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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Zur Jahreswende,

und mich den Glauben an sich selbst verloren zu haben. Gegenwärtig hat sich
das Verhältnis bereits wieder ganz anders gestaltet. Die damals von der
nationalen Sache abgefallenen, die doch eigentlich nicht abgefallen sein wollten,
mußten rasch auf dem abschüssigen Boden immer weiter nach links geraten. Die
zu eitel waren, um der Führung des Reichskanzlers zu folgen, gehören nnn
zu den Mannen eines Eugen Richter und scheinen kaum zu ahnen, wie sehr
sie ihrer selbst spotten, wenn sie stolz mitsingen: "Ein freies Leben führen wir!"
und mitleidig ans alle sehen, die nicht die Ehre haben, in derselben -- Truppe
zu dienen. Um einzelner Personen willen kann es uns leid sein, aber sie sind
ihrem Schicksal verfallen; und wenn eben sie in dem Chor die Stimme beson¬
ders laut erheben, um die Stimme im Innern nicht zu hören, die Welt täuschen
sie nicht über ihr trauriges Loos.

Dagegen wächst zusehends rechts und links die Zahl der Männer, welche
erkennen, daß für unsre Zeit das erste Gebot sein muß, unerschütterlich den natio¬
nalen Boden zu behaupten, Einzelmeinungcn und Einzelwünsche zu opfern oder
doch zurücktreten zu lassen hinter der Sorge um das Reich. Das ist der einigende
Gedanke, der sieghaft fortschreitet, in dem sich endlich eine große, starke Partei
zusammenfinden muß und wird. National oder international? das ist die ent¬
scheidende Frage. Wer deren Beantwortung ausweicht, zwar anch deutsch, auch
patriotisch sein will, jedoch erst in zweiter Linie, ausdrücklich oder zwischen den
Zeilen lesen läßt, daß ihm die Doktrin der liberalen Partei, oder die katholische
Kirche, oder die kommunistische Genossenschaft höher steht als das Vaterland,
mit dem kann keine Gemeinschaft bestehen. Wir sind stolz auf die Unübcrsetzbar-
keit unsrer Worte Gemüt und gemütlich. Aber in der Politik hat die Ge¬
mütlichkeit nichts zu schaffen, kein andres Volk läßt sie dort walten, und es ist
ein Glück, daß der Deutsche endlich auch Sinn für deu nationalen Egoismus
gewonnen hat. Keine noch so dick aufgetragene Entrüstung, keine noch so feier¬
liche Beteuerung darf uns darin irre machen. Man ist deutsch, oder mau ist
es nicht; innerhalb dieser Grenze volle Gewissensfreiheit in politischen, religiösen,
wirtschaftlichen, ästhetischen Angelegenheiten, aber kein Weltbürgertum, wie es
sich auch ausstaffiren und mastiren möge.

Daß diese Anschauung großem Boden gewonnen hat, erkennen wir schon
an der Ängstlichkeit, mit der fast alle vom Jnternationalismns angesteckten
diese Krankheit ableugnen. Sie wissen recht gut, daß ihre Anhänger ihnen
sofort den Rücken kehren würden, wenn sie ihr Gebrechen einmal uuverhüll
sehen ließen. Sie wissen besser als irgend jemand sonst, daß die kosmopolitische
Presse, welche sich anstellt, als gäbe sie die Meinung des Volkes wieder, that¬
sächlich den Giftstoff erst ihren Lesern einimpft. Aber auch diese Presse,
geschrieben von Leuten, welche nicht dem deutschen Stamme entsprossen sind,
oder solchen, die ihre Nationalität abgestreift haben, hat nicht mehr den früheren
Einfluß, weil sie selbst dazu beiträgt, die Geheimnisse ihrer Küche zu enthüllen.


Zur Jahreswende,

und mich den Glauben an sich selbst verloren zu haben. Gegenwärtig hat sich
das Verhältnis bereits wieder ganz anders gestaltet. Die damals von der
nationalen Sache abgefallenen, die doch eigentlich nicht abgefallen sein wollten,
mußten rasch auf dem abschüssigen Boden immer weiter nach links geraten. Die
zu eitel waren, um der Führung des Reichskanzlers zu folgen, gehören nnn
zu den Mannen eines Eugen Richter und scheinen kaum zu ahnen, wie sehr
sie ihrer selbst spotten, wenn sie stolz mitsingen: „Ein freies Leben führen wir!"
und mitleidig ans alle sehen, die nicht die Ehre haben, in derselben — Truppe
zu dienen. Um einzelner Personen willen kann es uns leid sein, aber sie sind
ihrem Schicksal verfallen; und wenn eben sie in dem Chor die Stimme beson¬
ders laut erheben, um die Stimme im Innern nicht zu hören, die Welt täuschen
sie nicht über ihr trauriges Loos.

Dagegen wächst zusehends rechts und links die Zahl der Männer, welche
erkennen, daß für unsre Zeit das erste Gebot sein muß, unerschütterlich den natio¬
nalen Boden zu behaupten, Einzelmeinungcn und Einzelwünsche zu opfern oder
doch zurücktreten zu lassen hinter der Sorge um das Reich. Das ist der einigende
Gedanke, der sieghaft fortschreitet, in dem sich endlich eine große, starke Partei
zusammenfinden muß und wird. National oder international? das ist die ent¬
scheidende Frage. Wer deren Beantwortung ausweicht, zwar anch deutsch, auch
patriotisch sein will, jedoch erst in zweiter Linie, ausdrücklich oder zwischen den
Zeilen lesen läßt, daß ihm die Doktrin der liberalen Partei, oder die katholische
Kirche, oder die kommunistische Genossenschaft höher steht als das Vaterland,
mit dem kann keine Gemeinschaft bestehen. Wir sind stolz auf die Unübcrsetzbar-
keit unsrer Worte Gemüt und gemütlich. Aber in der Politik hat die Ge¬
mütlichkeit nichts zu schaffen, kein andres Volk läßt sie dort walten, und es ist
ein Glück, daß der Deutsche endlich auch Sinn für deu nationalen Egoismus
gewonnen hat. Keine noch so dick aufgetragene Entrüstung, keine noch so feier¬
liche Beteuerung darf uns darin irre machen. Man ist deutsch, oder mau ist
es nicht; innerhalb dieser Grenze volle Gewissensfreiheit in politischen, religiösen,
wirtschaftlichen, ästhetischen Angelegenheiten, aber kein Weltbürgertum, wie es
sich auch ausstaffiren und mastiren möge.

Daß diese Anschauung großem Boden gewonnen hat, erkennen wir schon
an der Ängstlichkeit, mit der fast alle vom Jnternationalismns angesteckten
diese Krankheit ableugnen. Sie wissen recht gut, daß ihre Anhänger ihnen
sofort den Rücken kehren würden, wenn sie ihr Gebrechen einmal uuverhüll
sehen ließen. Sie wissen besser als irgend jemand sonst, daß die kosmopolitische
Presse, welche sich anstellt, als gäbe sie die Meinung des Volkes wieder, that¬
sächlich den Giftstoff erst ihren Lesern einimpft. Aber auch diese Presse,
geschrieben von Leuten, welche nicht dem deutschen Stamme entsprossen sind,
oder solchen, die ihre Nationalität abgestreift haben, hat nicht mehr den früheren
Einfluß, weil sie selbst dazu beiträgt, die Geheimnisse ihrer Küche zu enthüllen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/47>, abgerufen am 01.07.2024.