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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Iugenderiilncnmgen,

Hier traf uns meist, während wir entweder auf den niedrigen Stufen vor
einer der erwähnten Thüren saßen oder ausgestreckt davor lagen, Herr Schubert,
der Hauseigentümer, an. Gewöhnlich erschien er, ehe wir seil, .Kommen hörten,
denn er schlich stets auf Filzschuhen und machte auch durch seine lange, hagere
Gestalt und in seinem schlappcrnden grauen Rocke den Eindruck eines wandelnden
Gespenstes. Ich fürchtete mich unsäglich vor dem langen Manne, aus dessen
eingefallenem, runzclvollcm Gesicht mich ein strenges, kaltes Augenpaar düster
und drohend anblickte. Gewöhnlich" blieb er einige Sekunden lang kerzengerade
vor mir stehen, ohne den Mund zu öffnen. Nur die Hand bewegte sich un¬
merklich, indem der Zeigefinger sich wie gebietend hob und senkte. Vermutlich
sollte diese Bewegung mich zur Ruhe ernähren, was nicht nötig war, denn
vor Furcht konnte ich keinen Laut von mir geben. Sprechen habe ich den
sonderbar steifen und stillen Mann niemals hören.

Der Aufenthalt bei den Großeltern war für meine Mutter mit Verdrießlich¬
keiten mancherlei Art verknüpft. Der Raum war für zwei Familien, die ein¬
trächtig mit einander verkehren sollten, verhältnismäßig beschränkt. Ani uns
Platz zu machen, mußten die schon erwähnten unverheirateten Schwestern nebst
der Mutter sich dürftiger als sonst behelfen. Das mochte den guten Tanten
auf die Dauer unbequem werden, zumal da sich bei den kriegerischen Zeitläufen
nicht vorausbestimmen ließ, wie lange unser gezwungener Aufenthalt dauern
würde. Außerdem störte die Krankheit meines Bruders, dessen Husten bei Tag
und Nacht schrecklich anzuhören war, die ganze Hausordnung und versetzte
jedermann in Sorge und Unruhe.

Unter so mißlichen Umständen konnte es an leise geflüsterten Bemerkungen
nicht fehlen, die, meiner Mutter von unberufenen Zuträgern hinterbracht, deren
Zartgefühl verletzten und baldige Heimkehr in die eigne Häuslichkeit sehr
wünschenswert machte". Ohnehin wurde die Geängstigte von der Sorge um den
Vater verzehrt, der ganz allein mit jener resoluter Magd in dem verlassenen
Pastorat hauste. Einmal wöchentlich besuchte uns der Vater, immer aber nnr
auf kurze Zeit, da er nicht lange abwesend sein konnte. Das Scheiden nach
solchen Besuchen, bei welchen es zwischen deu Eltern wohl auch zu Herzens-
ergießungen kommen mochte, war immer traurig. Wenigstens zeigten sich im
Auge der Mutter dann Thränen, die bei ihrem von Natur heitern Temperamente
sich nur in Augenblicken schmerzlicher Erregung bemerkbar machten.

Wir Kinder fanden uns leichter in die neuen und ungewohnten Ver¬
hältnisse. Vermißten wir auch anfangs die gewohnten Räume des Vaterhauses,
in dem wir ungehindert schalten und walten konnte", so gab uns doch das
kriegerische Leben auf der Straße, in das wir uus bisweilen sogar an der
Hand eines nächsten Verwandten zu mischen wagten, und manches neue im Hause,
das uns fesselte, fortwährende Beschäftigung.

Am liebsten teilte ich und der Großmutter den Platz am Fenster, wo mir


Iugenderiilncnmgen,

Hier traf uns meist, während wir entweder auf den niedrigen Stufen vor
einer der erwähnten Thüren saßen oder ausgestreckt davor lagen, Herr Schubert,
der Hauseigentümer, an. Gewöhnlich erschien er, ehe wir seil, .Kommen hörten,
denn er schlich stets auf Filzschuhen und machte auch durch seine lange, hagere
Gestalt und in seinem schlappcrnden grauen Rocke den Eindruck eines wandelnden
Gespenstes. Ich fürchtete mich unsäglich vor dem langen Manne, aus dessen
eingefallenem, runzclvollcm Gesicht mich ein strenges, kaltes Augenpaar düster
und drohend anblickte. Gewöhnlich" blieb er einige Sekunden lang kerzengerade
vor mir stehen, ohne den Mund zu öffnen. Nur die Hand bewegte sich un¬
merklich, indem der Zeigefinger sich wie gebietend hob und senkte. Vermutlich
sollte diese Bewegung mich zur Ruhe ernähren, was nicht nötig war, denn
vor Furcht konnte ich keinen Laut von mir geben. Sprechen habe ich den
sonderbar steifen und stillen Mann niemals hören.

Der Aufenthalt bei den Großeltern war für meine Mutter mit Verdrießlich¬
keiten mancherlei Art verknüpft. Der Raum war für zwei Familien, die ein¬
trächtig mit einander verkehren sollten, verhältnismäßig beschränkt. Ani uns
Platz zu machen, mußten die schon erwähnten unverheirateten Schwestern nebst
der Mutter sich dürftiger als sonst behelfen. Das mochte den guten Tanten
auf die Dauer unbequem werden, zumal da sich bei den kriegerischen Zeitläufen
nicht vorausbestimmen ließ, wie lange unser gezwungener Aufenthalt dauern
würde. Außerdem störte die Krankheit meines Bruders, dessen Husten bei Tag
und Nacht schrecklich anzuhören war, die ganze Hausordnung und versetzte
jedermann in Sorge und Unruhe.

