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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Der Jammer von Reichstag.

in die ganze Jammergestalt des aufgelösten Reichstages zu er¬
kennen, muß man seine Geschichte betrachten. Die Wahlen dazu
kennzeichneten sich namentlich dadurch, daß die Dcutschfreisinnigen
bei den Ultramontanen Anleihen gemacht hatten; man mußte sich
also von vornherein sagen, daß diese während der Wahl aufge¬
nommenen Anleihen sicherlich mit den höchsten Zinsen würden eingetrieben werden;
war doch der Vertreter des Gläubigers der Welse Windthorst. Und so geschah
es auch. Ja die Dentschfreisinnigen wartete" garnicht, bis die Eintreibung er¬
folgte, sie trugen als gute Geschäftsleute, die sich den Kredit erhalten müssen,
ihre Zinsen sehr frühzeitig zur Kasse des Gläubigers. Gleich nach den Wahlen
schrieb die "Kieler Zeitung" -- das kauponokratische Blatt des Herrn Hänel, in
welchem die Rotteck-Welkersche Weisheit des Herrn Professors in Portionen,
wie sie für sein Publikum Passen, verhökert wird; das Blatt gehört nicht zu
den frechsten, aber zu den abgefeimtesten Preßorganen des Fortschritts, weshalb
wir es noch manchmal anzuführen uns veranlaßt sehen werden -- also, das Organ
des Herrn Hänel schrieb sofort nach den Wahlen: "Wenn das Zentrum die
Freiheiten des Volkes mit erhalten will, so kann die liberale Partei mit ihm
gehen." Das Zentrum und die Freiheiten des Volkes! Und da wunderte sich
dieser Professor darüber, daß er in einem holsteinischen Blatte "päpstlicher
Schlüssclsoldat" genannt wurde!

Die Thronrede hatte von gesichertem Frieden gesprochen. Wozu benutzt
das Organ des Herrn Professors die Worte? "Hoffentlich wird nun auch die
schwere Rüstung erleichtert, unter der alle Staaten des Kontinents so schwer
leiden." Das ist dieselbe perfide Benutzung der kaiserlichen Worte im Interesse


Grenzboten 1. 1887. 23


Der Jammer von Reichstag.

in die ganze Jammergestalt des aufgelösten Reichstages zu er¬
kennen, muß man seine Geschichte betrachten. Die Wahlen dazu
kennzeichneten sich namentlich dadurch, daß die Dcutschfreisinnigen
bei den Ultramontanen Anleihen gemacht hatten; man mußte sich
also von vornherein sagen, daß diese während der Wahl aufge¬
nommenen Anleihen sicherlich mit den höchsten Zinsen würden eingetrieben werden;
war doch der Vertreter des Gläubigers der Welse Windthorst. Und so geschah
es auch. Ja die Dentschfreisinnigen wartete» garnicht, bis die Eintreibung er¬
folgte, sie trugen als gute Geschäftsleute, die sich den Kredit erhalten müssen,
ihre Zinsen sehr frühzeitig zur Kasse des Gläubigers. Gleich nach den Wahlen
schrieb die „Kieler Zeitung" — das kauponokratische Blatt des Herrn Hänel, in
welchem die Rotteck-Welkersche Weisheit des Herrn Professors in Portionen,
wie sie für sein Publikum Passen, verhökert wird; das Blatt gehört nicht zu
den frechsten, aber zu den abgefeimtesten Preßorganen des Fortschritts, weshalb
wir es noch manchmal anzuführen uns veranlaßt sehen werden — also, das Organ
des Herrn Hänel schrieb sofort nach den Wahlen: „Wenn das Zentrum die
Freiheiten des Volkes mit erhalten will, so kann die liberale Partei mit ihm
gehen." Das Zentrum und die Freiheiten des Volkes! Und da wunderte sich
dieser Professor darüber, daß er in einem holsteinischen Blatte „päpstlicher
Schlüssclsoldat" genannt wurde!

Die Thronrede hatte von gesichertem Frieden gesprochen. Wozu benutzt
das Organ des Herrn Professors die Worte? „Hoffentlich wird nun auch die
schwere Rüstung erleichtert, unter der alle Staaten des Kontinents so schwer
leiden." Das ist dieselbe perfide Benutzung der kaiserlichen Worte im Interesse


Grenzboten 1. 1887. 23
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[0201] [Abbildung] Der Jammer von Reichstag. in die ganze Jammergestalt des aufgelösten Reichstages zu er¬ kennen, muß man seine Geschichte betrachten. Die Wahlen dazu kennzeichneten sich namentlich dadurch, daß die Dcutschfreisinnigen bei den Ultramontanen Anleihen gemacht hatten; man mußte sich also von vornherein sagen, daß diese während der Wahl aufge¬ nommenen Anleihen sicherlich mit den höchsten Zinsen würden eingetrieben werden; war doch der Vertreter des Gläubigers der Welse Windthorst. Und so geschah es auch. Ja die Dentschfreisinnigen wartete» garnicht, bis die Eintreibung er¬ folgte, sie trugen als gute Geschäftsleute, die sich den Kredit erhalten müssen, ihre Zinsen sehr frühzeitig zur Kasse des Gläubigers. Gleich nach den Wahlen schrieb die „Kieler Zeitung" — das kauponokratische Blatt des Herrn Hänel, in welchem die Rotteck-Welkersche Weisheit des Herrn Professors in Portionen, wie sie für sein Publikum Passen, verhökert wird; das Blatt gehört nicht zu den frechsten, aber zu den abgefeimtesten Preßorganen des Fortschritts, weshalb wir es noch manchmal anzuführen uns veranlaßt sehen werden — also, das Organ des Herrn Hänel schrieb sofort nach den Wahlen: „Wenn das Zentrum die Freiheiten des Volkes mit erhalten will, so kann die liberale Partei mit ihm gehen." Das Zentrum und die Freiheiten des Volkes! Und da wunderte sich dieser Professor darüber, daß er in einem holsteinischen Blatte „päpstlicher Schlüssclsoldat" genannt wurde! Die Thronrede hatte von gesichertem Frieden gesprochen. Wozu benutzt das Organ des Herrn Professors die Worte? „Hoffentlich wird nun auch die schwere Rüstung erleichtert, unter der alle Staaten des Kontinents so schwer leiden." Das ist dieselbe perfide Benutzung der kaiserlichen Worte im Interesse Grenzboten 1. 1887. 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/201>, abgerufen am 22.12.2024.