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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Spanische und englische Aolonialpolitik.

Wäre es gelungen, die Fortdauer dieser Voraussetzungen zu sichern, so würden
wir höchst wahrscheinlich noch heute Spanien als vorherrschende Kolonialmacht
zu betrachten haben; es kaun aber niemandem mehr zweifelhaft sein, daß diese
Voraussetzungen thatsächlich unhaltbar waren. Jenes Kolonialsystem hat Zu¬
stände geschaffen, welche die Bewunderung der Zeitgenossen herausforderten,
deren Nachteile aber heute klar zu Tage liege". Man werfe nur einen Blick
auf die Republiken in Zentral- und Südamerika. Wir finden dort unterdrückte
Völker, die jahrhundertelang in Unwissenheit und Armut gehalten worden
sind, auf deren Nacken der Fuß des Spaniers schwer lastete, und die heute,
nachdem sie ihre Freiheit schon zwei oder drei Menschenalter hindurch besitzen,
immer noch nicht in diejenigen Bahnen einlenken können, welche zu politischer
Reife und zu wirklicher Freiheit führen. Auf der andern Seite sehen wir die
Nachkommen jener Männer, welche die Waffen Spaniens dnrch das ganze
damals bekannte Amerika getragen haben, im Besitze großer Reichtümer und
fast absoluter Herrschaft. Und diese Gegensätze sind durch nichts vermittelt.
Kein Gesetz, möge es auch noch so viel Worte über konstitutionelle Freiheit
und Gleichberechtigung der Eingebornen enthalten, kann die tiefe Kluft über¬
brücken, welche zwischen der einheimischen Nasse und den Nachkommen der Hi¬
dalgos unleugbar besteht. Dieser tiefe Abstand wird nur dnrch einen dünnen
Schleier verhüllt, falls diese Angehörigen der einheimischen Nasse Männer in
hohen Stellungen im Staate sind. Es ist einer der Gründe für die zahllosen
Revolutionen in allen Republiken Zentral- und Südamerikas, daß zwischen den
Abkömmlingen der Spanier, selbst wenn sie sich mit einheimischen Blute ver¬
mischt haben, und den Abkömmlingen der Indianer eine tiefe Abneigung besteht.
Der Umstand, daß diese Abneigung des Blutes durch Interessenfragen erklärt
werden soll, ist nur ein schwacher Versuch, die Wahrheit zu verhüllen und die
Dinge minder bedenklich erscheinen zu lassen, als sie thatsächlich sind. Noch
immer betrachten die vornehmen Familien Zentral- und Südamerikas, welche
ihre Herkunft von den Begleitern des Cortez und der Vizekönige ableiten, die
Masse der einheimischen Bevölkerung als Zonto sin 1-3,201", und selbst auf die
Offiziere, Generale und hervorragenden Politiker Pflegen sie mit einer Mischung
von Geringschätzung und Neid herabzusehen. Die Geringschätzung hat ihre
Ursachen in historischen und sozialen Reminiszenzen, der Neid findet seinen
Grund in dem Umstände, daß die Männer aus indianischen oder Mischblnte
daran sind, Reichtum und Macht in jenen Ländern in ihre Hände zu bringen.
Die vornehmen, von den spanischen Eroberern abstammenden Familien verlieren
an Einfluß und an Besitz, und zahlreich sind in ganz Zentral- und Südamerika
die verarmten Sprößlinge jener Familien. Eins darf jedoch nicht übersehen
werden: diese spanischen Familien haben, obgleich sie aus fremdciw Blute sind,
dem Volke größere Wohlthaten entgegengebracht als die Mehrzahl der heutigen
Machthaber. Das lag daran, daß zur Zeit der Blüte des spanischen Kolonial-


Spanische und englische Aolonialpolitik.

