Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Deutsch-böhmische Briefe.

tschechischer auf, ein Verhältnis, welches wesentlich durch den letztgenannten
Bezirk herbeigeführt wird. Derselbe ist zwar, abgesehen von den in einzelnen
Orten bestehenden großartigen Bergwerken, ein rein ackerbautreibender Bezirk mit
einem Bauernstande, der sehr wohlhabend, sehr begabt und sehr deutsch ge¬
sinnt ist, allein infolge des Aufschwunges der Kohlen- und Eisenindustrie hat
sich seine Bevölkerung seit dem Jahre 1869 außerordentlich, um 41,8 Prozent,
vermehrt und zwar hauptsächlich durch Einwanderung tschechischer Arbeiter.
Dies betrifft indes fast nur die Orte, wo sich die betreffenden Werke befinden.
In den meisten von den achtunddreißig Gemeinden des Staaber Bezirks ver¬
mehrte sich die Einwohnerzahl in normaler Weise, und der nationale Charakter
änderte sich nicht. Selbst da, wo wie z. B. in Nürschan, Blattnitz und
Steinaujezd, Massen solcher Proletarier einströmten, blieb die eigentliche Ge¬
meinde, d. h. die Gesamtheit der einheimischen, grundbesitzenden und steuer-
zahlenden Insassen, deutsch wie zuvor.

Fassen wir die Zahlen für die vier Gruppen mit ihren zweiundzwanzig
Gerichtsbezirken zusammen, so wohnen hier an Zuständigen 353618 Deutsche
und 18252 Tschechen, und rechnen wir dazu die Bewohner der fllnfuudfünfzig
Bezirke der ersten Hauptgruppe des deutscheu Sprachgebietes, so ergiebt sich
folgendes: Die dem österreichischen Stacitsverbaudc ungehörige Bevölkerung
dieses ganzen Gebietes belüuft sich auf 1721452 Personen, von denen
1676 088 Deutsche und 45234 Tschechen sind, während 130 einer andern Natio¬
nalität angehören. Die Deutschen machen also 97,37, die Tschechen 2,63 Prozent
der zuständigen Bevölkerung dieses Teiles von Böhmen aus. Jenes Verhältnis
würde sich aber noch günstiger gestalten, wenn die gemischten Bezirke, d. h. die,
wo sowohl deutsche als tschechische Gemeinden bestehen, nach Möglichkeit in un¬
gemischte verwandelt würden, weil einerseits die Zuteilung deutscher Gemeinden,
die unter überwiegend tschechischen liegen, an deutsche Bezirke die Bevölkerungs¬
ziffer der letzteren erhöht, anderseits die Ausscheidung der tschechischen Gemeinden
aus überwiegend deutschen Bezirken diese zu reiudeutscheu umbildet.

Sind gemischte Bezirke solche, die sowohl deutsche als tschechische Gemeinden
einschließen, so ist deren Zahl nicht so groß, als gewöhnlich angenommen wird;
denn sie beträgt nur siebenunddreißig neben siebenundsiebzig reindeutschen und
hundertzwei reintschechischen Bezirken. Unter jenen siebenunddreißig befinden sich
überdies dreizehn, die nnr eine oder zwei Gemeinden der andern Nationalität
auszuweisen haben. Die vierundzwanzig Bezirke, welche eine größere Anzahl
von Gemeinden beider Nationalitäten umfassen, folgen nachstehend, wobei dem
Namen des Bezirks immer die Zahl der deutscheu und die der tschechischen Be¬
wohnerschaft desselben beigesetzt ist. Leitmeritz, deutsch 34384. tschechisch 7261,
Alle auf dem linken Ufer der Elbe gelegenen Gemeinden dieses Bezirkes, acht
an der Zahl, sind tschechisch. Lobositz, deutsch 14502, tschechisch 4996. Ge¬
meinden der letzteren Nationalität finden sich hier sieben. Weißwasscr, deutsch


Deutsch-böhmische Briefe.

