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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Spanische und englische Aolonialpolitik.

und schon durch diesen Umstand wurde England auf den Weg der Eroberungen
entweder durch die Waffen oder durch die Unternehmungen seiner Kaufleute ge¬
drängt. Das religiöse Element spielt in der englischen Kolonialpolitik, wenn
man von der Geschichte Marylands und der Neuenglandstaateu absieht, fast
gar keine Rolle. Was England hente an Kolonien und Dependenzen besitzt,
haben ihm seine Waffen oder seine Kaufleute verschafft; der Missionar ist nur
an der Seite dieser beiden gegangen, selten ihnen voran. Außerordentlich
charakteristisch für die englische Kolonialpolitik ist die historische Persönlichkeit
Brakes. In England wird derselbe als Heros gefeiert; in Spanien und
Portugal betrachtet mau ihn als einen Seeräuber, und mancher Umstand spricht
dafür, daß seine Zeitgenossen ihn in keinem andern Lichte betrachtet haben.
Drake hat die englischen Farben und mit ihr Zerstörung überall hingetragen,
wo er auf feiner berühmten Fahrt landete. Er zerstörte, damit seine Lands¬
leute Gelegenheit fänden, auf andern Grundlagen neu zu bauen. So ist
das englische Volk fast allenthalben verfahren: in Nordamerika haben sie die
Indianer nicht unterdrückt, wie die Spanier es gethan haben, sondern aus¬
gerottet, getötet, und ähnlich sind sie in Ozeanien vorgegangen. Die Hindus
haben schwer unter dem Joche Englands gelitten, bis ihnen in den letzten Jahr¬
zehnten einige Linderung zu Teil geworden ist. Allenthalben, wohin wir der
englischen Kolonialpolitik folgen, sehen wir, daß sie erst zerstört hat, um dann auf¬
zubauen und jene großartigen Einrichtungen und Organisationen zu schaffen,
welche die Bewunderung der zeitgenössischen Welt besitzen. Vielleicht die
glänzendsten Repräsentanten der englischen Kolonialpolitik, seitdem sie den hohen
Flug eingeschlagen hat, sind Lord Clarke und die Ostindische Kompagnie. Es
ist außerordentlich bezeichnend, daß Lord Clarke ursprünglich ein bescheidener Kauf-
mcmnselerk war. Der Drang nach Abenteuern, seine Entschlossenheit, seine That¬
kraft und sein Glück führte" ihn dazu, Länder zu erobern, welche seit Alexander
dem Großen keine Kriegshelden im großen Stil gekannt haben. Die englische
Kolonialpolitik war bis zum zweiten und dritten Jahrzehnt dieses Jahr¬
hunderts eine vorzugsweise erobernde, und erst seit etwa einem Menschenalter
säugt sie an, planmäßig organisatorisch aufzutreten, da man die Notwendigkeit
erkannt hat, den gewaltigen Besitz einzuteilen und zu befestigen. Unglücklicher¬
weise fällt diese Orgauisationsarbeit mit einer bedenklichen Spaltung unter den
Politischen Parteien in England selbst zusammen. Diese Spaltung hat seither
lähmend gewirkt, und es ist eine Frage, welche uns alle gegenwärtig interessirt,
ob es einem englischen Staatsmanne gelingen wird, diese Spaltung zu über¬
winden und damit den Boden zu gewinnen, auf welchem die Konsolidation des
britischen Weltreiches mit Erfolg angestrebt werden kann.

Lenken wir nun unsre Blicke von der spanischen und englischen Kolonial¬
politik ab und richten wir sie auf unsre eignen Bestrebungen, überseeische Länder
in Besitz zu nehmen und Kolonialpolitik zu treiben, so müssen wir zu dem


Spanische und englische Aolonialpolitik.

und schon durch diesen Umstand wurde England auf den Weg der Eroberungen
entweder durch die Waffen oder durch die Unternehmungen seiner Kaufleute ge¬
drängt. Das religiöse Element spielt in der englischen Kolonialpolitik, wenn
man von der Geschichte Marylands und der Neuenglandstaateu absieht, fast
gar keine Rolle. Was England hente an Kolonien und Dependenzen besitzt,
haben ihm seine Waffen oder seine Kaufleute verschafft; der Missionar ist nur
an der Seite dieser beiden gegangen, selten ihnen voran. Außerordentlich
charakteristisch für die englische Kolonialpolitik ist die historische Persönlichkeit
Brakes. In England wird derselbe als Heros gefeiert; in Spanien und
Portugal betrachtet mau ihn als einen Seeräuber, und mancher Umstand spricht
dafür, daß seine Zeitgenossen ihn in keinem andern Lichte betrachtet haben.
Drake hat die englischen Farben und mit ihr Zerstörung überall hingetragen,
wo er auf feiner berühmten Fahrt landete. Er zerstörte, damit seine Lands¬
leute Gelegenheit fänden, auf andern Grundlagen neu zu bauen. So ist
das englische Volk fast allenthalben verfahren: in Nordamerika haben sie die
Indianer nicht unterdrückt, wie die Spanier es gethan haben, sondern aus¬
gerottet, getötet, und ähnlich sind sie in Ozeanien vorgegangen. Die Hindus
haben schwer unter dem Joche Englands gelitten, bis ihnen in den letzten Jahr¬
zehnten einige Linderung zu Teil geworden ist. Allenthalben, wohin wir der
englischen Kolonialpolitik folgen, sehen wir, daß sie erst zerstört hat, um dann auf¬
zubauen und jene großartigen Einrichtungen und Organisationen zu schaffen,
welche die Bewunderung der zeitgenössischen Welt besitzen. Vielleicht die
glänzendsten Repräsentanten der englischen Kolonialpolitik, seitdem sie den hohen
Flug eingeschlagen hat, sind Lord Clarke und die Ostindische Kompagnie. Es
ist außerordentlich bezeichnend, daß Lord Clarke ursprünglich ein bescheidener Kauf-
mcmnselerk war. Der Drang nach Abenteuern, seine Entschlossenheit, seine That¬
kraft und sein Glück führte» ihn dazu, Länder zu erobern, welche seit Alexander
dem Großen keine Kriegshelden im großen Stil gekannt haben. Die englische
Kolonialpolitik war bis zum zweiten und dritten Jahrzehnt dieses Jahr¬
hunderts eine vorzugsweise erobernde, und erst seit etwa einem Menschenalter
säugt sie an, planmäßig organisatorisch aufzutreten, da man die Notwendigkeit
erkannt hat, den gewaltigen Besitz einzuteilen und zu befestigen. Unglücklicher¬
weise fällt diese Orgauisationsarbeit mit einer bedenklichen Spaltung unter den
Politischen Parteien in England selbst zusammen. Diese Spaltung hat seither
lähmend gewirkt, und es ist eine Frage, welche uns alle gegenwärtig interessirt,
ob es einem englischen Staatsmanne gelingen wird, diese Spaltung zu über¬
winden und damit den Boden zu gewinnen, auf welchem die Konsolidation des
britischen Weltreiches mit Erfolg angestrebt werden kann.

