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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Jugenderinnerungen,

Mann in das NatSkollegium gewählt wurde, ihm die Hand seiner jüngsten
Tochter nicht verweigert. Alle diese im Dienste der Stadt oder der Kirche
stehenden Verwandten führten anscheinend ein zufriedenes Leben und ließen sich
nichts abgehen. Wie anders war dagegen die Lage des Onkels Gottlieb! Der
gute Mann trug grobe Kleider, bewohnte ein beschränktes Logis in abgelegener
Gasse, saß mit noch einem Gehilfen Tag für Tag hinter dem Tuchwebstuhle,
der das einzige Wohnzimmer fast zur Hälfte ausfüllte, und sah garnicht sehr
vergnügt ans. In Stube und Haus roch es stets nach Wolle und Öl, staubiger
Dunst erfüllte die Luft und erzeugte Hustenreiz. Und wenn der gute Onkel, der
von Natur ein heiteres Temperament zum Geschenk erhalten hatte, sich die
Sorgen möglichst aus dem Kopfe schlug und gern lachte, die schmale Holzbank
hinter dem Webstuhle verließ, dann packte er seine Tuche in große Kisten und
bezog mit diesen die Märkte der nächsten Städte, um sie im Ausschnitt zu ver¬
kaufe". Schlug der Markt gut ein, so konnte mutig eine neue Werfte auf¬
gebäumt werden, gingen dagegen die Geschäfte schlecht -- und das kam leider
häufiger vor --, dann war daheim Schmalhans Kellermeister. Gewiß ist, der
Onkel Tuchmacher kam aus der Dürftigkeit nicht heraus und mußte sich ab¬
quälen, um für sich und seine Familie nur das Brot zu verdienen. Das Elend
nahm erst ein Ende, als ihm durch Fürsprache seines Bruders, des Syndikus,
ein kleines Umladen -- er wurde Steuerbote! -- verliehen ward.

Ein so trauriges Beispiel vor Augen, war es ganz natürlich, daß die
Stellung eines Beamten mit festem Gehalt als die wünschenswerteste angesehen
wurde. Uns Kindern unterließ man denn auch nicht, immer wieder und wieder
darauf aufmerksam zu machen, um frühzeitig den Wunsch nach einer ähnlichen
Lebensstellung in uns zu erregen.

Mit dem öfteren Verkehr in der mchrerwühnten Bauernfamilie ward nur
aber ganz ungesucht Stoff zum Nachdenken über gar verschiedne Dinge zu¬
geführt. Die Ehrfurcht, die jeder aus der Gemeinde dem Vater erwies, die
lautlose Andacht, mit welcher in der stets vollen Kirche seine Predigten an¬
gehört wurden, der Wert, den man auf seine Ratschläge legte, das alles mußte
mich mit Stolz erfüllen und das Amt des Vaters mit einem Glorienschein um¬
geben. Jedenfalls standen alle übrige" Bewohner des Dorfes tief unter ihm
und konnten sich in keiner Weise mit ihm vergleichen. Natürlich hielt ich mich
selbst auch für etwas besondres, und die Bezeichnung "Pfarr-Ernst" hatte für
mich etwas schmeichelhaftes. Es gab ja keinen zweiten, den man so neune" konnte.

Nun begegnete ich aber in der Familie des Gerichtsmcmncs einer Lebens-
thütigkcit und einer Arbeitslust, die mir ganz neu war und mir deu Bauern-
stand in einem Lichte zeigte, von dein ich bisher keine Ahnung gehabt hatte.
Es war da ein wohlgeordneter Organismus zu beobachten, der in gleichmäßiger
Ruhe, wie nach dem Pendelschläge der Uhr, arbeitete. Konnte diese Thätigkeit
anch nicht geistvoll genannt werden, so schaffte sie doch Nutzen in weitem


Jugenderinnerungen,

Mann in das NatSkollegium gewählt wurde, ihm die Hand seiner jüngsten
Tochter nicht verweigert. Alle diese im Dienste der Stadt oder der Kirche
stehenden Verwandten führten anscheinend ein zufriedenes Leben und ließen sich
nichts abgehen. Wie anders war dagegen die Lage des Onkels Gottlieb! Der
gute Mann trug grobe Kleider, bewohnte ein beschränktes Logis in abgelegener
Gasse, saß mit noch einem Gehilfen Tag für Tag hinter dem Tuchwebstuhle,
der das einzige Wohnzimmer fast zur Hälfte ausfüllte, und sah garnicht sehr
vergnügt ans. In Stube und Haus roch es stets nach Wolle und Öl, staubiger
Dunst erfüllte die Luft und erzeugte Hustenreiz. Und wenn der gute Onkel, der
von Natur ein heiteres Temperament zum Geschenk erhalten hatte, sich die
Sorgen möglichst aus dem Kopfe schlug und gern lachte, die schmale Holzbank
hinter dem Webstuhle verließ, dann packte er seine Tuche in große Kisten und
bezog mit diesen die Märkte der nächsten Städte, um sie im Ausschnitt zu ver¬
kaufe». Schlug der Markt gut ein, so konnte mutig eine neue Werfte auf¬
gebäumt werden, gingen dagegen die Geschäfte schlecht — und das kam leider
häufiger vor —, dann war daheim Schmalhans Kellermeister. Gewiß ist, der
Onkel Tuchmacher kam aus der Dürftigkeit nicht heraus und mußte sich ab¬
quälen, um für sich und seine Familie nur das Brot zu verdienen. Das Elend
nahm erst ein Ende, als ihm durch Fürsprache seines Bruders, des Syndikus,
ein kleines Umladen — er wurde Steuerbote! — verliehen ward.

