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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Jahre 1875 wurden diese Gebühren durch ein vom Minister Leonhardt dem
Landtage vorgelegtes Gesetz ohne jede änßere Veranlassung durchweg um fünf¬
undzwanzig Prozent erhöht. Fortan genossen die Anwälte ein uoch weit reich¬
licheres Einkommen. Als nun für die neue Jnstizvrganisation auch die Gerichts¬
und Anwaltsgebühren neu geregelt werden sollten, wurden nicht, wie es wünschens¬
wert gewesen wäre, die Entwürfe über beide gleichzeitig vorgelegt; vielmehr ging
der Entwurf über die Gerichtskosten dem über die Anwaltsgebühreu um ein
Jahr voraus. Die Sätze desselben waren in Vergleich mit den preußischen
wesentlich höher bemessen. Auch wurde die sehr allmählich ansteigende preußische
Gebührcnst'ala verlassen; statt dessen waren Wertklasscn in verhältnismäßig ge¬
ringer Zahl aufgestellt. Die Neichstagslvmmissivn, an welche der Entwurf ge¬
laugte, ermäßigte zwar die Kostensätze etwas, aber doch nicht sehr erheblich.
Wesentlich höher, als der preußische Tarif, ging der Entwurf aus der Kom¬
mission hervor. Wie sehr die Arbeit dieser Kommission den Wünschen der
Regierungen entgegengekommen war, konnte man daran erkennen, daß sie in
Negicrnngskreisen als eine wahre Mustcrkommission bezeichnet wurde; wie denn
auch bei der Ncichstagsvcrhandlung Staatssekretär Dr. Friedberg der Kom¬
mission für ihre "selbstverleugnende Hingebung" öffentlich dankte. Nach dieser
Kvmmissionsarbeit wurde der Entwurf Gesetz.

Im nächsten Jahre ließ nun das Reichsjustizamt auch die Anwaltsgebühren-
orduuug in eiuer den erhöhten Gerichtskosten entsprechenden Höhe entwerfen.
Sofort trat eine lebhafte Agitation der Anwälte ein, welche noch weit höhere
Gebühren verlangte. Das Neichsjustizamt ließ sich dadurch bestimmen, noch¬
mals die Gebührensätze wesentlich zu erhöhen. Der hiernach an den Reichstag
gelangte Entwurf wurde einer Kommission überwiesen, die schon in ihrer Zu¬
sammensetzung sichere Gewähr dafür bot, daß sie den Wünschen der Anwälte
in vollem Maße willfahren werde. In der That beantragte diese Kommission
eine abermalige Erhöhung, die sich auf ungefähr vierzehn Prozent belief. Diese
allgemeine Erhöhung wurde nun zwar vom Reichstage abgewiesen; aber für
einige Nebensätze (namentlich für die Schreibgebühren) gelangten doch die auf
Erhöhung gerichteten Anträge der Kommission zur Annahme. Zur Recht¬
fertigung der hohen Sätze wurde wiederholt darauf Bezug genommen, daß man
ja auch sehr hohe Gerichtskosten bewilligt habe. Charakteristisch ist noch, daß
der Hauptvertreter der höchsten Anwaltsgebühreu der Abgeordnete Windthorst
war. So ist die gegenwärtige Anwaltsgebühreuvrdnuug zustande gekommen.

