Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Dichterfreundinnon.

mit ihren Worten ausdrücken: "In unserm Hause begann für Schiller ein neues
Leben, lange hatte er den Reiz eines freien, freundschaftlichen Umganges ent¬
behrt: uns fand er immer empfänglich für die Gedanken, die eben seine Seele
erfüllten. Er wollte auf uus wirken, uns von Poesie, Kunst und philosophische"
Ansichten das mitteilen, was uns frommen könnte; und dies Bestreben gab ihm
selbst eine milde, harmonische Gemütsstimmung. Sein Gespräch floß über in
heiterer Laune, sie erzeugte witzige Einfälle; und wenn oft störende Gestalten
unsern kleinen Kreis beengten, so ließ ihre Entfernung uns das Vergnügen des
reinen Zusammenhanges unter uns nur noch lebhafter empfinden. Wie wohl
war es uns, wenn wir nach einer langweiligen Kaffecvisite unserm genialen
Freunde unter den schönen Bäumen des Saalnfers entgegengehen konnten!
Ein Waldbach, der sich in die Saale ergießt und über den eine schmale Brücke
führt, war das Ziel, wo wir ihn erwarteten. Wenn wir ihn im Schimmer der
Abendröte ans uns zukommend erblickten, dann erschloß sich ein heiteres, ideales
Leben unserm innern Sinne. Hoher Ernst und anmutige, geistreiche Leichtigkeit
des offenen, reinen Gemütes waren in Schillers Umgang immer lebendig; man
wandelte wie zwischen den unwandelbaren Sternen des Himmels und den Blumen
der Erde in seinen Gesprächen. Wie wir uns beglückte Geister denken, von
denen die Banden der Erde abfallen und die sich in einem reinen, leichteren
Elemente der Freiheit eines vollkommeneren Einverständnisses erfreuen, so war
uns zu Mute." Diese kurze Schilderung gehört zu dem Schönsten, was Karo-
line geschrieben hat, und sie war sechsundsechzig Jahre alt, als sie das schrieb.
Ost las Schiller vor, die Odyssee z. B. und die griechischen Tragiker in Über¬
setzungen. Freilich ward er auch oft durch Unwohlsein tagelang an sein Zimmer
gefesselt, und vor den störenden Einflüssen der Witterung mußte er sich sehr
hüten; denn schon damals kündigte sich das Leiden an, dem er später zum
Opfer fiel. Wie sehr auch er sich an den Umgang mit den Schwestern ge¬
wöhnte, geht ans seinen Briefen hervor: "Ich kann mir nicht einbilden -- schreibt
er nach seiner Rückkehr von Weimar aus --, daß alle diese schönen, seelenvollen
Abende, die ich bei Ihnen genoß, dahin sein solle"; daß ich nicht mehr, wie
diesen Sommer, meine Papiere weglege, Feierabend mache und nun hingehe,
mit Ihnen mein Leben zu genießen."

Karoline deutet an, daß "kein Stachel des Verlangens leidenschaftlicher
Zuneigung den friedlichen Genuß der Gegenwart gestört habe." Sie selbst habe
an einer Nervenkrankheit gelitten, die sie sich in der Schweiz durch kaltes Baden
zugezogen hatte, habe nicht ans langes Leben gerechnet und sich in dieser
Stimmung ganz den Ihrigen gewidmet, doch habe sie sich infolge des Verkehrs
mit Schiller wieder mehr zum wahren Genusse des Lebens im Glücke einer
"eubcseelenden Freundschaft hingewendet. Daran war nicht zu zweifeln; die
Seelenfreundschaft entfaltete sich zunächst auf der reinen Höhe des Gedanken¬
austausches und wurde von allen Beteiligten in dieser Weise empfunden.


Dichterfreundinnon.

