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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Aunstgeschichtliche Aufsätze von Lübke und Springer.

Naturalismus in der Kunst "ut der beinahe unbegrenzten, charakterlosen Empfäng¬
lichkeit für die verschiedenartigsten Kunstformen billiger denken. Wir sind in dieser
Hinsicht noch Lernende nud nicht kraftlos Genießende. Und so lauge wir lernen,
brauchen wir nicht allzusehr ein sieches Greisenalter unsrer Bildung zu fürchten."

Die Absichten, welche Springer mit seinen achtzehn "Bildern aus der
neueren Kunstgeschichte" -- die neue Auflage stellt sich als eine völlig neue
Arbeit dar -- verfolgt, können nicht besser gekennzeichnet werden als durch seine
eignen Worte, mit denen er den letzten der Aufsätze "Kunstkenner und Kunst¬
historiker" schließt, welcher durch die bekannten Streitigkeiten zwischen Künstlern
und Kunstschriftstellern veranlaßt worden ist. "Die Stellung, sagt er, welche
der Kunstgeschichte in weite" Kreisen zugewiesen wird, erscheint auf die Dauer
uicht haltbar. Das große Publikum hält sie für eine augenehm schmeckende,
aber kraftlose Zuckerbäckerwaare. Die Künstler streiten ihr die Fähigkeit des
selbständigen, zutreffenden Urteils ab, die Kunstkenner, die in ihrem cngbegrenztcn
Kreise allerdings über reichere Kenntnisse gebieten, sehen sie über die Achsel an,
die altzüuftigcu Wissenschaften, insbesondre die benachbarten historischen Diszi¬
plinen, dulden sie herablassend oder betrachten sie als einen wenig ebenbürtigen
Eindringling. Es bleibt nur ein Ausweg übrig. Man muß Künstlern und Kunst¬
kennern gegenüber den streng wissenschaftlichen Charakter der Kunstgeschichte ver¬
teidigen, die Historiker aber dadurch, daß man ihnen in der Kunstgeschichte die
Methode, das eigne Fleisch und Blut vorhält, zur Anerkennung der Legitimität
ihrer angeblichen Bastardschwestcr zwingen."

Unzweifelhaft sind die von Springer angegebenen Wege für die Kunst¬
historiker die richtigen, um sich mit Künstlern, Kunstkennern und den Vertretern
andrer Wissenschaften zu verständigen, nud ein jeder der Springerschen Aufsätze
liefert ein wahrhaft mnstergiltiges Beispiel für die wissenschaftliche Behandlung
kunstgeschichtlicher Stoffe, ohne daß die Klarheit und Faßlichkeit der Darstellung
beeinträchtigt würde. Das "große Publikum" läßt Springer freilich beiseite.
Aber auch dieses muß der "Zuckerbäckerwaare" entwöhnt werden. Das kann aber
nur geschehe", wenn so berufene Kunsthistoriker wie Springer sich öfter dem
großen Publikum nähern. Das seichte Kuustgeschwätz, welches sich mit hohlen
Phrasen und charakterlosen Lobhudeleien begnügt, wird am meisten von Malern
getrieben, die ihren Beruf verfehlt haben und sich zu Vermittlern zwischen
Künstlern und Laien auswerfen, wobei sie sich sorgfältig hüten, es mit dem
einen oder dem andern zu verderbe". Unbeirrt um das Toben einiger in ihrer
maßlosen Eitelkeit verletzten Künstler hat jeder Kunsthistoriker die ernste Pflicht,
ebensosehr jenem literarischen Unfug entgegenzutreten als das große Publikum
allmählich an eine strengere, mehr wissenschaftliche Behandlung der Kunstgeschichte
zu gewöhnen.

Selbst den Fachgenossen können die Springerschen Aufsätze, welche die
neuere Kunstgeschichte im weitesten Sinne umfassen, vom frühen Mittelalter,


Aunstgeschichtliche Aufsätze von Lübke und Springer.

Naturalismus in der Kunst »ut der beinahe unbegrenzten, charakterlosen Empfäng¬
lichkeit für die verschiedenartigsten Kunstformen billiger denken. Wir sind in dieser
Hinsicht noch Lernende nud nicht kraftlos Genießende. Und so lauge wir lernen,
brauchen wir nicht allzusehr ein sieches Greisenalter unsrer Bildung zu fürchten."

Die Absichten, welche Springer mit seinen achtzehn „Bildern aus der
neueren Kunstgeschichte" — die neue Auflage stellt sich als eine völlig neue
Arbeit dar — verfolgt, können nicht besser gekennzeichnet werden als durch seine
eignen Worte, mit denen er den letzten der Aufsätze „Kunstkenner und Kunst¬
historiker" schließt, welcher durch die bekannten Streitigkeiten zwischen Künstlern
und Kunstschriftstellern veranlaßt worden ist. „Die Stellung, sagt er, welche
der Kunstgeschichte in weite» Kreisen zugewiesen wird, erscheint auf die Dauer
uicht haltbar. Das große Publikum hält sie für eine augenehm schmeckende,
aber kraftlose Zuckerbäckerwaare. Die Künstler streiten ihr die Fähigkeit des
selbständigen, zutreffenden Urteils ab, die Kunstkenner, die in ihrem cngbegrenztcn
Kreise allerdings über reichere Kenntnisse gebieten, sehen sie über die Achsel an,
die altzüuftigcu Wissenschaften, insbesondre die benachbarten historischen Diszi¬
plinen, dulden sie herablassend oder betrachten sie als einen wenig ebenbürtigen
Eindringling. Es bleibt nur ein Ausweg übrig. Man muß Künstlern und Kunst¬
kennern gegenüber den streng wissenschaftlichen Charakter der Kunstgeschichte ver¬
teidigen, die Historiker aber dadurch, daß man ihnen in der Kunstgeschichte die
Methode, das eigne Fleisch und Blut vorhält, zur Anerkennung der Legitimität
ihrer angeblichen Bastardschwestcr zwingen."