tschechischer auf, ein Verhältnis, welches wesentlich durch den letztgenannten
Bezirk herbeigeführt wird. Derselbe ist zwar, abgesehen von den in einzelnen
Orten bestehenden großartigen Bergwerken, ein rein ackerbautreibender Bezirk mit
einem Bauernstande, der sehr wohlhabend, sehr begabt und sehr deutsch ge¬
sinnt ist, allein infolge des Aufschwunges der Kohlen- und Eisenindustrie hat
sich seine Bevölkerung seit dem Jahre 1869 außerordentlich, um 41,8 Prozent,
vermehrt und zwar hauptsächlich durch Einwanderung tschechischer Arbeiter.
Dies betrifft indes fast nur die Orte, wo sich die betreffenden Werke befinden.
In den meisten von den achtunddreißig Gemeinden des Staaber Bezirks ver¬
mehrte sich die Einwohnerzahl in normaler Weise, und der nationale Charakter
änderte sich nicht. Selbst da, wo wie z. B. in Nürschan, Blattnitz und
Steinaujezd, Massen solcher Proletarier einströmten, blieb die eigentliche Ge¬
meinde, d. h. die Gesamtheit der einheimischen, grundbesitzenden und steuer-
zahlenden Insassen, deutsch wie zuvor.

Fassen wir die Zahlen für die vier Gruppen mit ihren zweiundzwanzig
Gerichtsbezirken zusammen, so wohnen hier an Zuständigen 353618 Deutsche
und 18252 Tschechen, und rechnen wir dazu die Bewohner der fllnfuudfünfzig
Bezirke der ersten Hauptgruppe des deutscheu Sprachgebietes, so ergiebt sich
folgendes: Die dem österreichischen Stacitsverbaudc ungehörige Bevölkerung
dieses ganzen Gebietes belüuft sich auf 1721452 Personen, von denen
1676 088 Deutsche und 45234 Tschechen sind, während 130 einer andern Natio¬
nalität angehören. Die Deutschen machen also 97,37, die Tschechen 2,63 Prozent
der zuständigen Bevölkerung dieses Teiles von Böhmen aus. Jenes Verhältnis
würde sich aber noch günstiger gestalten, wenn die gemischten Bezirke, d. h. die,
wo sowohl deutsche als tschechische Gemeinden bestehen, nach Möglichkeit in un¬
gemischte verwandelt würden, weil einerseits die Zuteilung deutscher Gemeinden,
die unter überwiegend tschechischen liegen, an deutsche Bezirke die Bevölkerungs¬
ziffer der letzteren erhöht, anderseits die Ausscheidung der tschechischen Gemeinden
aus überwiegend deutschen Bezirken diese zu reiudeutscheu umbildet.

Sind gemischte Bezirke solche, die sowohl deutsche als tschechische Gemeinden
einschließen, so ist deren Zahl nicht so groß, als gewöhnlich angenommen wird;
denn sie beträgt nur siebenunddreißig neben siebenundsiebzig reindeutschen und
hundertzwei reintschechischen Bezirken. Unter jenen siebenunddreißig befinden sich
überdies dreizehn, die nnr eine oder zwei Gemeinden der andern Nationalität
auszuweisen haben. Die vierundzwanzig Bezirke, welche eine größere Anzahl
von Gemeinden beider Nationalitäten umfassen, folgen nachstehend, wobei dem
Namen des Bezirks immer die Zahl der deutscheu und die der tschechischen Be¬
wohnerschaft desselben beigesetzt ist. Leitmeritz, deutsch 34384. tschechisch 7261,
Alle auf dem linken Ufer der Elbe gelegenen Gemeinden dieses Bezirkes, acht
an der Zahl, sind tschechisch. Lobositz, deutsch 14502, tschechisch 4996. Ge¬
meinden der letzteren Nationalität finden sich hier sieben. Weißwasscr, deutsch