mit ihren Worten ausdrücken: „In unserm Hause begann für Schiller ein neues
Leben, lange hatte er den Reiz eines freien, freundschaftlichen Umganges ent¬
behrt: uns fand er immer empfänglich für die Gedanken, die eben seine Seele
erfüllten. Er wollte auf uus wirken, uns von Poesie, Kunst und philosophische»
Ansichten das mitteilen, was uns frommen könnte; und dies Bestreben gab ihm
selbst eine milde, harmonische Gemütsstimmung. Sein Gespräch floß über in
heiterer Laune, sie erzeugte witzige Einfälle; und wenn oft störende Gestalten
unsern kleinen Kreis beengten, so ließ ihre Entfernung uns das Vergnügen des
reinen Zusammenhanges unter uns nur noch lebhafter empfinden. Wie wohl
war es uns, wenn wir nach einer langweiligen Kaffecvisite unserm genialen
Freunde unter den schönen Bäumen des Saalnfers entgegengehen konnten!
Ein Waldbach, der sich in die Saale ergießt und über den eine schmale Brücke
führt, war das Ziel, wo wir ihn erwarteten. Wenn wir ihn im Schimmer der
Abendröte ans uns zukommend erblickten, dann erschloß sich ein heiteres, ideales
Leben unserm innern Sinne. Hoher Ernst und anmutige, geistreiche Leichtigkeit
des offenen, reinen Gemütes waren in Schillers Umgang immer lebendig; man
wandelte wie zwischen den unwandelbaren Sternen des Himmels und den Blumen
der Erde in seinen Gesprächen. Wie wir uns beglückte Geister denken, von
denen die Banden der Erde abfallen und die sich in einem reinen, leichteren
Elemente der Freiheit eines vollkommeneren Einverständnisses erfreuen, so war
uns zu Mute." Diese kurze Schilderung gehört zu dem Schönsten, was Karo-
line geschrieben hat, und sie war sechsundsechzig Jahre alt, als sie das schrieb.
Ost las Schiller vor, die Odyssee z. B. und die griechischen Tragiker in Über¬
setzungen. Freilich ward er auch oft durch Unwohlsein tagelang an sein Zimmer
gefesselt, und vor den störenden Einflüssen der Witterung mußte er sich sehr
hüten; denn schon damals kündigte sich das Leiden an, dem er später zum
Opfer fiel. Wie sehr auch er sich an den Umgang mit den Schwestern ge¬
wöhnte, geht ans seinen Briefen hervor: „Ich kann mir nicht einbilden — schreibt
er nach seiner Rückkehr von Weimar aus —, daß alle diese schönen, seelenvollen
Abende, die ich bei Ihnen genoß, dahin sein solle»; daß ich nicht mehr, wie
diesen Sommer, meine Papiere weglege, Feierabend mache und nun hingehe,
mit Ihnen mein Leben zu genießen."

