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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Martin Salander.

zusahen, denn einzeln sind sie nichts: "ihnen fehlt die Persönlichkeit, sie haben
keine Seelen." Darum wird auch das Treiben dieser Zwillinge nicht immer
dargestellt, sondern es wird darüber berichtet; um sie in Handlung ausführlich
zu schildern, hätten sie ja wieder eine "Seele" nötig, die sie eben nicht daheim
Die Salanderschen Töchter verlieben sich also in die Brüder Weidelich. Zwar
sind diese Herren jünger als die bald sechsundzwanzigjährigen Schwestern; zwar
sind sie als Söhne einer Waschfrau, die zugleich das Gemüse ihres Mannes zu
Markte trägt, weit unter dem Stande, auf deu die Salanderschen Anspruch er¬
heben dürfen, bei aller republikanischen Vorurteilslosigkeit; zwar sind die
Zwillinge vorläufig nichts als simple Notarschreiber, ohne Vermögen und haben
nnßer einigen körperlichen Kunststücken, wie flottem Tanzen, nicht viel gelernt;
zwar ist der gegründete Verdacht vorhanden, daß die Zwillinge auf nichts
andres als auf das reiche Erbe der Salanderschen Töchter spekuliren, von denen
jede ihre halbe Million schwer ist -- das thut alles nichts! Die Sekel und
die Natti haben sich einmal die Jünglinge in deu Kopf gesetzt, sie lassen Jahr
auf Jahr in klösterlicher Zurückgezogenheit verstreichen, um abzuwarten, bis der
Jsidor und der Julian heiratsfähig geworden sind, jeder andre Antrag wird
ausgeschlagen, die Warnungen, die Drohungen, der Zorn und der Kummer der
Eltern werden trotzig ertragen, bis sie ihren Willen durchgesetzt haben und die
Gattinnen der Zwillinge geworden sind.

Diese Brüder Weidelich sind ganz durchtriebene Schufte, Keller hat in ihnen
ein satirisches Meisterstück geliefert. Das Strebertum hat schon mancher zu
zeichnen versucht; mit Kellers Leistung kann sich niemand vergleichen. Er läßt
ihnen schon in der Jugend das Strebertum einimpfen. Ihre Mutter, die Waschfrau
Amalie Weltalles, die im Verlaufe der Dichtung zu einer tragisch mächtigen Figur
auswächst, thut sich in begreiflichen Mutterstolze auf ihr Söhnepaar viel zu
Gute. Auch sie fühlt von der frischen demokratischen Strömung des Landes,
die eben weht, ihren Mut gehoben, sie will sich durch nichts mehr von den bessern
Ständen unterscheiden. Sie tragt einen neumodischen Hut anstatt des einfachen
Kopftuches der Marktweiber, und ihre Söhne müssen zu ihr "Mama" sagen, nicht
mehr Mutter, wie das ungebildete Volk. Zum Gemüsegärtner Jakob Weidelich
sagen die Kiuder jedoch bloß "Vater"; denn der Pfarrer hat den Eltern in
irgendeiner Sonntagspredigt gelegentlich den Wink gegeben, daß mit dem noblen
"Papa" auch die höhern Steuern ins Hans kämen, und so ließ man es beim "Vater"
bewenden. Dann wurden die Jungen der Waschfrau ins Ghmnasium geschickt,
was zwar viel Geld kostete, doch die Eltern waren fleißig. Freilich vor der Reife-
Prüfung für die Universität rissen beide Zwillinge aus; wegen ihrer schönen Hand¬
schrift fanden sie als Notariatsschreiber Unterkunft. Dann gelingt ihnen die schlau
eingefädelte Liebschaft mit den Salanderschen Töchtern; der Verkehr danert lauge
Zeit hinter dem Rücken der Eltern. Als diese davon Kenntnis erhalten und
Martin in der heitern Lauscherszcne im Garten dem verliebten Paare die Ent-


