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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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kratischer Lump," schrieb Stephani in sein Tagebuch; und 1859 entgingen ihm
nicht die österreichischen Sympathien der Leipziger Altkonscrvativen. Im Januar
1860 aber trat er dem Nationalverein bei, wofür er durch Nichtbestätigung in
dem Amte eines unbesoldeten Stadtrates bestraft wurde. Er blieb jedoch Klcin-
dentscher auch in den folgenden Jahren, wo er, wie die Allermeisten, weit ent¬
fernt war, die Durchführung seines Programms von Bismarck zu erwarten.
Das Jahr 1866 traf ihn als Vizebürgermcistcr, große Lasten von Arbeit und
Verantwortlichkeit mußte er auf sich nehmen, und durch die Verzögerung des
Friedensschlusses bis in den Oktober wurde die öffentliche Stellung für einen
Mann von seiner Gesinnung doppelt schwierig. Und als endlich Friede war,
wurde der ganze Stadtrat von den Partikularisten ungefähr wie Vaterlands-
verräter behandelt. Im Dezember desselben Jahres wagte Stephani bei einem
Festessen einen Trinkspruch aus den Norddeutschen Bund auszubringen, aber
ihm antwortete Zischen neben Bravorufen. Bald darauf stellten ihn die National-
gesinnten als Kandidaten für den konstitnirendcn Reichstag auf, er erhielt anch
am 1^. Februar 1867 die meisten Stimmen, aber nicht die absolute Majorität,
und bei der Stichwahl fielen die Stimmen der "ins Sozialistische schillernden
Demokraten" und der Grvßdeutsch-Radikalen (deren Main? Heinrich Wuttke
gewesen war) dem Partikularisten Wächter zu. Dafür siegte Stephani bei der
Wahl für den ersten ordentlichen Reichstag -- wider seinen Willen; denn ihn
hatten Angriffe und Verdächtigungen während der ersten Wahlagitationen
("ekelhaftes Herumwerfen in den Blättern und häßliche Beschuldigungen") bitter
gekränkt, und nur mit Mühe war er zur Annahme des Maubads zu bewegen.

Der Mann der ernsten praktischen Thätigkeit fühlte sich durch das parla¬
mentarische Wesen zunächst wenig angemutet. "Schrecklich viel unnütze Reden."
Aber die großen Aufgaben der Versammlung nahmen ihn bald in Anspruch; er
war Berichterstatter der Gewerbekommissivn für das "Notgesetz," dnrch welches
1868 die größten Schranken der Gewerbefreihcir beseitigt wurden. Der Ver¬
fasser hat natürlich Recht, wenn er sagt, daß neben der Freizügigkeit die ge¬
werbliche Gebundenheit nicht fortbestehen konnte, allein über die mit der un¬
bedingten Freizügigkeit gemachten Erfahrungen geht er unsers Vedünkens zu
leicht hinweg. Doch wer Hütte damals sich gegen dieses "Grundrecht" wehren
können! Hervorragender Anteil wird Stephani anch an dem Zustandekommen
der Gesetze über den Unterstützungswohnsitz und über das Urheberrecht an
Schriftwerken zugeschrieben, als Vertreter der ersten Bnchhändlerstadt war er
in dem zweiten Falle besonders berufen, den Anhängern einer "bis zur Frei¬
beuterei getriebenen Freiheit" den Standpunkt klar zu machen. Daneben liefen
schon häusliche Zwiste hin zwischen den aus der preußischen Fortschrittspartei
hervorgegangenen und denjenigen Fraktionsmitgliedcrn, welche aus andern
Staaten oder den neuen Provinzen gekommen waren und nicht wie jene den
alten Sauerteig aus der Kvuflittszeit mitgebracht hatten. "Tochter-Hennigsche


kratischer Lump," schrieb Stephani in sein Tagebuch; und 1859 entgingen ihm
nicht die österreichischen Sympathien der Leipziger Altkonscrvativen. Im Januar
1860 aber trat er dem Nationalverein bei, wofür er durch Nichtbestätigung in
dem Amte eines unbesoldeten Stadtrates bestraft wurde. Er blieb jedoch Klcin-
dentscher auch in den folgenden Jahren, wo er, wie die Allermeisten, weit ent¬
fernt war, die Durchführung seines Programms von Bismarck zu erwarten.
Das Jahr 1866 traf ihn als Vizebürgermcistcr, große Lasten von Arbeit und
Verantwortlichkeit mußte er auf sich nehmen, und durch die Verzögerung des
Friedensschlusses bis in den Oktober wurde die öffentliche Stellung für einen
Mann von seiner Gesinnung doppelt schwierig. Und als endlich Friede war,
wurde der ganze Stadtrat von den Partikularisten ungefähr wie Vaterlands-
verräter behandelt. Im Dezember desselben Jahres wagte Stephani bei einem
Festessen einen Trinkspruch aus den Norddeutschen Bund auszubringen, aber
ihm antwortete Zischen neben Bravorufen. Bald darauf stellten ihn die National-
gesinnten als Kandidaten für den konstitnirendcn Reichstag auf, er erhielt anch
am 1^. Februar 1867 die meisten Stimmen, aber nicht die absolute Majorität,
und bei der Stichwahl fielen die Stimmen der „ins Sozialistische schillernden
Demokraten" und der Grvßdeutsch-Radikalen (deren Main? Heinrich Wuttke
gewesen war) dem Partikularisten Wächter zu. Dafür siegte Stephani bei der
Wahl für den ersten ordentlichen Reichstag — wider seinen Willen; denn ihn
hatten Angriffe und Verdächtigungen während der ersten Wahlagitationen
(„ekelhaftes Herumwerfen in den Blättern und häßliche Beschuldigungen") bitter
gekränkt, und nur mit Mühe war er zur Annahme des Maubads zu bewegen.

Der Mann der ernsten praktischen Thätigkeit fühlte sich durch das parla¬
mentarische Wesen zunächst wenig angemutet. „Schrecklich viel unnütze Reden."
Aber die großen Aufgaben der Versammlung nahmen ihn bald in Anspruch; er
war Berichterstatter der Gewerbekommissivn für das „Notgesetz," dnrch welches
1868 die größten Schranken der Gewerbefreihcir beseitigt wurden. Der Ver¬
fasser hat natürlich Recht, wenn er sagt, daß neben der Freizügigkeit die ge¬
werbliche Gebundenheit nicht fortbestehen konnte, allein über die mit der un¬
bedingten Freizügigkeit gemachten Erfahrungen geht er unsers Vedünkens zu
leicht hinweg. Doch wer Hütte damals sich gegen dieses „Grundrecht" wehren
können! Hervorragender Anteil wird Stephani anch an dem Zustandekommen
der Gesetze über den Unterstützungswohnsitz und über das Urheberrecht an
Schriftwerken zugeschrieben, als Vertreter der ersten Bnchhändlerstadt war er
in dem zweiten Falle besonders berufen, den Anhängern einer „bis zur Frei¬
beuterei getriebenen Freiheit" den Standpunkt klar zu machen. Daneben liefen
schon häusliche Zwiste hin zwischen den aus der preußischen Fortschrittspartei
hervorgegangenen und denjenigen Fraktionsmitgliedcrn, welche aus andern
Staaten oder den neuen Provinzen gekommen waren und nicht wie jene den
alten Sauerteig aus der Kvuflittszeit mitgebracht hatten. „Tochter-Hennigsche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/520>, abgerufen am 23.12.2024.