Unter so mißlichen Umständen konnte es an leise geflüsterten Bemerkungen
nicht fehlen, die, meiner Mutter von unberufenen Zuträgern hinterbracht, deren
Zartgefühl verletzten und baldige Heimkehr in die eigne Häuslichkeit sehr
wünschenswert machte«. Ohnehin wurde die Geängstigte von der Sorge um den
Vater verzehrt, der ganz allein mit jener resoluter Magd in dem verlassenen
Pastorat hauste. Einmal wöchentlich besuchte uns der Vater, immer aber nnr
auf kurze Zeit, da er nicht lange abwesend sein konnte. Das Scheiden nach
solchen Besuchen, bei welchen es zwischen deu Eltern wohl auch zu Herzens-
ergießungen kommen mochte, war immer traurig. Wenigstens zeigten sich im
Auge der Mutter dann Thränen, die bei ihrem von Natur heitern Temperamente
sich nur in Augenblicken schmerzlicher Erregung bemerkbar machten.

Wir Kinder fanden uns leichter in die neuen und ungewohnten Ver¬
hältnisse. Vermißten wir auch anfangs die gewohnten Räume des Vaterhauses,
in dem wir ungehindert schalten und walten konnte», so gab uns doch das
kriegerische Leben auf der Straße, in das wir uus bisweilen sogar an der
Hand eines nächsten Verwandten zu mischen wagten, und manches neue im Hause,
das uns fesselte, fortwährende Beschäftigung.

Am liebsten teilte ich und der Großmutter den Platz am Fenster, wo mir


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[0301] Iugenderiilncnmgen, Hier traf uns meist, während wir entweder auf den niedrigen Stufen vor einer der erwähnten Thüren saßen oder ausgestreckt davor lagen, Herr Schubert, der Hauseigentümer, an. Gewöhnlich erschien er, ehe wir seil, .Kommen hörten, denn er schlich stets auf Filzschuhen und machte auch durch seine lange, hagere Gestalt und in seinem schlappcrnden grauen Rocke den Eindruck eines wandelnden Gespenstes. Ich fürchtete mich unsäglich vor dem langen Manne, aus dessen eingefallenem, runzclvollcm Gesicht mich ein strenges, kaltes Augenpaar düster und drohend anblickte. Gewöhnlich" blieb er einige Sekunden lang kerzengerade vor mir stehen, ohne den Mund zu öffnen. Nur die Hand bewegte sich un¬ merklich, indem der Zeigefinger sich wie gebietend hob und senkte. Vermutlich sollte diese Bewegung mich zur Ruhe ernähren, was nicht nötig war, denn vor Furcht konnte ich keinen Laut von mir geben. Sprechen habe ich den sonderbar steifen und stillen Mann niemals hören. Der Aufenthalt bei den Großeltern war für meine Mutter mit Verdrießlich¬ keiten mancherlei Art verknüpft. Der Raum war für zwei Familien, die ein¬ trächtig mit einander verkehren sollten, verhältnismäßig beschränkt. Ani uns Platz zu machen, mußten die schon erwähnten unverheirateten Schwestern nebst der Mutter sich dürftiger als sonst behelfen. Das mochte den guten Tanten auf die Dauer unbequem werden, zumal da sich bei den kriegerischen Zeitläufen nicht vorausbestimmen ließ, wie lange unser gezwungener Aufenthalt dauern würde. Außerdem störte die Krankheit meines Bruders, dessen Husten bei Tag und Nacht schrecklich anzuhören war, die ganze Hausordnung und versetzte jedermann in Sorge und Unruhe. Unter so mißlichen Umständen konnte es an leise geflüsterten Bemerkungen nicht fehlen, die, meiner Mutter von unberufenen Zuträgern hinterbracht, deren Zartgefühl verletzten und baldige Heimkehr in die eigne Häuslichkeit sehr wünschenswert machte«. Ohnehin wurde die Geängstigte von der Sorge um den Vater verzehrt, der ganz allein mit jener resoluter Magd in dem verlassenen Pastorat hauste. Einmal wöchentlich besuchte uns der Vater, immer aber nnr auf kurze Zeit, da er nicht lange abwesend sein konnte. Das Scheiden nach solchen Besuchen, bei welchen es zwischen deu Eltern wohl auch zu Herzens- ergießungen kommen mochte, war immer traurig. Wenigstens zeigten sich im Auge der Mutter dann Thränen, die bei ihrem von Natur heitern Temperamente sich nur in Augenblicken schmerzlicher Erregung bemerkbar machten. Wir Kinder fanden uns leichter in die neuen und ungewohnten Ver¬ hältnisse. Vermißten wir auch anfangs die gewohnten Räume des Vaterhauses, in dem wir ungehindert schalten und walten konnte», so gab uns doch das kriegerische Leben auf der Straße, in das wir uus bisweilen sogar an der Hand eines nächsten Verwandten zu mischen wagten, und manches neue im Hause, das uns fesselte, fortwährende Beschäftigung. Am liebsten teilte ich und der Großmutter den Platz am Fenster, wo mir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/301>, abgerufen am 03.07.2024.