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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Moderne Denkmäler.

Adels- oder bürgerlichen Kleidung selbst in entlegenen Zeiten nicht sagen kann.
Man erinnere sich nur, wie gewisse Typen der Eiseurüstuug des Mittelalters
für verhältnismäßig viel längere Zeiträume bezeichnend gewesen sind, als dies
mit der gleichzeitigen Ziviltracht der Fall war.

Fehlt also der bürgerlichen Tracht jenes Maß der charakterisirenden Wirkung,
welches der militärischen Uniform innewohnt, so läßt sie uns gänzlich im Stich,
wenn wir etwa eine spezielle Frage stellen wollten: Welche Kleidung hat Goethe
getragen, als er den Tasso dichtete, oder Lessing, als er den Laokoon schrieb?
In einer Zeit, welche Schillerwcsten und Goetheschlafröcke pietätvoll in Museen
aufbewahrt und wo man mit ernster Miene fünfuudzwauzigjährige Schriftsteller¬
jubiläen feiert, sind solche Fragen garnicht so absurd, als sie scheinen, umso
weniger, als die Denkmälerkomitees nach wie vor ihren Ehrgeiz darin suchen,
die Gestalten ihrer Helden oder ihrer Opfer -- wie man will -- in ganzer
Figur und überlebensgroß darstellen zu lassen, und der historisch-archäologische
Zug unsrer Zeit und unsrer Kunst ans möglichste Treue in der Wiedergabe des
Kostüms dringt.

Es ist bekannt, daß die Tracht des ganzen vorigen Jahrhunderts, besonders
jener Periode desselben, in welche die Blütezeit unsrer klassischen Dichtung und
unsrer klassischen Musik fällt, der plastischen Behandlung große Schwierigkeiten
bereitet. Wohl ist es genialen Meistern einigemale gelungen, diese Schwierig¬
keiten zu überwinden; aber eine Wiederholung dieser glücklichen Versuche würde
zum Schematismus führen, an welchem unsre moderne Denkmälcrplastik genugsam
krankt. Haltet mit seinem Hündeldenkmal in Halle, Rietschel mit seinem Lessing¬
standbild für Braunschweig und Schayer mit der Figur des sitzenden Lessing
für Hamburg sind die Künstler, welche die Jabots, Kniehosen und Leibrocke des
vorigen Jahrhunderts den Gesetzen des plastischen Stils anbequemt haben.
Schayer nahm jedoch bereits den Mantel zu Hilfe, welcher, in breiten Falten
über den Stuhl des Sitzenden gelegt, dem Künstler die Möglichkeit gab, die
unschönen Linien der in Strümpfen und Kniehosen steckenden Beine weniger
augenfällig und störend zu machen. Das "Mantelmotiv" ist ein allgemein
angenommener Notbehelf, mit dem am Ende jedoch soviel Unfug getrieben
worden ist, daß viele unsrer Geistesheroen in ihren Statuen zu "Mantelträgern"
degradirt worden sind. Immerhin hatte Schayer das richtige Gefühl gehabt,
daß mit dem üblichen Typus vou Statuen für Künstler, Dichter und Gelehrte
gebrochen werden müsse, und noch stärker hat sich dieses Gefühl geltend gemacht,
sobald es sich um Männer handelt, deren geistige Thätigkeit in die erste Hälfte
des neunzehnten Jahrhunderts fällt. Wir erinnern nur an die vortrefflichen
Denkmäler für Liebig vou Wagmüller in München,'für Beethoven von Zum-
busch und für Schubert von Kundmann, beide in Wien. Aber auch dieses
Mittel zur Überwindung der unkünstlerischen Eigenschaften der modernen Tracht
kann leicht gemißbraucht werden und -- was schlimmer ist -- zur Karrikatur


Moderne Denkmäler.

Adels- oder bürgerlichen Kleidung selbst in entlegenen Zeiten nicht sagen kann.
Man erinnere sich nur, wie gewisse Typen der Eiseurüstuug des Mittelalters
für verhältnismäßig viel längere Zeiträume bezeichnend gewesen sind, als dies
mit der gleichzeitigen Ziviltracht der Fall war.

Fehlt also der bürgerlichen Tracht jenes Maß der charakterisirenden Wirkung,
welches der militärischen Uniform innewohnt, so läßt sie uns gänzlich im Stich,
wenn wir etwa eine spezielle Frage stellen wollten: Welche Kleidung hat Goethe
getragen, als er den Tasso dichtete, oder Lessing, als er den Laokoon schrieb?
In einer Zeit, welche Schillerwcsten und Goetheschlafröcke pietätvoll in Museen
aufbewahrt und wo man mit ernster Miene fünfuudzwauzigjährige Schriftsteller¬
jubiläen feiert, sind solche Fragen garnicht so absurd, als sie scheinen, umso
weniger, als die Denkmälerkomitees nach wie vor ihren Ehrgeiz darin suchen,
die Gestalten ihrer Helden oder ihrer Opfer — wie man will — in ganzer
Figur und überlebensgroß darstellen zu lassen, und der historisch-archäologische
Zug unsrer Zeit und unsrer Kunst ans möglichste Treue in der Wiedergabe des
Kostüms dringt.

