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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Die Literatur und das verbrechen.

ausgeführt werden, welches auf das Vorhandensein eines Wetteifers schließen
läßt. Wenn ein Schurke seine Geliebte zu ermorden beschließt, so sucht er sich
eine Methode aus, die möglichst drastisch und Aufsehen erregend ist, wie um
die Probe zu machen, ob er oder der Verfasser des neuesten Sensationsromans
eine lebendigere Einbildungskraft besitze. Dieser Wettstreit wird in der That
manchmal zu Gunsten -- wenn man so sagen darf -- der Verbrecher ent¬
schieden. Wählen wir aus vielen Beispielen nur ein einziges aus. Ist es
nicht das neueste, so ist es doch höchst charakteristisch für die Art der Ver¬
brechen, die man gewissermaßen als literarisch eingegeben bezeichnen kann. Vor
etwa einem Vierteljahre setzte der Prozeß des Mörders Blanc Paris und
Europa in Aufregung. Das Verbrechen dieses Menschen steht fast einzig da
in Hinsicht auf kaltlächclnde Brutalität und theatralischen Aufputz. Sein Ge¬
schäft bezeichnet die französische Sprache durch ein Wort, welches der Senat
vor einiger Zeit verbot, vor seinen Schranken auszusprechen, weil es unpassend
sei, dasselbe vor einer so hohen Versammlung zu gebrauchen. Blanc that sich
mit einem Frauenzimmer, Lea Heritier, zusammen, die er für eine geeignete
Gehilfin in seiner edeln Beschäftigung hielt. Als sie sich weigerte, ihm folgsam
zu sein, prügelte er sie durch und beraubte sie. Deswegen ins Gefängnis ge¬
steckt, beschloß er bei seiner Entlassung, sie zu ermorden, da er sie nicht auf
einem billigeren Wege zu seinem Opfer machen konnte. Nach einigen vergeb¬
lichen Versuchen wußte er doch in ihr Zimmer zu gelangen und schnitt ihr mit
einem verborgen gehaltenen Messer den Hals ab. Dann hing er ihren Kopf
zum Fenster hinaus, indem er ihn an den Griffen der Fensterläden befestigte.
Endlich, um die Szene zu vollenden, tötete er sich selbst.

Das kann man in der That ein literarisches Verbrechen nennen, ganz in
der Art der Schaueruovellistik und der Kolportagcromane. Es hat nicht einen
einzigen versöhnenden Zug und wurde nur mit Rücksicht auf den äußerlichen
Effekt ausgeführt. Blanc war nicht damit zufrieden, die Frau einfach zu töten.
Er war entschlossen, einen großen Eindruck hervorzurufen, und er wählte sein
Mittel mit Überlegung und Verständnis. Er kannte sein Publikum und wußte,
wie es zu gewinnen war.

Es gehört kein Überfluß an Scharfsinn dazu, in einem solchen Verbrechen
einen schlagenden Beweis für eine ganz abnorme Anhäufung von unempfind¬
licher Brutalität in einem Volke zu erkennen. Ein Geschöpf von Blancs Art
hätte den bloßen Mord auch unter einem andern Volke ausführen können; er
würde ihn aber nicht mit so vielen zur Schau getragenen Einzelheiten ausge¬
schmückt haben, wenn er nicht eben unter Leuten gelebt hätte, welche an ihnen
ein gewisses künstlerisches Vergnügen empfinden. Er muß dazu ermutigt worden
sein durch die Überzeugung, daß ihm wegen der willkommenen Sensation, die
er hervorrief, sein Verbrechen schon halb vergeben sein werde. Es ist freilich
wahr, daß er sich selbst umbrachte und sich so den Genuß seines Ruhmes entzog,


Die Literatur und das verbrechen.

ausgeführt werden, welches auf das Vorhandensein eines Wetteifers schließen
läßt. Wenn ein Schurke seine Geliebte zu ermorden beschließt, so sucht er sich
eine Methode aus, die möglichst drastisch und Aufsehen erregend ist, wie um
die Probe zu machen, ob er oder der Verfasser des neuesten Sensationsromans
eine lebendigere Einbildungskraft besitze. Dieser Wettstreit wird in der That
manchmal zu Gunsten — wenn man so sagen darf — der Verbrecher ent¬
schieden. Wählen wir aus vielen Beispielen nur ein einziges aus. Ist es
nicht das neueste, so ist es doch höchst charakteristisch für die Art der Ver¬
brechen, die man gewissermaßen als literarisch eingegeben bezeichnen kann. Vor
etwa einem Vierteljahre setzte der Prozeß des Mörders Blanc Paris und
Europa in Aufregung. Das Verbrechen dieses Menschen steht fast einzig da
in Hinsicht auf kaltlächclnde Brutalität und theatralischen Aufputz. Sein Ge¬
schäft bezeichnet die französische Sprache durch ein Wort, welches der Senat
vor einiger Zeit verbot, vor seinen Schranken auszusprechen, weil es unpassend
sei, dasselbe vor einer so hohen Versammlung zu gebrauchen. Blanc that sich
mit einem Frauenzimmer, Lea Heritier, zusammen, die er für eine geeignete
Gehilfin in seiner edeln Beschäftigung hielt. Als sie sich weigerte, ihm folgsam
zu sein, prügelte er sie durch und beraubte sie. Deswegen ins Gefängnis ge¬
steckt, beschloß er bei seiner Entlassung, sie zu ermorden, da er sie nicht auf
einem billigeren Wege zu seinem Opfer machen konnte. Nach einigen vergeb¬
lichen Versuchen wußte er doch in ihr Zimmer zu gelangen und schnitt ihr mit
einem verborgen gehaltenen Messer den Hals ab. Dann hing er ihren Kopf
zum Fenster hinaus, indem er ihn an den Griffen der Fensterläden befestigte.
Endlich, um die Szene zu vollenden, tötete er sich selbst.