Ein so trauriges Beispiel vor Augen, war es ganz natürlich, daß die
Stellung eines Beamten mit festem Gehalt als die wünschenswerteste angesehen
wurde. Uns Kindern unterließ man denn auch nicht, immer wieder und wieder
darauf aufmerksam zu machen, um frühzeitig den Wunsch nach einer ähnlichen
Lebensstellung in uns zu erregen.

Mit dem öfteren Verkehr in der mchrerwühnten Bauernfamilie ward nur
aber ganz ungesucht Stoff zum Nachdenken über gar verschiedne Dinge zu¬
geführt. Die Ehrfurcht, die jeder aus der Gemeinde dem Vater erwies, die
lautlose Andacht, mit welcher in der stets vollen Kirche seine Predigten an¬
gehört wurden, der Wert, den man auf seine Ratschläge legte, das alles mußte
mich mit Stolz erfüllen und das Amt des Vaters mit einem Glorienschein um¬
geben. Jedenfalls standen alle übrige» Bewohner des Dorfes tief unter ihm
und konnten sich in keiner Weise mit ihm vergleichen. Natürlich hielt ich mich
selbst auch für etwas besondres, und die Bezeichnung „Pfarr-Ernst" hatte für
mich etwas schmeichelhaftes. Es gab ja keinen zweiten, den man so neune» konnte.

Nun begegnete ich aber in der Familie des Gerichtsmcmncs einer Lebens-
thütigkcit und einer Arbeitslust, die mir ganz neu war und mir deu Bauern-
stand in einem Lichte zeigte, von dein ich bisher keine Ahnung gehabt hatte.
Es war da ein wohlgeordneter Organismus zu beobachten, der in gleichmäßiger
Ruhe, wie nach dem Pendelschläge der Uhr, arbeitete. Konnte diese Thätigkeit
anch nicht geistvoll genannt werden, so schaffte sie doch Nutzen in weitem


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[0397] Jugenderinnerungen, Mann in das NatSkollegium gewählt wurde, ihm die Hand seiner jüngsten Tochter nicht verweigert. Alle diese im Dienste der Stadt oder der Kirche stehenden Verwandten führten anscheinend ein zufriedenes Leben und ließen sich nichts abgehen. Wie anders war dagegen die Lage des Onkels Gottlieb! Der gute Mann trug grobe Kleider, bewohnte ein beschränktes Logis in abgelegener Gasse, saß mit noch einem Gehilfen Tag für Tag hinter dem Tuchwebstuhle, der das einzige Wohnzimmer fast zur Hälfte ausfüllte, und sah garnicht sehr vergnügt ans. In Stube und Haus roch es stets nach Wolle und Öl, staubiger Dunst erfüllte die Luft und erzeugte Hustenreiz. Und wenn der gute Onkel, der von Natur ein heiteres Temperament zum Geschenk erhalten hatte, sich die Sorgen möglichst aus dem Kopfe schlug und gern lachte, die schmale Holzbank hinter dem Webstuhle verließ, dann packte er seine Tuche in große Kisten und bezog mit diesen die Märkte der nächsten Städte, um sie im Ausschnitt zu ver¬ kaufe». Schlug der Markt gut ein, so konnte mutig eine neue Werfte auf¬ gebäumt werden, gingen dagegen die Geschäfte schlecht — und das kam leider häufiger vor —, dann war daheim Schmalhans Kellermeister. Gewiß ist, der Onkel Tuchmacher kam aus der Dürftigkeit nicht heraus und mußte sich ab¬ quälen, um für sich und seine Familie nur das Brot zu verdienen. Das Elend nahm erst ein Ende, als ihm durch Fürsprache seines Bruders, des Syndikus, ein kleines Umladen — er wurde Steuerbote! — verliehen ward. Ein so trauriges Beispiel vor Augen, war es ganz natürlich, daß die Stellung eines Beamten mit festem Gehalt als die wünschenswerteste angesehen wurde. Uns Kindern unterließ man denn auch nicht, immer wieder und wieder darauf aufmerksam zu machen, um frühzeitig den Wunsch nach einer ähnlichen Lebensstellung in uns zu erregen. Mit dem öfteren Verkehr in der mchrerwühnten Bauernfamilie ward nur aber ganz ungesucht Stoff zum Nachdenken über gar verschiedne Dinge zu¬ geführt. Die Ehrfurcht, die jeder aus der Gemeinde dem Vater erwies, die lautlose Andacht, mit welcher in der stets vollen Kirche seine Predigten an¬ gehört wurden, der Wert, den man auf seine Ratschläge legte, das alles mußte mich mit Stolz erfüllen und das Amt des Vaters mit einem Glorienschein um¬ geben. Jedenfalls standen alle übrige» Bewohner des Dorfes tief unter ihm und konnten sich in keiner Weise mit ihm vergleichen. Natürlich hielt ich mich selbst auch für etwas besondres, und die Bezeichnung „Pfarr-Ernst" hatte für mich etwas schmeichelhaftes. Es gab ja keinen zweiten, den man so neune» konnte. Nun begegnete ich aber in der Familie des Gerichtsmcmncs einer Lebens- thütigkcit und einer Arbeitslust, die mir ganz neu war und mir deu Bauern- stand in einem Lichte zeigte, von dein ich bisher keine Ahnung gehabt hatte. Es war da ein wohlgeordneter Organismus zu beobachten, der in gleichmäßiger Ruhe, wie nach dem Pendelschläge der Uhr, arbeitete. Konnte diese Thätigkeit anch nicht geistvoll genannt werden, so schaffte sie doch Nutzen in weitem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/397>, abgerufen am 03.07.2024.