Es ist bekannt, daß die Tracht des ganzen vorigen Jahrhunderts, besonders
jener Periode desselben, in welche die Blütezeit unsrer klassischen Dichtung und
unsrer klassischen Musik fällt, der plastischen Behandlung große Schwierigkeiten
bereitet. Wohl ist es genialen Meistern einigemale gelungen, diese Schwierig¬
keiten zu überwinden; aber eine Wiederholung dieser glücklichen Versuche würde
zum Schematismus führen, an welchem unsre moderne Denkmälcrplastik genugsam
krankt. Haltet mit seinem Hündeldenkmal in Halle, Rietschel mit seinem Lessing¬
standbild für Braunschweig und Schayer mit der Figur des sitzenden Lessing
für Hamburg sind die Künstler, welche die Jabots, Kniehosen und Leibrocke des
vorigen Jahrhunderts den Gesetzen des plastischen Stils anbequemt haben.
Schayer nahm jedoch bereits den Mantel zu Hilfe, welcher, in breiten Falten
über den Stuhl des Sitzenden gelegt, dem Künstler die Möglichkeit gab, die
unschönen Linien der in Strümpfen und Kniehosen steckenden Beine weniger
augenfällig und störend zu machen. Das „Mantelmotiv" ist ein allgemein
angenommener Notbehelf, mit dem am Ende jedoch soviel Unfug getrieben
worden ist, daß viele unsrer Geistesheroen in ihren Statuen zu „Mantelträgern"
degradirt worden sind. Immerhin hatte Schayer das richtige Gefühl gehabt,
daß mit dem üblichen Typus vou Statuen für Künstler, Dichter und Gelehrte
gebrochen werden müsse, und noch stärker hat sich dieses Gefühl geltend gemacht,
sobald es sich um Männer handelt, deren geistige Thätigkeit in die erste Hälfte
des neunzehnten Jahrhunderts fällt. Wir erinnern nur an die vortrefflichen
Denkmäler für Liebig vou Wagmüller in München,'für Beethoven von Zum-
busch und für Schubert von Kundmann, beide in Wien. Aber auch dieses
Mittel zur Überwindung der unkünstlerischen Eigenschaften der modernen Tracht
kann leicht gemißbraucht werden und — was schlimmer ist — zur Karrikatur


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[0039] Moderne Denkmäler. Adels- oder bürgerlichen Kleidung selbst in entlegenen Zeiten nicht sagen kann. Man erinnere sich nur, wie gewisse Typen der Eiseurüstuug des Mittelalters für verhältnismäßig viel längere Zeiträume bezeichnend gewesen sind, als dies mit der gleichzeitigen Ziviltracht der Fall war. Fehlt also der bürgerlichen Tracht jenes Maß der charakterisirenden Wirkung, welches der militärischen Uniform innewohnt, so läßt sie uns gänzlich im Stich, wenn wir etwa eine spezielle Frage stellen wollten: Welche Kleidung hat Goethe getragen, als er den Tasso dichtete, oder Lessing, als er den Laokoon schrieb? In einer Zeit, welche Schillerwcsten und Goetheschlafröcke pietätvoll in Museen aufbewahrt und wo man mit ernster Miene fünfuudzwauzigjährige Schriftsteller¬ jubiläen feiert, sind solche Fragen garnicht so absurd, als sie scheinen, umso weniger, als die Denkmälerkomitees nach wie vor ihren Ehrgeiz darin suchen, die Gestalten ihrer Helden oder ihrer Opfer — wie man will — in ganzer Figur und überlebensgroß darstellen zu lassen, und der historisch-archäologische Zug unsrer Zeit und unsrer Kunst ans möglichste Treue in der Wiedergabe des Kostüms dringt. Es ist bekannt, daß die Tracht des ganzen vorigen Jahrhunderts, besonders jener Periode desselben, in welche die Blütezeit unsrer klassischen Dichtung und unsrer klassischen Musik fällt, der plastischen Behandlung große Schwierigkeiten bereitet. Wohl ist es genialen Meistern einigemale gelungen, diese Schwierig¬ keiten zu überwinden; aber eine Wiederholung dieser glücklichen Versuche würde zum Schematismus führen, an welchem unsre moderne Denkmälcrplastik genugsam krankt. Haltet mit seinem Hündeldenkmal in Halle, Rietschel mit seinem Lessing¬ standbild für Braunschweig und Schayer mit der Figur des sitzenden Lessing für Hamburg sind die Künstler, welche die Jabots, Kniehosen und Leibrocke des vorigen Jahrhunderts den Gesetzen des plastischen Stils anbequemt haben. Schayer nahm jedoch bereits den Mantel zu Hilfe, welcher, in breiten Falten über den Stuhl des Sitzenden gelegt, dem Künstler die Möglichkeit gab, die unschönen Linien der in Strümpfen und Kniehosen steckenden Beine weniger augenfällig und störend zu machen. Das „Mantelmotiv" ist ein allgemein angenommener Notbehelf, mit dem am Ende jedoch soviel Unfug getrieben worden ist, daß viele unsrer Geistesheroen in ihren Statuen zu „Mantelträgern" degradirt worden sind. Immerhin hatte Schayer das richtige Gefühl gehabt, daß mit dem üblichen Typus vou Statuen für Künstler, Dichter und Gelehrte gebrochen werden müsse, und noch stärker hat sich dieses Gefühl geltend gemacht, sobald es sich um Männer handelt, deren geistige Thätigkeit in die erste Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts fällt. Wir erinnern nur an die vortrefflichen Denkmäler für Liebig vou Wagmüller in München,'für Beethoven von Zum- busch und für Schubert von Kundmann, beide in Wien. Aber auch dieses Mittel zur Überwindung der unkünstlerischen Eigenschaften der modernen Tracht kann leicht gemißbraucht werden und — was schlimmer ist — zur Karrikatur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/39>, abgerufen am 01.07.2024.