Unzweifelhaft sind die von Springer angegebenen Wege für die Kunst¬
historiker die richtigen, um sich mit Künstlern, Kunstkennern und den Vertretern
andrer Wissenschaften zu verständigen, nud ein jeder der Springerschen Aufsätze
liefert ein wahrhaft mnstergiltiges Beispiel für die wissenschaftliche Behandlung
kunstgeschichtlicher Stoffe, ohne daß die Klarheit und Faßlichkeit der Darstellung
beeinträchtigt würde. Das „große Publikum" läßt Springer freilich beiseite.
Aber auch dieses muß der „Zuckerbäckerwaare" entwöhnt werden. Das kann aber
nur geschehe», wenn so berufene Kunsthistoriker wie Springer sich öfter dem
großen Publikum nähern. Das seichte Kuustgeschwätz, welches sich mit hohlen
Phrasen und charakterlosen Lobhudeleien begnügt, wird am meisten von Malern
getrieben, die ihren Beruf verfehlt haben und sich zu Vermittlern zwischen
Künstlern und Laien auswerfen, wobei sie sich sorgfältig hüten, es mit dem
einen oder dem andern zu verderbe». Unbeirrt um das Toben einiger in ihrer
maßlosen Eitelkeit verletzten Künstler hat jeder Kunsthistoriker die ernste Pflicht,
ebensosehr jenem literarischen Unfug entgegenzutreten als das große Publikum
allmählich an eine strengere, mehr wissenschaftliche Behandlung der Kunstgeschichte
zu gewöhnen.

Selbst den Fachgenossen können die Springerschen Aufsätze, welche die
neuere Kunstgeschichte im weitesten Sinne umfassen, vom frühen Mittelalter,


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[0446] Aunstgeschichtliche Aufsätze von Lübke und Springer. Naturalismus in der Kunst »ut der beinahe unbegrenzten, charakterlosen Empfäng¬ lichkeit für die verschiedenartigsten Kunstformen billiger denken. Wir sind in dieser Hinsicht noch Lernende nud nicht kraftlos Genießende. Und so lauge wir lernen, brauchen wir nicht allzusehr ein sieches Greisenalter unsrer Bildung zu fürchten." Die Absichten, welche Springer mit seinen achtzehn „Bildern aus der neueren Kunstgeschichte" — die neue Auflage stellt sich als eine völlig neue Arbeit dar — verfolgt, können nicht besser gekennzeichnet werden als durch seine eignen Worte, mit denen er den letzten der Aufsätze „Kunstkenner und Kunst¬ historiker" schließt, welcher durch die bekannten Streitigkeiten zwischen Künstlern und Kunstschriftstellern veranlaßt worden ist. „Die Stellung, sagt er, welche der Kunstgeschichte in weite» Kreisen zugewiesen wird, erscheint auf die Dauer uicht haltbar. Das große Publikum hält sie für eine augenehm schmeckende, aber kraftlose Zuckerbäckerwaare. Die Künstler streiten ihr die Fähigkeit des selbständigen, zutreffenden Urteils ab, die Kunstkenner, die in ihrem cngbegrenztcn Kreise allerdings über reichere Kenntnisse gebieten, sehen sie über die Achsel an, die altzüuftigcu Wissenschaften, insbesondre die benachbarten historischen Diszi¬ plinen, dulden sie herablassend oder betrachten sie als einen wenig ebenbürtigen Eindringling. Es bleibt nur ein Ausweg übrig. Man muß Künstlern und Kunst¬ kennern gegenüber den streng wissenschaftlichen Charakter der Kunstgeschichte ver¬ teidigen, die Historiker aber dadurch, daß man ihnen in der Kunstgeschichte die Methode, das eigne Fleisch und Blut vorhält, zur Anerkennung der Legitimität ihrer angeblichen Bastardschwestcr zwingen." Unzweifelhaft sind die von Springer angegebenen Wege für die Kunst¬ historiker die richtigen, um sich mit Künstlern, Kunstkennern und den Vertretern andrer Wissenschaften zu verständigen, nud ein jeder der Springerschen Aufsätze liefert ein wahrhaft mnstergiltiges Beispiel für die wissenschaftliche Behandlung kunstgeschichtlicher Stoffe, ohne daß die Klarheit und Faßlichkeit der Darstellung beeinträchtigt würde. Das „große Publikum" läßt Springer freilich beiseite. Aber auch dieses muß der „Zuckerbäckerwaare" entwöhnt werden. Das kann aber nur geschehe», wenn so berufene Kunsthistoriker wie Springer sich öfter dem großen Publikum nähern. Das seichte Kuustgeschwätz, welches sich mit hohlen Phrasen und charakterlosen Lobhudeleien begnügt, wird am meisten von Malern getrieben, die ihren Beruf verfehlt haben und sich zu Vermittlern zwischen Künstlern und Laien auswerfen, wobei sie sich sorgfältig hüten, es mit dem einen oder dem andern zu verderbe». Unbeirrt um das Toben einiger in ihrer maßlosen Eitelkeit verletzten Künstler hat jeder Kunsthistoriker die ernste Pflicht, ebensosehr jenem literarischen Unfug entgegenzutreten als das große Publikum allmählich an eine strengere, mehr wissenschaftliche Behandlung der Kunstgeschichte zu gewöhnen. Selbst den Fachgenossen können die Springerschen Aufsätze, welche die neuere Kunstgeschichte im weitesten Sinne umfassen, vom frühen Mittelalter,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/446>, abgerufen am 22.12.2024.