Karoline deutet an, daß „kein Stachel des Verlangens leidenschaftlicher
Zuneigung den friedlichen Genuß der Gegenwart gestört habe." Sie selbst habe
an einer Nervenkrankheit gelitten, die sie sich in der Schweiz durch kaltes Baden
zugezogen hatte, habe nicht ans langes Leben gerechnet und sich in dieser
Stimmung ganz den Ihrigen gewidmet, doch habe sie sich infolge des Verkehrs
mit Schiller wieder mehr zum wahren Genusse des Lebens im Glücke einer
»eubcseelenden Freundschaft hingewendet. Daran war nicht zu zweifeln; die
Seelenfreundschaft entfaltete sich zunächst auf der reinen Höhe des Gedanken¬
austausches und wurde von allen Beteiligten in dieser Weise empfunden.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0548" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/200653"/>
          <fw type="header" place="top"> Dichterfreundinnon.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1718" prev="#ID_1717"> mit ihren Worten ausdrücken: &#x201E;In unserm Hause begann für Schiller ein neues<lb/>
Leben, lange hatte er den Reiz eines freien, freundschaftlichen Umganges ent¬<lb/>
behrt: uns fand er immer empfänglich für die Gedanken, die eben seine Seele<lb/>
erfüllten. Er wollte auf uus wirken, uns von Poesie, Kunst und philosophische»<lb/>
Ansichten das mitteilen, was uns frommen könnte; und dies Bestreben gab ihm<lb/>
selbst eine milde, harmonische Gemütsstimmung. Sein Gespräch floß über in<lb/>
heiterer Laune, sie erzeugte witzige Einfälle; und wenn oft störende Gestalten<lb/>
unsern kleinen Kreis beengten, so ließ ihre Entfernung uns das Vergnügen des<lb/>
reinen Zusammenhanges unter uns nur noch lebhafter empfinden. Wie wohl<lb/>
war es uns, wenn wir nach einer langweiligen Kaffecvisite unserm genialen<lb/>
Freunde unter den schönen Bäumen des Saalnfers entgegengehen konnten!<lb/>
Ein Waldbach, der sich in die Saale ergießt und über den eine schmale Brücke<lb/>
führt, war das Ziel, wo wir ihn erwarteten. Wenn wir ihn im Schimmer der<lb/>
Abendröte ans uns zukommend erblickten, dann erschloß sich ein heiteres, ideales<lb/>
Leben unserm innern Sinne. Hoher Ernst und anmutige, geistreiche Leichtigkeit<lb/>
des offenen, reinen Gemütes waren in Schillers Umgang immer lebendig; man<lb/>
wandelte wie zwischen den unwandelbaren Sternen des Himmels und den Blumen<lb/>
der Erde in seinen Gesprächen. Wie wir uns beglückte Geister denken, von<lb/>
denen die Banden der Erde abfallen und die sich in einem reinen, leichteren<lb/>
Elemente der Freiheit eines vollkommeneren Einverständnisses erfreuen, so war<lb/>
uns zu Mute." Diese kurze Schilderung gehört zu dem Schönsten, was Karo-<lb/>
line geschrieben hat, und sie war sechsundsechzig Jahre alt, als sie das schrieb.<lb/>
Ost las Schiller vor, die Odyssee z. B. und die griechischen Tragiker in Über¬<lb/>
setzungen. Freilich ward er auch oft durch Unwohlsein tagelang an sein Zimmer<lb/>
gefesselt, und vor den störenden Einflüssen der Witterung mußte er sich sehr<lb/>
hüten; denn schon damals kündigte sich das Leiden an, dem er später zum<lb/>
Opfer fiel. Wie sehr auch er sich an den Umgang mit den Schwestern ge¬<lb/>
wöhnte, geht ans seinen Briefen hervor: &#x201E;Ich kann mir nicht einbilden &#x2014; schreibt<lb/>
er nach seiner Rückkehr von Weimar aus &#x2014;, daß alle diese schönen, seelenvollen<lb/>
Abende, die ich bei Ihnen genoß, dahin sein solle»; daß ich nicht mehr, wie<lb/>
diesen Sommer, meine Papiere weglege, Feierabend mache und nun hingehe,<lb/>
mit Ihnen mein Leben zu genießen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1719" next="#ID_1720"> Karoline deutet an, daß &#x201E;kein Stachel des Verlangens leidenschaftlicher<lb/>
Zuneigung den friedlichen Genuß der Gegenwart gestört habe." Sie selbst habe<lb/>
an einer Nervenkrankheit gelitten, die sie sich in der Schweiz durch kaltes Baden<lb/>