Das kann man in der That ein literarisches Verbrechen nennen, ganz in
der Art der Schaueruovellistik und der Kolportagcromane. Es hat nicht einen
einzigen versöhnenden Zug und wurde nur mit Rücksicht auf den äußerlichen
Effekt ausgeführt. Blanc war nicht damit zufrieden, die Frau einfach zu töten.
Er war entschlossen, einen großen Eindruck hervorzurufen, und er wählte sein
Mittel mit Überlegung und Verständnis. Er kannte sein Publikum und wußte,
wie es zu gewinnen war.

Es gehört kein Überfluß an Scharfsinn dazu, in einem solchen Verbrechen
einen schlagenden Beweis für eine ganz abnorme Anhäufung von unempfind¬
licher Brutalität in einem Volke zu erkennen. Ein Geschöpf von Blancs Art
hätte den bloßen Mord auch unter einem andern Volke ausführen können; er
würde ihn aber nicht mit so vielen zur Schau getragenen Einzelheiten ausge¬
schmückt haben, wenn er nicht eben unter Leuten gelebt hätte, welche an ihnen
ein gewisses künstlerisches Vergnügen empfinden. Er muß dazu ermutigt worden
sein durch die Überzeugung, daß ihm wegen der willkommenen Sensation, die
er hervorrief, sein Verbrechen schon halb vergeben sein werde. Es ist freilich
wahr, daß er sich selbst umbrachte und sich so den Genuß seines Ruhmes entzog,


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[0494] Die Literatur und das verbrechen. ausgeführt werden, welches auf das Vorhandensein eines Wetteifers schließen läßt. Wenn ein Schurke seine Geliebte zu ermorden beschließt, so sucht er sich eine Methode aus, die möglichst drastisch und Aufsehen erregend ist, wie um die Probe zu machen, ob er oder der Verfasser des neuesten Sensationsromans eine lebendigere Einbildungskraft besitze. Dieser Wettstreit wird in der That manchmal zu Gunsten — wenn man so sagen darf — der Verbrecher ent¬ schieden. Wählen wir aus vielen Beispielen nur ein einziges aus. Ist es nicht das neueste, so ist es doch höchst charakteristisch für die Art der Ver¬ brechen, die man gewissermaßen als literarisch eingegeben bezeichnen kann. Vor etwa einem Vierteljahre setzte der Prozeß des Mörders Blanc Paris und Europa in Aufregung. Das Verbrechen dieses Menschen steht fast einzig da in Hinsicht auf kaltlächclnde Brutalität und theatralischen Aufputz. Sein Ge¬ schäft bezeichnet die französische Sprache durch ein Wort, welches der Senat vor einiger Zeit verbot, vor seinen Schranken auszusprechen, weil es unpassend sei, dasselbe vor einer so hohen Versammlung zu gebrauchen. Blanc that sich mit einem Frauenzimmer, Lea Heritier, zusammen, die er für eine geeignete Gehilfin in seiner edeln Beschäftigung hielt. Als sie sich weigerte, ihm folgsam zu sein, prügelte er sie durch und beraubte sie. Deswegen ins Gefängnis ge¬ steckt, beschloß er bei seiner Entlassung, sie zu ermorden, da er sie nicht auf einem billigeren Wege zu seinem Opfer machen konnte. Nach einigen vergeb¬ lichen Versuchen wußte er doch in ihr Zimmer zu gelangen und schnitt ihr mit einem verborgen gehaltenen Messer den Hals ab. Dann hing er ihren Kopf zum Fenster hinaus, indem er ihn an den Griffen der Fensterläden befestigte. Endlich, um die Szene zu vollenden, tötete er sich selbst. Das kann man in der That ein literarisches Verbrechen nennen, ganz in der Art der Schaueruovellistik und der Kolportagcromane. Es hat nicht einen einzigen versöhnenden Zug und wurde nur mit Rücksicht auf den äußerlichen Effekt ausgeführt. Blanc war nicht damit zufrieden, die Frau einfach zu töten. Er war entschlossen, einen großen Eindruck hervorzurufen, und er wählte sein Mittel mit Überlegung und Verständnis. Er kannte sein Publikum und wußte, wie es zu gewinnen war. Es gehört kein Überfluß an Scharfsinn dazu, in einem solchen Verbrechen einen schlagenden Beweis für eine ganz abnorme Anhäufung von unempfind¬ licher Brutalität in einem Volke zu erkennen. Ein Geschöpf von Blancs Art hätte den bloßen Mord auch unter einem andern Volke ausführen können; er würde ihn aber nicht mit so vielen zur Schau getragenen Einzelheiten ausge¬ schmückt haben, wenn er nicht eben unter Leuten gelebt hätte, welche an ihnen ein gewisses künstlerisches Vergnügen empfinden. Er muß dazu ermutigt worden sein durch die Überzeugung, daß ihm wegen der willkommenen Sensation, die er hervorrief, sein Verbrechen schon halb vergeben sein werde. Es ist freilich wahr, daß er sich selbst umbrachte und sich so den Genuß seines Ruhmes entzog,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/494>, abgerufen am 22.07.2024.