Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.Gymnasialunterrichi und Fachbildung. bedauerliche Gegensatz, der sich zwischen diese" beiden Gruppen ausgebildet und Gymnasialunterrichi und Fachbildung. bedauerliche Gegensatz, der sich zwischen diese» beiden Gruppen ausgebildet und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0231" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/200336"/> <fw type="header" place="top"> Gymnasialunterrichi und Fachbildung.</fw><lb/> <p xml:id="ID_664" prev="#ID_663" next="#ID_665"> bedauerliche Gegensatz, der sich zwischen diese» beiden Gruppen ausgebildet und<lb/> vielfach zu einer Art feindseliger Stimmung gegen die thatsächlich oder ver¬<lb/> meintlich allzuhoch geschraubten Ansprüche der Schulverwaltung gesteigert hat,<lb/> muß verschwinden. Die Schule ist nicht bloß eine Unterrichtsanstalt; sie muß<lb/> sich ihrer pädagogischen Aufgabe wieder bewußt werden und neben der An¬<lb/> häufung von Kenntnissen die Pflege des Körpers und die Bildung des Cha¬<lb/> rakters mehr als bisher in ihren Wirkungskreis ziehen. Ob das Maß von<lb/> Wissen, mit welchem der Schüler sich ihrem sorglichen Arme entwindet, dann<lb/> etwas größer oder geringer ist, darf nicht in Betracht kommen. Es sollen<lb/> Männer für das öffentliche Leben, nicht Gelehrte für die Studirstube ausge¬<lb/> bildet werden. Ob min eine Einheitsschule diesen Ansprüchen ganz gerecht wird,<lb/> will ich noch unentschieden lassen. Die Vielheit der Schulen ist jedenfalls kein<lb/> Glück; sie nährt die Mißgunst gegeneinander und führt zu unnötigen Spal¬<lb/> tungen. Die Realgymnasien oder Realschulen erster Ordnung werden sich<lb/> schwerlich lange halten können. Das zeigt schon die Verödung ihrer Ober-<lb/> klassen. Dem Gymnasium aber muß, bei allen zulässigen Zugeständnissen an<lb/> die naturwissenschaftlichen Fächer, der humanistische Geist — denn auf diesen<lb/> kommt es an — erhalten bleiben. Dieser haftet nicht allein an dem altsprach¬<lb/> lichen Lehrgebiet. Die Beschränkung des letztern wird denn auch unvermeidlich<lb/> sein. Unser heutiges Kulturleben ist nicht mehr dasselbe, wie zu Beginn des<lb/> Jahrhunderts. In seinen mannichfachen Gliederungen, in den Gemeindever¬<lb/> waltungen, im Parlament, in volkswirtschaftlichen Verbänden, ja selbst in dein<lb/> weiten Nahmen gesellschaftlicher Gewohnheiten stellt das öffentliche Leben andre<lb/> und ungleich vielseitigere Anforderungen an die Mitglieder der höhern Stände.<lb/> Arbeitsteilung ist die Signatur unsrer Zeit auch auf wissenschaftlichem Gebiete.<lb/> Wir begegnen ihr in allen Zweigen der freien wie der exakten Forschung. Die<lb/> Konkurrenz zieht planmäßig Spezialisten groß. Dem? mir in der Beschränkung<lb/> des Arbeitsgebietes kann der Einzelne noch hoffen, geistige Erfolge und ma¬<lb/> teriellen Gewinn zu erzielen. Dieser durch die Ökonomik der Kräfte gebotenen<lb/> unabweislichen Zersplitterung entgegenzuwirken und der Ausbildung der Ge¬<lb/> sellschaftsmitglieder, soweit dies irgend möglich ist, noch einen kollektivistischen<lb/> Charakter zu erhalten, sollte die Aufgabe des Gymnasiums sein, der sich Lchr-<lb/> Plan und Lehrmethode anzupassen hat. Die Mißstimmung über die heutigen<lb/> Zustände ist sehr verbreitet. Der Wunsch nach einer Schulreform liegt, sozu¬<lb/> sagen, in der Luft. Dennoch wird es sehr schwer sein, ihn in greifbarer Form<lb/> zu verwirklichen. Eine radikale Umwandlung unsers Gymuasialwesens ist nicht<lb/> denkbar und anch nicht nötig. Übergangsstufen werden sich leichter finden<lb/> lassen. Eine Initiative Vonseiten der fachmännischer Kreise darf man aber uicht<lb/> erwarten. Auch die Regierungen befinden sich in einer schwierigen Lage. Sie<lb/> sind — selbst wenn bei ihren leitenden Organen die Neigung zu Reformen<lb/> besteht — doch mehr oder weniger an die Gutachten und Ratschläge von</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0231]
Gymnasialunterrichi und Fachbildung.
