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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Bauernrevolution, ist sehr fromm und sehr zahm geworden; es betet heute an,
was es einst verbrannt hat, im wörtlichsten Sinne gesprochen.

Von Schönthal führt ein herrlicher Weg nach Witscht. Er ist nicht das, was
man romantisch nennt, aber von großem poetischen Zauber. Durch ein Seiten¬
thälchen der Jaxt, das in Muschelkalk ausgewaschen ist lind dessen nicht hohe, aber
steile Wände mit Eichwald bedeckt sind, geht ununterbrochen durch Wiesen ein
schmaler Fußpfad, nicht breiter als ihn der im Geleis bleibende Fuß in Grasnarbe zu
bahnen pflegt. Zwischen Wald und Himmel muß hier in der heißen, zitternden
Sommerluft der einsame Wanderer sich wie in ein menschen- und weltfernes
Märchen verirrt vorkommen. Zwei Stunden lang keine Straße, keine Hütte
oder Mühle, nur einmal zwei hohe, über den Wald hcrüberblickeude Schloßtürme.
Wahrhaftig, wenn auf irgendeinem, so muß man auf einem solchen Wege zu
den Wohnungen von Feen oder Heiligen gelangen.

Aber noch liegt eine ganze Stadt dazwischen, keine große zwar, doch
eine mit sehr unheiligen Erinnerungen. Ballenberg heißt sie, und sie kann sich,
wenn sie gleich nicht im Meyerschen Lexikon steht und auch nur vierhundert-
nndsiebcnnndachtzig Einwohner zählt, rühmen, eines berühmten Mannes Gcburts-
und Wohnort gewesen zu sein, jenes Georg Metzler nämlich, der im Goethischen
Götz vieles garnicht Ergötzliche thut und sagt, und der in den Darstellungen
der Geschichtschreiber kaum wesentlich anders erscheint. Er war hier Schenkwirt,
und die Bauern ließen sich gern klaren Wein von ihm einschenken. Später
wurde er der Danton oder Robespierre seiner Zeit und seines Landes, wenn
anch nur insofern, als die Katze eine Art von Tiger ist, was die Zoologen ganz
ungerechterweise umgekehrt ausdrücken. Metzlers größte Liebhaberei, die Aristo¬
kraten Spießruten laufen zu lassen, war in Wahrheit ein rechtes Katzenvergnügen,
seine französischen tigerartigen Vettern des achtzehnten Jahrhunderts spaßten
nicht so lange mit ihrer Guillotine. Lexikonpopularität scheint der Mann übrigens
heutzutage so wenig zu besitzen wie seine Vaterstadt. Und doch ist diese ehr¬
würdige Stadt Ballenberg noch dazu der Vorhof oder wenigstens Vorplatz zu
dem Geschichtstempel und Legendcnheiligtnm der heiligen Magdalena und des
heiligen Josephs von Witscht. Hier wohnte und wirkte der große Prophet
Ambrosius Oschwald.

Die Vaterstadt der heiligen Magdalena aber ist ungefähr eine halbe
Stande nordwärts von Ballenberg am Haselbach gelegen. Offiziell heißt der
Ort nicht Witscht, sondern Wittstadt; jenes ist nur sozusagen sein Kosename,
den ich, weil er viel kürzer ist und mir vertraulicher im Ohr klingt, auch künftig
für den andern beibehalten möchte.

Als ich vor einiger Zeit wieder einmal einen kurzen Sommeraufenthalt
in Witscht hielt, waren gerade große Manöver in der Umgegend. Täglich
marschirten Truppenmassen von Ballenberg herauf, und viel gaffendes Volk
sammelte sich dann an der Straße. Dabei konnte es dem zufälligen Zuschauer


Bauernrevolution, ist sehr fromm und sehr zahm geworden; es betet heute an,
was es einst verbrannt hat, im wörtlichsten Sinne gesprochen.

Von Schönthal führt ein herrlicher Weg nach Witscht. Er ist nicht das, was
man romantisch nennt, aber von großem poetischen Zauber. Durch ein Seiten¬
thälchen der Jaxt, das in Muschelkalk ausgewaschen ist lind dessen nicht hohe, aber
steile Wände mit Eichwald bedeckt sind, geht ununterbrochen durch Wiesen ein
schmaler Fußpfad, nicht breiter als ihn der im Geleis bleibende Fuß in Grasnarbe zu
bahnen pflegt. Zwischen Wald und Himmel muß hier in der heißen, zitternden
Sommerluft der einsame Wanderer sich wie in ein menschen- und weltfernes
Märchen verirrt vorkommen. Zwei Stunden lang keine Straße, keine Hütte
oder Mühle, nur einmal zwei hohe, über den Wald hcrüberblickeude Schloßtürme.
Wahrhaftig, wenn auf irgendeinem, so muß man auf einem solchen Wege zu
den Wohnungen von Feen oder Heiligen gelangen.

Aber noch liegt eine ganze Stadt dazwischen, keine große zwar, doch
eine mit sehr unheiligen Erinnerungen. Ballenberg heißt sie, und sie kann sich,
wenn sie gleich nicht im Meyerschen Lexikon steht und auch nur vierhundert-
nndsiebcnnndachtzig Einwohner zählt, rühmen, eines berühmten Mannes Gcburts-
und Wohnort gewesen zu sein, jenes Georg Metzler nämlich, der im Goethischen
Götz vieles garnicht Ergötzliche thut und sagt, und der in den Darstellungen
der Geschichtschreiber kaum wesentlich anders erscheint. Er war hier Schenkwirt,
und die Bauern ließen sich gern klaren Wein von ihm einschenken. Später
wurde er der Danton oder Robespierre seiner Zeit und seines Landes, wenn
anch nur insofern, als die Katze eine Art von Tiger ist, was die Zoologen ganz
ungerechterweise umgekehrt ausdrücken. Metzlers größte Liebhaberei, die Aristo¬
kraten Spießruten laufen zu lassen, war in Wahrheit ein rechtes Katzenvergnügen,
seine französischen tigerartigen Vettern des achtzehnten Jahrhunderts spaßten
nicht so lange mit ihrer Guillotine. Lexikonpopularität scheint der Mann übrigens
heutzutage so wenig zu besitzen wie seine Vaterstadt. Und doch ist diese ehr¬
würdige Stadt Ballenberg noch dazu der Vorhof oder wenigstens Vorplatz zu
dem Geschichtstempel und Legendcnheiligtnm der heiligen Magdalena und des
heiligen Josephs von Witscht. Hier wohnte und wirkte der große Prophet
Ambrosius Oschwald.

Die Vaterstadt der heiligen Magdalena aber ist ungefähr eine halbe
Stande nordwärts von Ballenberg am Haselbach gelegen. Offiziell heißt der
Ort nicht Witscht, sondern Wittstadt; jenes ist nur sozusagen sein Kosename,
den ich, weil er viel kürzer ist und mir vertraulicher im Ohr klingt, auch künftig
für den andern beibehalten möchte.

Als ich vor einiger Zeit wieder einmal einen kurzen Sommeraufenthalt
in Witscht hielt, waren gerade große Manöver in der Umgegend. Täglich
marschirten Truppenmassen von Ballenberg herauf, und viel gaffendes Volk
sammelte sich dann an der Straße. Dabei konnte es dem zufälligen Zuschauer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/50>, abgerufen am 22.12.2024.