Martin Salander.

zusahen, denn einzeln sind sie nichts: „ihnen fehlt die Persönlichkeit, sie haben
keine Seelen." Darum wird auch das Treiben dieser Zwillinge nicht immer
dargestellt, sondern es wird darüber berichtet; um sie in Handlung ausführlich
zu schildern, hätten sie ja wieder eine „Seele" nötig, die sie eben nicht daheim
Die Salanderschen Töchter verlieben sich also in die Brüder Weidelich. Zwar
sind diese Herren jünger als die bald sechsundzwanzigjährigen Schwestern; zwar
sind sie als Söhne einer Waschfrau, die zugleich das Gemüse ihres Mannes zu
Markte trägt, weit unter dem Stande, auf deu die Salanderschen Anspruch er¬
heben dürfen, bei aller republikanischen Vorurteilslosigkeit; zwar sind die
Zwillinge vorläufig nichts als simple Notarschreiber, ohne Vermögen und haben
nnßer einigen körperlichen Kunststücken, wie flottem Tanzen, nicht viel gelernt;
zwar ist der gegründete Verdacht vorhanden, daß die Zwillinge auf nichts
andres als auf das reiche Erbe der Salanderschen Töchter spekuliren, von denen
jede ihre halbe Million schwer ist — das thut alles nichts! Die Sekel und
die Natti haben sich einmal die Jünglinge in deu Kopf gesetzt, sie lassen Jahr
auf Jahr in klösterlicher Zurückgezogenheit verstreichen, um abzuwarten, bis der
Jsidor und der Julian heiratsfähig geworden sind, jeder andre Antrag wird
ausgeschlagen, die Warnungen, die Drohungen, der Zorn und der Kummer der
Eltern werden trotzig ertragen, bis sie ihren Willen durchgesetzt haben und die
Gattinnen der Zwillinge geworden sind.

Diese Brüder Weidelich sind ganz durchtriebene Schufte, Keller hat in ihnen
ein satirisches Meisterstück geliefert. Das Strebertum hat schon mancher zu
zeichnen versucht; mit Kellers Leistung kann sich niemand vergleichen. Er läßt
ihnen schon in der Jugend das Strebertum einimpfen. Ihre Mutter, die Waschfrau
Amalie Weltalles, die im Verlaufe der Dichtung zu einer tragisch mächtigen Figur
auswächst, thut sich in begreiflichen Mutterstolze auf ihr Söhnepaar viel zu
Gute. Auch sie fühlt von der frischen demokratischen Strömung des Landes,
die eben weht, ihren Mut gehoben, sie will sich durch nichts mehr von den bessern
Ständen unterscheiden. Sie tragt einen neumodischen Hut anstatt des einfachen
Kopftuches der Marktweiber, und ihre Söhne müssen zu ihr „Mama" sagen, nicht
mehr Mutter, wie das ungebildete Volk. Zum Gemüsegärtner Jakob Weidelich
sagen die Kiuder jedoch bloß „Vater"; denn der Pfarrer hat den Eltern in
irgendeiner Sonntagspredigt gelegentlich den Wink gegeben, daß mit dem noblen
„Papa" auch die höhern Steuern ins Hans kämen, und so ließ man es beim „Vater"
bewenden. Dann wurden die Jungen der Waschfrau ins Ghmnasium geschickt,
was zwar viel Geld kostete, doch die Eltern waren fleißig. Freilich vor der Reife-
Prüfung für die Universität rissen beide Zwillinge aus; wegen ihrer schönen Hand¬
schrift fanden sie als Notariatsschreiber Unterkunft. Dann gelingt ihnen die schlau
eingefädelte Liebschaft mit den Salanderschen Töchtern; der Verkehr danert lauge
Zeit hinter dem Rücken der Eltern. Als diese davon Kenntnis erhalten und
Martin in der heitern Lauscherszcne im Garten dem verliebten Paare die Ent-