bedauerliche Gegensatz, der sich zwischen diese» beiden Gruppen ausgebildet und
vielfach zu einer Art feindseliger Stimmung gegen die thatsächlich oder ver¬
meintlich allzuhoch geschraubten Ansprüche der Schulverwaltung gesteigert hat,
muß verschwinden. Die Schule ist nicht bloß eine Unterrichtsanstalt; sie muß
sich ihrer pädagogischen Aufgabe wieder bewußt werden und neben der An¬
häufung von Kenntnissen die Pflege des Körpers und die Bildung des Cha¬
rakters mehr als bisher in ihren Wirkungskreis ziehen. Ob das Maß von
Wissen, mit welchem der Schüler sich ihrem sorglichen Arme entwindet, dann
etwas größer oder geringer ist, darf nicht in Betracht kommen. Es sollen
Männer für das öffentliche Leben, nicht Gelehrte für die Studirstube ausge¬
bildet werden. Ob min eine Einheitsschule diesen Ansprüchen ganz gerecht wird,
will ich noch unentschieden lassen. Die Vielheit der Schulen ist jedenfalls kein
Glück; sie nährt die Mißgunst gegeneinander und führt zu unnötigen Spal¬
tungen. Die Realgymnasien oder Realschulen erster Ordnung werden sich
schwerlich lange halten können. Das zeigt schon die Verödung ihrer Ober-
klassen. Dem Gymnasium aber muß, bei allen zulässigen Zugeständnissen an
die naturwissenschaftlichen Fächer, der humanistische Geist — denn auf diesen
kommt es an — erhalten bleiben. Dieser haftet nicht allein an dem altsprach¬
lichen Lehrgebiet. Die Beschränkung des letztern wird denn auch unvermeidlich
sein. Unser heutiges Kulturleben ist nicht mehr dasselbe, wie zu Beginn des
Jahrhunderts. In seinen mannichfachen Gliederungen, in den Gemeindever¬
waltungen, im Parlament, in volkswirtschaftlichen Verbänden, ja selbst in dein
weiten Nahmen gesellschaftlicher Gewohnheiten stellt das öffentliche Leben andre
und ungleich vielseitigere Anforderungen an die Mitglieder der höhern Stände.
Arbeitsteilung ist die Signatur unsrer Zeit auch auf wissenschaftlichem Gebiete.
Wir begegnen ihr in allen Zweigen der freien wie der exakten Forschung. Die
Konkurrenz zieht planmäßig Spezialisten groß. Dem? mir in der Beschränkung
des Arbeitsgebietes kann der Einzelne noch hoffen, geistige Erfolge und ma¬
teriellen Gewinn zu erzielen. Dieser durch die Ökonomik der Kräfte gebotenen
unabweislichen Zersplitterung entgegenzuwirken und der Ausbildung der Ge¬
sellschaftsmitglieder, soweit dies irgend möglich ist, noch einen kollektivistischen
Charakter zu erhalten, sollte die Aufgabe des Gymnasiums sein, der sich Lchr-
Plan und Lehrmethode anzupassen hat. Die Mißstimmung über die heutigen
Zustände ist sehr verbreitet. Der Wunsch nach einer Schulreform liegt, sozu¬
sagen, in der Luft. Dennoch wird es sehr schwer sein, ihn in greifbarer Form
zu verwirklichen. Eine radikale Umwandlung unsers Gymuasialwesens ist nicht
denkbar und anch nicht nötig. Übergangsstufen werden sich leichter finden
lassen. Eine Initiative Vonseiten der fachmännischer Kreise darf man aber uicht
erwarten. Auch die Regierungen befinden sich in einer schwierigen Lage. Sie
sind — selbst wenn bei ihren leitenden Organen die Neigung zu Reformen
besteht — doch mehr oder weniger an die Gutachten und Ratschläge von
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