Lenken wir nun unsre Blicke von der spanischen und englischen Kolonial¬
politik ab und richten wir sie auf unsre eignen Bestrebungen, überseeische Länder
in Besitz zu nehmen und Kolonialpolitik zu treiben, so müssen wir zu dem


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[0311] Spanische und englische Aolonialpolitik. und schon durch diesen Umstand wurde England auf den Weg der Eroberungen entweder durch die Waffen oder durch die Unternehmungen seiner Kaufleute ge¬ drängt. Das religiöse Element spielt in der englischen Kolonialpolitik, wenn man von der Geschichte Marylands und der Neuenglandstaateu absieht, fast gar keine Rolle. Was England hente an Kolonien und Dependenzen besitzt, haben ihm seine Waffen oder seine Kaufleute verschafft; der Missionar ist nur an der Seite dieser beiden gegangen, selten ihnen voran. Außerordentlich charakteristisch für die englische Kolonialpolitik ist die historische Persönlichkeit Brakes. In England wird derselbe als Heros gefeiert; in Spanien und Portugal betrachtet mau ihn als einen Seeräuber, und mancher Umstand spricht dafür, daß seine Zeitgenossen ihn in keinem andern Lichte betrachtet haben. Drake hat die englischen Farben und mit ihr Zerstörung überall hingetragen, wo er auf feiner berühmten Fahrt landete. Er zerstörte, damit seine Lands¬ leute Gelegenheit fänden, auf andern Grundlagen neu zu bauen. So ist das englische Volk fast allenthalben verfahren: in Nordamerika haben sie die Indianer nicht unterdrückt, wie die Spanier es gethan haben, sondern aus¬ gerottet, getötet, und ähnlich sind sie in Ozeanien vorgegangen. Die Hindus haben schwer unter dem Joche Englands gelitten, bis ihnen in den letzten Jahr¬ zehnten einige Linderung zu Teil geworden ist. Allenthalben, wohin wir der englischen Kolonialpolitik folgen, sehen wir, daß sie erst zerstört hat, um dann auf¬ zubauen und jene großartigen Einrichtungen und Organisationen zu schaffen, welche die Bewunderung der zeitgenössischen Welt besitzen. Vielleicht die glänzendsten Repräsentanten der englischen Kolonialpolitik, seitdem sie den hohen Flug eingeschlagen hat, sind Lord Clarke und die Ostindische Kompagnie. Es ist außerordentlich bezeichnend, daß Lord Clarke ursprünglich ein bescheidener Kauf- mcmnselerk war. Der Drang nach Abenteuern, seine Entschlossenheit, seine That¬ kraft und sein Glück führte» ihn dazu, Länder zu erobern, welche seit Alexander dem Großen keine Kriegshelden im großen Stil gekannt haben. Die englische Kolonialpolitik war bis zum zweiten und dritten Jahrzehnt dieses Jahr¬ hunderts eine vorzugsweise erobernde, und erst seit etwa einem Menschenalter säugt sie an, planmäßig organisatorisch aufzutreten, da man die Notwendigkeit erkannt hat, den gewaltigen Besitz einzuteilen und zu befestigen. Unglücklicher¬ weise fällt diese Orgauisationsarbeit mit einer bedenklichen Spaltung unter den Politischen Parteien in England selbst zusammen. Diese Spaltung hat seither lähmend gewirkt, und es ist eine Frage, welche uns alle gegenwärtig interessirt, ob es einem englischen Staatsmanne gelingen wird, diese Spaltung zu über¬ winden und damit den Boden zu gewinnen, auf welchem die Konsolidation des britischen Weltreiches mit Erfolg angestrebt werden kann. Lenken wir nun unsre Blicke von der spanischen und englischen Kolonial¬ politik ab und richten wir sie auf unsre eignen Bestrebungen, überseeische Länder in Besitz zu nehmen und Kolonialpolitik zu treiben, so müssen wir zu dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/311>, abgerufen am 03.07.2024.