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0635" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/200740"/>
          <fw type="header" place="top"> Deutsch-böhmische Briefe.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1996" prev="#ID_1995"> tschechischer auf, ein Verhältnis, welches wesentlich durch den letztgenannten<lb/>
Bezirk herbeigeführt wird. Derselbe ist zwar, abgesehen von den in einzelnen<lb/>
Orten bestehenden großartigen Bergwerken, ein rein ackerbautreibender Bezirk mit<lb/>
einem Bauernstande, der sehr wohlhabend, sehr begabt und sehr deutsch ge¬<lb/>
sinnt ist, allein infolge des Aufschwunges der Kohlen- und Eisenindustrie hat<lb/>
sich seine Bevölkerung seit dem Jahre 1869 außerordentlich, um 41,8 Prozent,<lb/>
vermehrt und zwar hauptsächlich durch Einwanderung tschechischer Arbeiter.<lb/>
Dies betrifft indes fast nur die Orte, wo sich die betreffenden Werke befinden.<lb/>
In den meisten von den achtunddreißig Gemeinden des Staaber Bezirks ver¬<lb/>
mehrte sich die Einwohnerzahl in normaler Weise, und der nationale Charakter<lb/>
änderte sich nicht. Selbst da, wo wie z. B. in Nürschan, Blattnitz und<lb/>
Steinaujezd, Massen solcher Proletarier einströmten, blieb die eigentliche Ge¬<lb/>
meinde, d. h. die Gesamtheit der einheimischen, grundbesitzenden und steuer-<lb/>
zahlenden Insassen, deutsch wie zuvor.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1997"> Fassen wir die Zahlen für die vier Gruppen mit ihren zweiundzwanzig<lb/>
Gerichtsbezirken zusammen, so wohnen hier an Zuständigen 353618 Deutsche<lb/>
und 18252 Tschechen, und rechnen wir dazu die Bewohner der fllnfuudfünfzig<lb/>
Bezirke der ersten Hauptgruppe des deutscheu Sprachgebietes, so ergiebt sich<lb/>
folgendes: Die dem österreichischen Stacitsverbaudc ungehörige Bevölkerung<lb/>
dieses ganzen Gebietes belüuft sich auf 1721452 Personen, von denen<lb/>
1676 088 Deutsche und 45234 Tschechen sind, während 130 einer andern Natio¬<lb/>
nalität angehören. Die Deutschen machen also 97,37, die Tschechen 2,63 Prozent<lb/>
der zuständigen Bevölkerung dieses Teiles von Böhmen aus. Jenes Verhältnis<lb/>
würde sich aber noch günstiger gestalten, wenn die gemischten Bezirke, d. h. die,<lb/>
wo sowohl deutsche als tschechische Gemeinden bestehen, nach Möglichkeit in un¬<lb/>
gemischte verwandelt würden, weil einerseits die Zuteilung deutscher Gemeinden,<lb/>
die unter überwiegend tschechischen liegen, an deutsche Bezirke die Bevölkerungs¬<lb/>
ziffer der letzteren erhöht, anderseits die Ausscheidung der tschechischen Gemeinden<lb/>
aus überwiegend deutschen Bezirken diese zu reiudeutscheu umbildet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1998" next="#ID_1999"> Sind gemischte Bezirke solche, die sowohl deutsche als tschechische Gemeinden<lb/>
einschließen, so ist deren Zahl nicht so groß, als gewöhnlich angenommen wird;<lb/>
denn sie beträgt nur siebenunddreißig neben siebenundsiebzig reindeutschen und<lb/>
hundertzwei reintschechischen Bezirken. Unter jenen siebenunddreißig befinden sich<lb/>
überdies dreizehn, die nnr eine oder zwei Gemeinden der andern Nationalität<lb/>
auszuweisen haben. Die vierundzwanzig Bezirke, welche eine größere Anzahl<lb/>
von Gemeinden beider Nationalitäten umfassen, folgen nachstehend, wobei dem<lb/>
Namen des Bezirks immer die Zahl der deutscheu und die der tschechischen Be¬<lb/>
wohnerschaft desselben beigesetzt ist. Leitmeritz, deutsch 34384. tschechisch 7261,<lb/>
Alle auf dem linken Ufer der Elbe gelegenen Gemeinden dieses Bezirkes, acht<lb/>