zugezogen hatte, habe nicht ans langes Leben gerechnet und sich in dieser<lb/>
Stimmung ganz den Ihrigen gewidmet, doch habe sie sich infolge des Verkehrs<lb/>
mit Schiller wieder mehr zum wahren Genusse des Lebens im Glücke einer<lb/>
»eubcseelenden Freundschaft hingewendet. Daran war nicht zu zweifeln; die<lb/>
Seelenfreundschaft entfaltete sich zunächst auf der reinen Höhe des Gedanken¬<lb/>
austausches und wurde von allen Beteiligten in dieser Weise empfunden.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0548] Dichterfreundinnon. mit ihren Worten ausdrücken: „In unserm Hause begann für Schiller ein neues Leben, lange hatte er den Reiz eines freien, freundschaftlichen Umganges ent¬ behrt: uns fand er immer empfänglich für die Gedanken, die eben seine Seele erfüllten. Er wollte auf uus wirken, uns von Poesie, Kunst und philosophische» Ansichten das mitteilen, was uns frommen könnte; und dies Bestreben gab ihm selbst eine milde, harmonische Gemütsstimmung. Sein Gespräch floß über in heiterer Laune, sie erzeugte witzige Einfälle; und wenn oft störende Gestalten unsern kleinen Kreis beengten, so ließ ihre Entfernung uns das Vergnügen des reinen Zusammenhanges unter uns nur noch lebhafter empfinden. Wie wohl war es uns, wenn wir nach einer langweiligen Kaffecvisite unserm genialen Freunde unter den schönen Bäumen des Saalnfers entgegengehen konnten! Ein Waldbach, der sich in die Saale ergießt und über den eine schmale Brücke führt, war das Ziel, wo wir ihn erwarteten. Wenn wir ihn im Schimmer der Abendröte ans uns zukommend erblickten, dann erschloß sich ein heiteres, ideales Leben unserm innern Sinne. Hoher Ernst und anmutige, geistreiche Leichtigkeit des offenen, reinen Gemütes waren in Schillers Umgang immer lebendig; man wandelte wie zwischen den unwandelbaren Sternen des Himmels und den Blumen der Erde in seinen Gesprächen. Wie wir uns beglückte Geister denken, von denen die Banden der Erde abfallen und die sich in einem reinen, leichteren Elemente der Freiheit eines vollkommeneren Einverständnisses erfreuen, so war uns zu Mute." Diese kurze Schilderung gehört zu dem Schönsten, was Karo- line geschrieben hat, und sie war sechsundsechzig Jahre alt, als sie das schrieb. Ost las Schiller vor, die Odyssee z. B. und die griechischen Tragiker in Über¬ setzungen. Freilich ward er auch oft durch Unwohlsein tagelang an sein Zimmer gefesselt, und vor den störenden Einflüssen der Witterung mußte er sich sehr hüten; denn schon damals kündigte sich das Leiden an, dem er später zum Opfer fiel. Wie sehr auch er sich an den Umgang mit den Schwestern ge¬ wöhnte, geht ans seinen Briefen hervor: „Ich kann mir nicht einbilden — schreibt er nach seiner Rückkehr von Weimar aus —, daß alle diese schönen, seelenvollen Abende, die ich bei Ihnen genoß, dahin sein solle»; daß ich nicht mehr, wie diesen Sommer, meine Papiere weglege, Feierabend mache und nun hingehe, mit Ihnen mein Leben zu genießen." Karoline deutet an, daß „kein Stachel des Verlangens leidenschaftlicher Zuneigung den friedlichen Genuß der Gegenwart gestört habe." Sie selbst habe an einer Nervenkrankheit gelitten, die sie sich in der Schweiz durch kaltes Baden zugezogen hatte, habe nicht ans langes Leben gerechnet und sich in dieser Stimmung ganz den Ihrigen gewidmet, doch habe sie sich infolge des Verkehrs mit Schiller wieder mehr zum wahren Genusse des Lebens im Glücke einer »eubcseelenden Freundschaft hingewendet. Daran war nicht zu zweifeln; die Seelenfreundschaft entfaltete sich zunächst auf der reinen Höhe des Gedanken¬ austausches und wurde von allen Beteiligten in dieser Weise empfunden.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/548
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/548>, abgerufen am 01.10.2024.