Nachdem das neue Gerichtsverfahren einigermaßen ins Leben gedrungen
war, wurde natürlich die Höhe der Kosten sehr schmerzlich im Publikum em¬
pfunden. Viele, welche seinerzeit das Gerichtskvsteugesctz mit seinen hohen
Sätzen möglichst gefördert hatten, hatten dieses Gesetz doch nur als ein Gerüst
betrachtet, mittels dessen man den babylonischen Turmbau der Anwnltsgebühren
umso leichter aufrichten könne. Nachdem dies im wesentlichen gelungen war,


Jahre 1875 wurden diese Gebühren durch ein vom Minister Leonhardt dem
Landtage vorgelegtes Gesetz ohne jede änßere Veranlassung durchweg um fünf¬
undzwanzig Prozent erhöht. Fortan genossen die Anwälte ein uoch weit reich¬
licheres Einkommen. Als nun für die neue Jnstizvrganisation auch die Gerichts¬
und Anwaltsgebühren neu geregelt werden sollten, wurden nicht, wie es wünschens¬
wert gewesen wäre, die Entwürfe über beide gleichzeitig vorgelegt; vielmehr ging
der Entwurf über die Gerichtskosten dem über die Anwaltsgebühreu um ein
Jahr voraus. Die Sätze desselben waren in Vergleich mit den preußischen
wesentlich höher bemessen. Auch wurde die sehr allmählich ansteigende preußische
Gebührcnst'ala verlassen; statt dessen waren Wertklasscn in verhältnismäßig ge¬
ringer Zahl aufgestellt. Die Neichstagslvmmissivn, an welche der Entwurf ge¬
laugte, ermäßigte zwar die Kostensätze etwas, aber doch nicht sehr erheblich.
Wesentlich höher, als der preußische Tarif, ging der Entwurf aus der Kom¬
mission hervor. Wie sehr die Arbeit dieser Kommission den Wünschen der
Regierungen entgegengekommen war, konnte man daran erkennen, daß sie in
Negicrnngskreisen als eine wahre Mustcrkommission bezeichnet wurde; wie denn
auch bei der Ncichstagsvcrhandlung Staatssekretär Dr. Friedberg der Kom¬
mission für ihre „selbstverleugnende Hingebung" öffentlich dankte. Nach dieser
Kvmmissionsarbeit wurde der Entwurf Gesetz.

Im nächsten Jahre ließ nun das Reichsjustizamt auch die Anwaltsgebühren-
orduuug in eiuer den erhöhten Gerichtskosten entsprechenden Höhe entwerfen.
Sofort trat eine lebhafte Agitation der Anwälte ein, welche noch weit höhere
Gebühren verlangte. Das Neichsjustizamt ließ sich dadurch bestimmen, noch¬
mals die Gebührensätze wesentlich zu erhöhen. Der hiernach an den Reichstag
gelangte Entwurf wurde einer Kommission überwiesen, die schon in ihrer Zu¬
sammensetzung sichere Gewähr dafür bot, daß sie den Wünschen der Anwälte
in vollem Maße willfahren werde. In der That beantragte diese Kommission
eine abermalige Erhöhung, die sich auf ungefähr vierzehn Prozent belief. Diese
allgemeine Erhöhung wurde nun zwar vom Reichstage abgewiesen; aber für
einige Nebensätze (namentlich für die Schreibgebühren) gelangten doch die auf
Erhöhung gerichteten Anträge der Kommission zur Annahme. Zur Recht¬
fertigung der hohen Sätze wurde wiederholt darauf Bezug genommen, daß man
ja auch sehr hohe Gerichtskosten bewilligt habe. Charakteristisch ist noch, daß
der Hauptvertreter der höchsten Anwaltsgebühreu der Abgeordnete Windthorst
war. So ist die gegenwärtige Anwaltsgebühreuvrdnuug zustande gekommen.

Nachdem das neue Gerichtsverfahren einigermaßen ins Leben gedrungen
war, wurde natürlich die Höhe der Kosten sehr schmerzlich im Publikum em¬
pfunden. Viele, welche seinerzeit das Gerichtskvsteugesctz mit seinen hohen
Sätzen möglichst gefördert hatten, hatten dieses Gesetz doch nur als ein Gerüst
betrachtet, mittels dessen man den babylonischen Turmbau der Anwnltsgebühren
umso leichter aufrichten könne. Nachdem dies im wesentlichen gelungen war,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/362>, abgerufen am 23.12.2024.