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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Der Graf von Noer.

-- schreibt er einmal --, daß ich des Hin- und Herziehens bereits ein wenig
müde bin und eine herbe Sehnsucht nach der Heimat und unserm Stillleben
empfinde." Aus seiner Abneigung gegen das Soldatenleben macht er kein Hehl,
er möchte "die bunte Jacke ausziehen," die er hier "mehr und mehr als Uniform
des Müßigganges kennen gelernt" habe. Gleich dem Vater und dem Oheim,
die ans dem Heere ausgeschieden waren, wünschte er, namentlich da ihm die
ganze Bewegung jetzt entweder "eine leere Demonstration oder ein Kampf mit
dunkeln Unmöglichkeiten" zu werden schien, je eher je lieber den Abschied zu
nehmen. Schließlich geboten ihm im Herbste 1849 auch Gesundheitsrücksichten
aus dem Dienst zu treten und Heilung in einem milderen Klima zu suchen.
Australien, nicht das Land seiner Sehnsucht, Indien, wurde vom Arzt zunächst
als Reiseziel bestimmt. Mochte ihm auch die Trennung schwer fallen, so fesselte
doch das viele Neue, das ihm entgegentrat, seine Aufmerksamkeit im höchsten
Grade. Vom Bord des Schiffes schreibt er an seinem Geburtstage den Eltern:
"Im ganzen finde ich doch, daß meine Lage eine glückliche ist. Unabhängig
wie ich bin, steht nur die Welt offen und die Zukunft. Es ist angenehm, neun-
zehn Jahre alt zu sein!" Die Schönheit des tropischen Meeres machte auf
ihn einen überwältigenden Eindrnck.

Nachdem er ein halbes Jahr in Australien gelebt hatte -- nur wollen
nicht verhehlen, daß die Begründung dieser Reise und des Anfenthaltes in Austra¬
lien einigen Zweifel in uns erregt hat -- "und das Land und seine Bewohner
wenigstens oberflächlich und die Geheimnisse der Schafzucht gründlich kennen
gelernt" hatte, trat er "glücklich darüber, nicht mehr das Opfer anstrcilischer
Narrenspossen und Windbeuteleien zu sein," über Indien die Rückreise an. In
Konstantinopel traf er mit dem Manne zusammen, der aus seine Geistesent¬
wicklung wie überhaupt auf seinen Lebensgang einen bestimmenden Einfluß ge¬
winnen sollte: David Uranhart. Die glänzende Persönlichkeit des Phantastischen
Agitators, welcher damals und noch mehr in den folgende" Jahren durch seine
rastlose Thätigkeit zu Gunsten der Türkei und durch seine Angriffe auf die
russcnfrcnndliche Politik Palmerstons bekannt wurde, fesselte auch sofort den
jungen Prinzen. "Dennoch habe ich -- schreibt er dem Vater, nachdem er ihm
auseinandergesetzt hat, wie lustig ein Reisegefährte sei -- die verwegene Absicht,
mit einem Reisegefährten zurückzukehren, und zwar mit einem vielbekannten und
oft erwähnten Manne, dem Mr. Uranhart, über den ich aber nichts sagen
kann, als daß es ein Mann ist, wie es keinen zweiten mehr giebt. Über ihn
und von ihm wirst du hoffentlich noch recht viel hören. Auf mich wirkt er
wie der Magnet auf den Stahl." Der Vater erhob Bedenken gegen den Ver¬
kehr mit dem vielgenannten Manne, erhielt aber die Antwort: "Wenn du
Urquhart erst kennen gelernt haben wirst, dann bin ich sicher, daß sein Einfluß
auf mich dir keine Sorge mehr machen wird." Gleich nach der Heimkehr be¬
suchte er mit dem Vater, der samt der Familie die Beteiligung an dem schief-


Der Graf von Noer.

— schreibt er einmal —, daß ich des Hin- und Herziehens bereits ein wenig
müde bin und eine herbe Sehnsucht nach der Heimat und unserm Stillleben
empfinde." Aus seiner Abneigung gegen das Soldatenleben macht er kein Hehl,
er möchte „die bunte Jacke ausziehen," die er hier „mehr und mehr als Uniform
des Müßigganges kennen gelernt" habe. Gleich dem Vater und dem Oheim,
die ans dem Heere ausgeschieden waren, wünschte er, namentlich da ihm die
ganze Bewegung jetzt entweder „eine leere Demonstration oder ein Kampf mit
dunkeln Unmöglichkeiten" zu werden schien, je eher je lieber den Abschied zu
nehmen. Schließlich geboten ihm im Herbste 1849 auch Gesundheitsrücksichten
aus dem Dienst zu treten und Heilung in einem milderen Klima zu suchen.
Australien, nicht das Land seiner Sehnsucht, Indien, wurde vom Arzt zunächst
als Reiseziel bestimmt. Mochte ihm auch die Trennung schwer fallen, so fesselte
doch das viele Neue, das ihm entgegentrat, seine Aufmerksamkeit im höchsten
Grade. Vom Bord des Schiffes schreibt er an seinem Geburtstage den Eltern:
„Im ganzen finde ich doch, daß meine Lage eine glückliche ist. Unabhängig
wie ich bin, steht nur die Welt offen und die Zukunft. Es ist angenehm, neun-
zehn Jahre alt zu sein!" Die Schönheit des tropischen Meeres machte auf
ihn einen überwältigenden Eindrnck.

Nachdem er ein halbes Jahr in Australien gelebt hatte — nur wollen
nicht verhehlen, daß die Begründung dieser Reise und des Anfenthaltes in Austra¬
lien einigen Zweifel in uns erregt hat — „und das Land und seine Bewohner
wenigstens oberflächlich und die Geheimnisse der Schafzucht gründlich kennen
gelernt" hatte, trat er „glücklich darüber, nicht mehr das Opfer anstrcilischer
Narrenspossen und Windbeuteleien zu sein," über Indien die Rückreise an. In
Konstantinopel traf er mit dem Manne zusammen, der aus seine Geistesent¬
wicklung wie überhaupt auf seinen Lebensgang einen bestimmenden Einfluß ge¬
winnen sollte: David Uranhart. Die glänzende Persönlichkeit des Phantastischen
Agitators, welcher damals und noch mehr in den folgende» Jahren durch seine
rastlose Thätigkeit zu Gunsten der Türkei und durch seine Angriffe auf die
russcnfrcnndliche Politik Palmerstons bekannt wurde, fesselte auch sofort den
jungen Prinzen. „Dennoch habe ich — schreibt er dem Vater, nachdem er ihm
auseinandergesetzt hat, wie lustig ein Reisegefährte sei — die verwegene Absicht,
mit einem Reisegefährten zurückzukehren, und zwar mit einem vielbekannten und
oft erwähnten Manne, dem Mr. Uranhart, über den ich aber nichts sagen
kann, als daß es ein Mann ist, wie es keinen zweiten mehr giebt. Über ihn
und von ihm wirst du hoffentlich noch recht viel hören. Auf mich wirkt er
wie der Magnet auf den Stahl." Der Vater erhob Bedenken gegen den Ver¬
kehr mit dem vielgenannten Manne, erhielt aber die Antwort: „Wenn du
Urquhart erst kennen gelernt haben wirst, dann bin ich sicher, daß sein Einfluß
auf mich dir keine Sorge mehr machen wird." Gleich nach der Heimkehr be¬
suchte er mit dem Vater, der samt der Familie die Beteiligung an dem schief-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/644>, abgerufen am 03.07.2024.