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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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aus gebratenen Enten und Hühnern. Nach polnischer Sitte wurde dies Ge¬
flügel über offenem Feuer am Spieß gebraten. Um nun mit dem herab-
trüufelnden Fett die Braten von Zeit zu Zeit wieder anfeuchten zu können,
bedürfte der Koch eines dienliche" Gerätes, und dazu begehrte er als besonders
geeignet einen sogenannten Flederwisch, d. h. den Flügel einer Gans, welchem
die Federn verblieben sind. Im ganzen Hanse fand sich nur ein einziger solcher
Flederwisch vor, doch hatte derselbe längst die Farbe der Unschuld verloren, denn
der Töpfer benutzte ihn, wenn er den Zugofeu in des Vaters Studirzimmer
reinigte, zum Ausfegen und Zusammenkehren des Rußes. Bewassnet mit diesem
viel gebrauchten Gänseflügel, näherte sich die Magd dem alle Ecken der düstern
Küche durchstöbernden Spcisekünstler, fest überzeugt, den durch solche Zumutung
heftig geärgerten auf gut Polnisch fluchen und wettern zu hören, was sie stets
ergötzte. Aber siehe da, der sehr geschwärzte und stark nach Nuß duftende Fleder¬
wisch ward ohne nähere Besichtigung äovro befunden, in einem Kübel warmen
Wassers oberflächlich ausgeschwenkt und darauf sofort dazu benutzt, die am Spieß
steckenden Enten mit Butter zu bestreichen. Da war es freilich kein Wunder,
wenn alle deutsche Hausfrauen später ein Gruseln überlief, sobald sie den Namen
Polen nur nennen hörten, und der hänfig gebrauchte Ausdruck "Polnische Wirt¬
schaft" war allen, welche jemals mit polnischem Militär in Berührung gekommen
waren, seit dem Kriege kein leerer Schall mehr.

Die empfindlichen Niederlagen, welche die Heere Napoleons an der Katzbach
und anderwärts erlitten hatten, verbunden mit dein Umschwunge in der Politik
Österreichs, brachten Sachsen in eine bedauerliche Lage gegenüber den Ver¬
bündeten Mächten. Diese Veränderung in der politischen Lage sollte auch der
Bevölkerung der Lausitz bald fühlbar werden.

Unerwartet, wie sie gekommen waren, verließen uns die Polen. Die Ein¬
wohner des Ortes, die mit den befreundeten Truppen auf gutem Fuße gelebt
hatten, sahen sie mit gemischten Empfindungen abziehen; denn aus Äußerungen
der höhern Offiziere, die über die Lage, wenn auch uicht gründlich, so doch bis
zu einem gewissen Grade unterrichtet sein mochten, mußte sich Zittau und Um¬
gegend auf deu Einmarsch feindlicher Truppen gefaßt machen. Selbst ein
blutiger Zusammenstoß einander begegnender Heeresmassen wurde als möglich
in Aussicht genommen.

Noch vor dem Abmärsche der polnischen Truppen wurde die nächste Um¬
gegend von den Offizieren sehr genan besichtigt. In nnserm Hause ging es
dabei so lebhaft zu wie in dem Hauptquartiere eines kommandirenden Generals.
Ordonnanzen kamen und gingen, und nach mehrmaligen Besprechungen mit solchen
Sendungen, die in dem nahen Zittau, wo der Stab lag, ihren Mittelpunkt
hatten, umritt der Oberst mit seinen militärischen Begleitern das weitläufig
gebnute Dorf zu wiederholten malen.

Dem Vater wurde dies Kommen und Gehen, Besichtigen und Vermessen


Ittg^iideriinlcrnnge».

aus gebratenen Enten und Hühnern. Nach polnischer Sitte wurde dies Ge¬
flügel über offenem Feuer am Spieß gebraten. Um nun mit dem herab-
trüufelnden Fett die Braten von Zeit zu Zeit wieder anfeuchten zu können,
bedürfte der Koch eines dienliche» Gerätes, und dazu begehrte er als besonders
geeignet einen sogenannten Flederwisch, d. h. den Flügel einer Gans, welchem
die Federn verblieben sind. Im ganzen Hanse fand sich nur ein einziger solcher
Flederwisch vor, doch hatte derselbe längst die Farbe der Unschuld verloren, denn
der Töpfer benutzte ihn, wenn er den Zugofeu in des Vaters Studirzimmer
reinigte, zum Ausfegen und Zusammenkehren des Rußes. Bewassnet mit diesem
viel gebrauchten Gänseflügel, näherte sich die Magd dem alle Ecken der düstern
Küche durchstöbernden Spcisekünstler, fest überzeugt, den durch solche Zumutung
heftig geärgerten auf gut Polnisch fluchen und wettern zu hören, was sie stets
ergötzte. Aber siehe da, der sehr geschwärzte und stark nach Nuß duftende Fleder¬
wisch ward ohne nähere Besichtigung äovro befunden, in einem Kübel warmen
Wassers oberflächlich ausgeschwenkt und darauf sofort dazu benutzt, die am Spieß
steckenden Enten mit Butter zu bestreichen. Da war es freilich kein Wunder,
wenn alle deutsche Hausfrauen später ein Gruseln überlief, sobald sie den Namen
Polen nur nennen hörten, und der hänfig gebrauchte Ausdruck „Polnische Wirt¬
schaft" war allen, welche jemals mit polnischem Militär in Berührung gekommen
waren, seit dem Kriege kein leerer Schall mehr.

