wurden Stimmen laut, welche in der Ablenkung des jugendlichen Geistes
nach einem dämmerigen und von den Aufgaben des deutschen Volkswesens so
weitab liegenden Kulturgebiete die Gefahr einer kosmopolitischen Verflachung


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[0077] Gyinnasialunterricht und Fachbildung. Literatur anzueignen, legte der andre den Nachdruck auf die grammatikalischen Übungen und die durch sie gesteigerte Entwicklung des Denkvermögens. Letzterer führte somit, vielleicht unbewußt, den Formalismus eiuer überwundenen Zeit wieder in das Lehrsystem ein und bewies damit, wie schwer es für manchen war, ganz mit den alten Überlieferungen zu brechen. Dieser Gruppe schloß sich Fichte an, welcher die in den alten Sprachen niedergelegte Begriffsbildung als das vorzüglichste, wenn nicht gar einzige Mittel zur Schürfung der Denk¬ fähigkeit betrachtete. Gerade die von den modernen Sprachen weit entlegene Begriffsgestaltnng der klassischen Sprachen erschien ihm von besondrer Bedeutung, und dabei räumte er dem Griechischen noch den Vorzug vor dem Lateinischen ein. Auch Hegel legt auf diese Sprachübung großen Wert. Seiner Meinung nach lohnt sich die Erlernung der alten Sprachen an und für sich selbst; das grammatische Studium derselbe» macht den Anfang der logischen Bildung aus, ja kann als elementarische Philosophie angesehen werden. In ihm „fängt der Verstand an selbst gelernt zu werden." Daneben freilich pries er auch in den überschwänglichsten Ausdrücken die veredelnde Wirkung des klassischen Studiums. „Eine allgemeine äußere Bekanntschaft mit den Alten — bemerkte er 1809 in einer Rede — ist nicht hinreichend, sondern wir müssen uns ihnen in .Kost und Wohnung geben, um ihre Luft, ihre Vorstellungen, ihre Sitten, selbst, wenn man will, ihre Irrtümer und Vorurteile einzufangen und in dieser Welt heimisch zu werden, der schönsten, die je gewesen ist. Ich glaube nicht zu viel zu be¬ haupten, wenn ich sage, daß, wer die Werke der Alten nicht gekannt hat, gelebt hat, ohne die Schönheit zu kennen. Ich brauche an die Großheit ihrer Ge¬ sinnungen, an ihre plastische, von moralischer Zweideutigkeit freie Tugend und Vaterlandsliebe, an den großen Stil ihrer Thaten und Charaktere, das Mannich- faltige ihrer Schicksale, ihrer Sitten und Verfassungen nur zu erinnern, um die Behauptung zu rechtfertige«, daß in dem Umfange keiner Bildung so viel Vortreffliches, Bewundernswürdiges, Originelles, Vielseitiges und Lehrreiches vereinigt war." Was Hegel in diesen Worten zusammenfaßt, wurde und wird seitdem in allen Tonarten wiederholt. Bei dem großen Einflüsse, den er lange Zeit in akademischen Kreisen ausübte, kann es nicht Wunder nehmen, daß der Zweifel, ob denn dieses Sicheinleben in den Geist des Altertums auch wirklich die sitt¬ lichen Früchte trage, die man davon erwartete, erst allmählich und schüchtern in der gebildeten Welt auftrat. Man begann zu fragen, ob der Hellenismus für die Entwicklung eines deutschen Nationalgeistes fördernd wirken könne, ob er unerläßlich sei für die Kräftigung des sittlichen Bewußtseins und bürgerlicher Tugenden, ob das alles nicht auch auf anderen Wege zu erreichen wäre. Ja es wurden Stimmen laut, welche in der Ablenkung des jugendlichen Geistes nach einem dämmerigen und von den Aufgaben des deutschen Volkswesens so weitab liegenden Kulturgebiete die Gefahr einer kosmopolitischen Verflachung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/77>, abgerufen am 03.07.2024.