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[0285] Martin Salander. zusahen, denn einzeln sind sie nichts: „ihnen fehlt die Persönlichkeit, sie haben keine Seelen." Darum wird auch das Treiben dieser Zwillinge nicht immer dargestellt, sondern es wird darüber berichtet; um sie in Handlung ausführlich zu schildern, hätten sie ja wieder eine „Seele" nötig, die sie eben nicht daheim Die Salanderschen Töchter verlieben sich also in die Brüder Weidelich. Zwar sind diese Herren jünger als die bald sechsundzwanzigjährigen Schwestern; zwar sind sie als Söhne einer Waschfrau, die zugleich das Gemüse ihres Mannes zu Markte trägt, weit unter dem Stande, auf deu die Salanderschen Anspruch er¬ heben dürfen, bei aller republikanischen Vorurteilslosigkeit; zwar sind die Zwillinge vorläufig nichts als simple Notarschreiber, ohne Vermögen und haben nnßer einigen körperlichen Kunststücken, wie flottem Tanzen, nicht viel gelernt; zwar ist der gegründete Verdacht vorhanden, daß die Zwillinge auf nichts andres als auf das reiche Erbe der Salanderschen Töchter spekuliren, von denen jede ihre halbe Million schwer ist — das thut alles nichts! Die Sekel und die Natti haben sich einmal die Jünglinge in deu Kopf gesetzt, sie lassen Jahr auf Jahr in klösterlicher Zurückgezogenheit verstreichen, um abzuwarten, bis der Jsidor und der Julian heiratsfähig geworden sind, jeder andre Antrag wird ausgeschlagen, die Warnungen, die Drohungen, der Zorn und der Kummer der Eltern werden trotzig ertragen, bis sie ihren Willen durchgesetzt haben und die Gattinnen der Zwillinge geworden sind. Diese Brüder Weidelich sind ganz durchtriebene Schufte, Keller hat in ihnen ein satirisches Meisterstück geliefert. Das Strebertum hat schon mancher zu zeichnen versucht; mit Kellers Leistung kann sich niemand vergleichen. Er läßt ihnen schon in der Jugend das Strebertum einimpfen. Ihre Mutter, die Waschfrau Amalie Weltalles, die im Verlaufe der Dichtung zu einer tragisch mächtigen Figur auswächst, thut sich in begreiflichen Mutterstolze auf ihr Söhnepaar viel zu Gute. Auch sie fühlt von der frischen demokratischen Strömung des Landes, die eben weht, ihren Mut gehoben, sie will sich durch nichts mehr von den bessern Ständen unterscheiden. Sie tragt einen neumodischen Hut anstatt des einfachen Kopftuches der Marktweiber, und ihre Söhne müssen zu ihr „Mama" sagen, nicht mehr Mutter, wie das ungebildete Volk. Zum Gemüsegärtner Jakob Weidelich sagen die Kiuder jedoch bloß „Vater"; denn der Pfarrer hat den Eltern in irgendeiner Sonntagspredigt gelegentlich den Wink gegeben, daß mit dem noblen „Papa" auch die höhern Steuern ins Hans kämen, und so ließ man es beim „Vater" bewenden. Dann wurden die Jungen der Waschfrau ins Ghmnasium geschickt, was zwar viel Geld kostete, doch die Eltern waren fleißig. Freilich vor der Reife- Prüfung für die Universität rissen beide Zwillinge aus; wegen ihrer schönen Hand¬ schrift fanden sie als Notariatsschreiber Unterkunft. Dann gelingt ihnen die schlau eingefädelte Liebschaft mit den Salanderschen Töchtern; der Verkehr danert lauge Zeit hinter dem Rücken der Eltern. Als diese davon Kenntnis erhalten und Martin in der heitern Lauscherszcne im Garten dem verliebten Paare die Ent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/285>, abgerufen am 23.12.2024.