an der Zahl, sind tschechisch. Lobositz, deutsch 14502, tschechisch 4996. Ge¬<lb/>
meinden der letzteren Nationalität finden sich hier sieben.  Weißwasscr, deutsch</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0635] Deutsch-böhmische Briefe. tschechischer auf, ein Verhältnis, welches wesentlich durch den letztgenannten Bezirk herbeigeführt wird. Derselbe ist zwar, abgesehen von den in einzelnen Orten bestehenden großartigen Bergwerken, ein rein ackerbautreibender Bezirk mit einem Bauernstande, der sehr wohlhabend, sehr begabt und sehr deutsch ge¬ sinnt ist, allein infolge des Aufschwunges der Kohlen- und Eisenindustrie hat sich seine Bevölkerung seit dem Jahre 1869 außerordentlich, um 41,8 Prozent, vermehrt und zwar hauptsächlich durch Einwanderung tschechischer Arbeiter. Dies betrifft indes fast nur die Orte, wo sich die betreffenden Werke befinden. In den meisten von den achtunddreißig Gemeinden des Staaber Bezirks ver¬ mehrte sich die Einwohnerzahl in normaler Weise, und der nationale Charakter änderte sich nicht. Selbst da, wo wie z. B. in Nürschan, Blattnitz und Steinaujezd, Massen solcher Proletarier einströmten, blieb die eigentliche Ge¬ meinde, d. h. die Gesamtheit der einheimischen, grundbesitzenden und steuer- zahlenden Insassen, deutsch wie zuvor. Fassen wir die Zahlen für die vier Gruppen mit ihren zweiundzwanzig Gerichtsbezirken zusammen, so wohnen hier an Zuständigen 353618 Deutsche und 18252 Tschechen, und rechnen wir dazu die Bewohner der fllnfuudfünfzig Bezirke der ersten Hauptgruppe des deutscheu Sprachgebietes, so ergiebt sich folgendes: Die dem österreichischen Stacitsverbaudc ungehörige Bevölkerung dieses ganzen Gebietes belüuft sich auf 1721452 Personen, von denen 1676 088 Deutsche und 45234 Tschechen sind, während 130 einer andern Natio¬ nalität angehören. Die Deutschen machen also 97,37, die Tschechen 2,63 Prozent der zuständigen Bevölkerung dieses Teiles von Böhmen aus. Jenes Verhältnis würde sich aber noch günstiger gestalten, wenn die gemischten Bezirke, d. h. die, wo sowohl deutsche als tschechische Gemeinden bestehen, nach Möglichkeit in un¬ gemischte verwandelt würden, weil einerseits die Zuteilung deutscher Gemeinden, die unter überwiegend tschechischen liegen, an deutsche Bezirke die Bevölkerungs¬ ziffer der letzteren erhöht, anderseits die Ausscheidung der tschechischen Gemeinden aus überwiegend deutschen Bezirken diese zu reiudeutscheu umbildet. Sind gemischte Bezirke solche, die sowohl deutsche als tschechische Gemeinden einschließen, so ist deren Zahl nicht so groß, als gewöhnlich angenommen wird; denn sie beträgt nur siebenunddreißig neben siebenundsiebzig reindeutschen und hundertzwei reintschechischen Bezirken. Unter jenen siebenunddreißig befinden sich überdies dreizehn, die nnr eine oder zwei Gemeinden der andern Nationalität auszuweisen haben. Die vierundzwanzig Bezirke, welche eine größere Anzahl von Gemeinden beider Nationalitäten umfassen, folgen nachstehend, wobei dem Namen des Bezirks immer die Zahl der deutscheu und die der tschechischen Be¬ wohnerschaft desselben beigesetzt ist. Leitmeritz, deutsch 34384. tschechisch 7261, Alle auf dem linken Ufer der Elbe gelegenen Gemeinden dieses Bezirkes, acht an der Zahl, sind tschechisch. Lobositz, deutsch 14502, tschechisch 4996. Ge¬ meinden der letzteren Nationalität finden sich hier sieben. Weißwasscr, deutsch

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/635
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/635>, abgerufen am 22.07.2024.