Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.Friedrich Hebbel<Tagebücher von^8H2 bis ^863. ab, was dich in deiner Entwicklung hemmt, und Wenn's auch ein Mensch wäre, Grenzboten I. 1887. 4
Friedrich Hebbel<Tagebücher von^8H2 bis ^863. ab, was dich in deiner Entwicklung hemmt, und Wenn's auch ein Mensch wäre, Grenzboten I. 1887. 4
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Friedrich Hebbel<Tagebücher von^8H2 bis ^863.
ab, was dich in deiner Entwicklung hemmt, und Wenn's auch ein Mensch wäre,
der dich liebt, denn was dich vernichtet, kann keinen andern fördern," so können
wir uns eines leisen Fröstelns nicht erwehre», einen fühlenden, tiefernsten
Menschen durch eigne nud fremde Schuld in eine Lage verstrickt zu sehen, bei
der nur dieses äußerste übrig bleibt. Die Wiener Jahre brachten Hebbel ein
menschlich häusliches Glück seltenster Art; das große Talent seiner Frau
(Christine Enghaus), welche ein festes Engagement am kaiserlichen Burgtheater
hatte, gab ihm einen sichern Boden der Existenz, den er mit all seiner gewal¬
tigen Begabung nicht hatte erringen können. Die Periode zwischen 1846 und
1863 wurde diejenige, in welcher er mit der vollen Zuversicht schuf, für den
Rest seines Lebens, von gemeiner Sorge unberührt, seiner Kunst sich hingeben
zu können. Immerhin brachte er aus den Jahren des heftigsten Kampfes nicht
nur Narben, sondern tief in sein Wesen und seine geistige Entwicklung ein¬
greifende Nachwirkungen mit. Die erste war die hohe Reizbarkeit seines Wesens,
welche alle Liebe der Seinen, der Freunde und selbst der große Allesversöhner,
der Erfolg, nicht zu beseitigen vermochte. Unterm 23. Dezember 1843
schreibt er selbst hierüber: „Oft entsetze ich mich über mich selbst, wenn ich er¬
kenne, daß in mir die Reizbarkeit, statt abzunehmen, immer mehr zunimmt, daß
jede Welle des Gefühls, und wenn sie von einem Sandkorn herrührt, das der
Zufall in mein Gemüt hineinwarf, mir über den Kopf zusammenschlägt. Da
sitze ich eben im besten Behagen an meinem Tisch und schreibe ein Gedicht ins
Reine, zu dem ich gestern Abend, im Calais ro^al spazieren gehend, die letzten
Verse machte. Die Portiere tritt herein und will die Tasse, worin sie mir des
Morgens die Milch zu meinem Frühstück bringt. Nun ist das allerdings eine
französische Unverschämtheit, denn sie weiß recht gut, daß ich die Tasse, da ich
mir immer einen Teil der Milch bis zum Abend aufhebe, den ganzen Tag
brauche. Aber statt ihr dies auf gebührende Weise zu erklären und zu diesem
Zwecke all mein Bischen Französisch zusammenzuraffen, dann aber über die
Sache, wie sie es verdient, zu lachen und in meiner Arbeit fortzufahren, lasse
ich sie freilich ohne die Tasse wieder hinausgehen und ärgere mich, daß mir
das Blut in den Kopf steigt. Woher diese schreckliche Abhängigkeit von äußern
Eindrücken, deren Nichtigkeit ich ja ebenso gut erkenne wie ein andrer? Und
doch wüßte ich mich ihr auf keine Weise zu entziehen, im Gegenteil, sie kriegt
mich immer mehr unter die Füße, ein Lächeln auf dem Gesichte eines Menschen,
der mich ansieht, ein Blick auf meine Stiefel, selbst wenn ich die zierlichsten
trage, wie ich jetzt thue, alles bringt mich aus dem Gleichgewicht, und der
Verstand, an dem es mir wahrhaftig nicht fehlt, kann nichts dazu thun, als
daß er mich, wie es wohl dem Betrunkenen begegnen mag, ausspottet und mich
so die doppelte Qual, den Zustand zu durchschauen, geistig über ihm zu stehen
und ihn dennoch nicht überwinden zu können, empfinden läßt. Es ist ein
großes Unglück sowohl für mich selbst als für die wenigen, die sich mir cm-
Grenzboten I. 1887. 4
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