Die empfindlichen Niederlagen, welche die Heere Napoleons an der Katzbach
und anderwärts erlitten hatten, verbunden mit dein Umschwunge in der Politik
Österreichs, brachten Sachsen in eine bedauerliche Lage gegenüber den Ver¬
bündeten Mächten. Diese Veränderung in der politischen Lage sollte auch der
Bevölkerung der Lausitz bald fühlbar werden.

Unerwartet, wie sie gekommen waren, verließen uns die Polen. Die Ein¬
wohner des Ortes, die mit den befreundeten Truppen auf gutem Fuße gelebt
hatten, sahen sie mit gemischten Empfindungen abziehen; denn aus Äußerungen
der höhern Offiziere, die über die Lage, wenn auch uicht gründlich, so doch bis
zu einem gewissen Grade unterrichtet sein mochten, mußte sich Zittau und Um¬
gegend auf deu Einmarsch feindlicher Truppen gefaßt machen. Selbst ein
blutiger Zusammenstoß einander begegnender Heeresmassen wurde als möglich
in Aussicht genommen.

Noch vor dem Abmärsche der polnischen Truppen wurde die nächste Um¬
gegend von den Offizieren sehr genan besichtigt. In nnserm Hause ging es
dabei so lebhaft zu wie in dem Hauptquartiere eines kommandirenden Generals.
Ordonnanzen kamen und gingen, und nach mehrmaligen Besprechungen mit solchen
Sendungen, die in dem nahen Zittau, wo der Stab lag, ihren Mittelpunkt
hatten, umritt der Oberst mit seinen militärischen Begleitern das weitläufig
gebnute Dorf zu wiederholten malen.

Dem Vater wurde dies Kommen und Gehen, Besichtigen und Vermessen


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[0247] Ittg^iideriinlcrnnge». aus gebratenen Enten und Hühnern. Nach polnischer Sitte wurde dies Ge¬ flügel über offenem Feuer am Spieß gebraten. Um nun mit dem herab- trüufelnden Fett die Braten von Zeit zu Zeit wieder anfeuchten zu können, bedürfte der Koch eines dienliche» Gerätes, und dazu begehrte er als besonders geeignet einen sogenannten Flederwisch, d. h. den Flügel einer Gans, welchem die Federn verblieben sind. Im ganzen Hanse fand sich nur ein einziger solcher Flederwisch vor, doch hatte derselbe längst die Farbe der Unschuld verloren, denn der Töpfer benutzte ihn, wenn er den Zugofeu in des Vaters Studirzimmer reinigte, zum Ausfegen und Zusammenkehren des Rußes. Bewassnet mit diesem viel gebrauchten Gänseflügel, näherte sich die Magd dem alle Ecken der düstern Küche durchstöbernden Spcisekünstler, fest überzeugt, den durch solche Zumutung heftig geärgerten auf gut Polnisch fluchen und wettern zu hören, was sie stets ergötzte. Aber siehe da, der sehr geschwärzte und stark nach Nuß duftende Fleder¬ wisch ward ohne nähere Besichtigung äovro befunden, in einem Kübel warmen Wassers oberflächlich ausgeschwenkt und darauf sofort dazu benutzt, die am Spieß steckenden Enten mit Butter zu bestreichen. Da war es freilich kein Wunder, wenn alle deutsche Hausfrauen später ein Gruseln überlief, sobald sie den Namen Polen nur nennen hörten, und der hänfig gebrauchte Ausdruck „Polnische Wirt¬ schaft" war allen, welche jemals mit polnischem Militär in Berührung gekommen waren, seit dem Kriege kein leerer Schall mehr. Die empfindlichen Niederlagen, welche die Heere Napoleons an der Katzbach und anderwärts erlitten hatten, verbunden mit dein Umschwunge in der Politik Österreichs, brachten Sachsen in eine bedauerliche Lage gegenüber den Ver¬ bündeten Mächten. Diese Veränderung in der politischen Lage sollte auch der Bevölkerung der Lausitz bald fühlbar werden. Unerwartet, wie sie gekommen waren, verließen uns die Polen. Die Ein¬ wohner des Ortes, die mit den befreundeten Truppen auf gutem Fuße gelebt hatten, sahen sie mit gemischten Empfindungen abziehen; denn aus Äußerungen der höhern Offiziere, die über die Lage, wenn auch uicht gründlich, so doch bis zu einem gewissen Grade unterrichtet sein mochten, mußte sich Zittau und Um¬ gegend auf deu Einmarsch feindlicher Truppen gefaßt machen. Selbst ein blutiger Zusammenstoß einander begegnender Heeresmassen wurde als möglich in Aussicht genommen. Noch vor dem Abmärsche der polnischen Truppen wurde die nächste Um¬ gegend von den Offizieren sehr genan besichtigt. In nnserm Hause ging es dabei so lebhaft zu wie in dem Hauptquartiere eines kommandirenden Generals. Ordonnanzen kamen und gingen, und nach mehrmaligen Besprechungen mit solchen Sendungen, die in dem nahen Zittau, wo der Stab lag, ihren Mittelpunkt hatten, umritt der Oberst mit seinen militärischen Begleitern das weitläufig gebnute Dorf zu wiederholten malen. Dem Vater wurde dies Kommen und Gehen, Besichtigen und Vermessen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/247>, abgerufen am 01.10.2024.