Wäre es gelungen, die Fortdauer dieser Voraussetzungen zu sichern, so würden
wir höchst wahrscheinlich noch heute Spanien als vorherrschende Kolonialmacht
zu betrachten haben; es kaun aber niemandem mehr zweifelhaft sein, daß diese
Voraussetzungen thatsächlich unhaltbar waren. Jenes Kolonialsystem hat Zu¬
stände geschaffen, welche die Bewunderung der Zeitgenossen herausforderten,
deren Nachteile aber heute klar zu Tage liege». Man werfe nur einen Blick
auf die Republiken in Zentral- und Südamerika. Wir finden dort unterdrückte
Völker, die jahrhundertelang in Unwissenheit und Armut gehalten worden
sind, auf deren Nacken der Fuß des Spaniers schwer lastete, und die heute,
nachdem sie ihre Freiheit schon zwei oder drei Menschenalter hindurch besitzen,
immer noch nicht in diejenigen Bahnen einlenken können, welche zu politischer
Reife und zu wirklicher Freiheit führen. Auf der andern Seite sehen wir die
Nachkommen jener Männer, welche die Waffen Spaniens dnrch das ganze
damals bekannte Amerika getragen haben, im Besitze großer Reichtümer und
fast absoluter Herrschaft. Und diese Gegensätze sind durch nichts vermittelt.
Kein Gesetz, möge es auch noch so viel Worte über konstitutionelle Freiheit
und Gleichberechtigung der Eingebornen enthalten, kann die tiefe Kluft über¬
brücken, welche zwischen der einheimischen Nasse und den Nachkommen der Hi¬
dalgos unleugbar besteht. Dieser tiefe Abstand wird nur dnrch einen dünnen
Schleier verhüllt, falls diese Angehörigen der einheimischen Nasse Männer in
hohen Stellungen im Staate sind. Es ist einer der Gründe für die zahllosen
Revolutionen in allen Republiken Zentral- und Südamerikas, daß zwischen den
Abkömmlingen der Spanier, selbst wenn sie sich mit einheimischen Blute ver¬
mischt haben, und den Abkömmlingen der Indianer eine tiefe Abneigung besteht.
Der Umstand, daß diese Abneigung des Blutes durch Interessenfragen erklärt
werden soll, ist nur ein schwacher Versuch, die Wahrheit zu verhüllen und die
Dinge minder bedenklich erscheinen zu lassen, als sie thatsächlich sind. Noch
immer betrachten die vornehmen Familien Zentral- und Südamerikas, welche
ihre Herkunft von den Begleitern des Cortez und der Vizekönige ableiten, die
Masse der einheimischen Bevölkerung als Zonto sin 1-3,201», und selbst auf die
Offiziere, Generale und hervorragenden Politiker Pflegen sie mit einer Mischung
von Geringschätzung und Neid herabzusehen. Die Geringschätzung hat ihre
Ursachen in historischen und sozialen Reminiszenzen, der Neid findet seinen
Grund in dem Umstände, daß die Männer aus indianischen oder Mischblnte
daran sind, Reichtum und Macht in jenen Ländern in ihre Hände zu bringen.
Die vornehmen, von den spanischen Eroberern abstammenden Familien verlieren
an Einfluß und an Besitz, und zahlreich sind in ganz Zentral- und Südamerika
die verarmten Sprößlinge jener Familien. Eins darf jedoch nicht übersehen
werden: diese spanischen Familien haben, obgleich sie aus fremdciw Blute sind,
dem Volke größere Wohlthaten entgegengebracht als die Mehrzahl der heutigen
Machthaber. Das lag daran, daß zur Zeit der Blüte des spanischen Kolonial-


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[0309] Spanische und englische Aolonialpolitik. Wäre es gelungen, die Fortdauer dieser Voraussetzungen zu sichern, so würden wir höchst wahrscheinlich noch heute Spanien als vorherrschende Kolonialmacht zu betrachten haben; es kaun aber niemandem mehr zweifelhaft sein, daß diese Voraussetzungen thatsächlich unhaltbar waren. Jenes Kolonialsystem hat Zu¬ stände geschaffen, welche die Bewunderung der Zeitgenossen herausforderten, deren Nachteile aber heute klar zu Tage liege». Man werfe nur einen Blick auf die Republiken in Zentral- und Südamerika. Wir finden dort unterdrückte Völker, die jahrhundertelang in Unwissenheit und Armut gehalten worden sind, auf deren Nacken der Fuß des Spaniers schwer lastete, und die heute, nachdem sie ihre Freiheit schon zwei oder drei Menschenalter hindurch besitzen, immer noch nicht in diejenigen Bahnen einlenken können, welche zu politischer Reife und zu wirklicher Freiheit führen. Auf der andern Seite sehen wir die Nachkommen jener Männer, welche die Waffen Spaniens dnrch das ganze damals bekannte Amerika getragen haben, im Besitze großer Reichtümer und fast absoluter Herrschaft. Und diese Gegensätze sind durch nichts vermittelt. Kein Gesetz, möge es auch noch so viel Worte über konstitutionelle Freiheit und Gleichberechtigung der Eingebornen enthalten, kann die tiefe Kluft über¬ brücken, welche zwischen der einheimischen Nasse und den Nachkommen der Hi¬ dalgos unleugbar besteht. Dieser tiefe Abstand wird nur dnrch einen dünnen Schleier verhüllt, falls diese Angehörigen der einheimischen Nasse Männer in hohen Stellungen im Staate sind. Es ist einer der Gründe für die zahllosen Revolutionen in allen Republiken Zentral- und Südamerikas, daß zwischen den Abkömmlingen der Spanier, selbst wenn sie sich mit einheimischen Blute ver¬ mischt haben, und den Abkömmlingen der Indianer eine tiefe Abneigung besteht. Der Umstand, daß diese Abneigung des Blutes durch Interessenfragen erklärt werden soll, ist nur ein schwacher Versuch, die Wahrheit zu verhüllen und die Dinge minder bedenklich erscheinen zu lassen, als sie thatsächlich sind. Noch immer betrachten die vornehmen Familien Zentral- und Südamerikas, welche ihre Herkunft von den Begleitern des Cortez und der Vizekönige ableiten, die Masse der einheimischen Bevölkerung als Zonto sin 1-3,201», und selbst auf die Offiziere, Generale und hervorragenden Politiker Pflegen sie mit einer Mischung von Geringschätzung und Neid herabzusehen. Die Geringschätzung hat ihre Ursachen in historischen und sozialen Reminiszenzen, der Neid findet seinen Grund in dem Umstände, daß die Männer aus indianischen oder Mischblnte daran sind, Reichtum und Macht in jenen Ländern in ihre Hände zu bringen. Die vornehmen, von den spanischen Eroberern abstammenden Familien verlieren an Einfluß und an Besitz, und zahlreich sind in ganz Zentral- und Südamerika die verarmten Sprößlinge jener Familien. Eins darf jedoch nicht übersehen werden: diese spanischen Familien haben, obgleich sie aus fremdciw Blute sind, dem Volke größere Wohlthaten entgegengebracht als die Mehrzahl der heutigen Machthaber. Das lag daran, daß zur Zeit der Blüte des spanischen Kolonial-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/309>, abgerufen am 22.07.2024.