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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Landwirtschaft und Bodenmonoxol.

wird ein Begehren nach Hilfe nicht abzuweisen sein, sobald sich ergiebt, daß ein
wichtiges Glied des sozialen Körpers durch die Maßnahmen, welche man zur
Förderung der übrigen Glieder getroffen hat, derart benachteiligt ist, daß eine
wirksame Selbsthilfe unmöglich erscheint.

Beleuchten wir zunächst die Billigkcitsfrage. Alle die großartigen Veran¬
staltungen, die man getroffen hat, um die Industrie zu heben, um dem Handel
freie Bahnen zu ebnen, um Kunst und Wissenschaft zu fördern, haben not¬
wendigerweise in allen Ständen eine Erhöhung des Maßes der notwendigsten
Lebensbedürfnisse mit sich gebracht. Es läßt sich nicht so ohne weiteres sagen,
wie groß diese Erhöhung in den letzten Jahrzehnten gewesen ist, doch ich glaube,
daß wir an dem Steigen der Beamtengehalte einen ziemlich sichern Maßstab
haben werde", einen solchen wenigstens, der nus keinen übertriebenen Begriff
beibringen wird, denn es ist ja anerkannt, daß die Beamtengehalte nur langsam
dem steigenden Existenzminimnm folgen. Nun betrug beispielsweise in Baden
im Jahre 1831 die Anfangsbesoldung eines akademisch gebildeten Beamten
600 Gulden 1028 Mark 57 Pf. Heute beträgt dieselbe' 1800 Mark. Wir
haben hier also eine Steigerung um 75 Prozent, und ich zweifle nicht daran,
daß im allgemeinen das in der genannten Zeit erfolgte Steigen des stariäarZ
ok ins diesem Verhältnisse entspricht.

Niemand hat sich dieser steigenden Bewegung völlig entziehen können. Aber
dem Kaufmanne und dem Industriellen ist daraus kein Schaden erwachsen,
denn sie haben durch einen vermehrten Absatz ihrer Waaren, selbst bei billigeren
Preisen als früher, sich reichlich entschädigt. Auch dem Beamten, dem Gelehrten,
dem Künstler ist kein Nachteil entstanden. Höhere Besoldungen und Honorare
haben ja den Ausgleich bewerkstelligt. Ja in der Landwirtschaft selbst hat der
Knecht und der Taglöhner dnrch höhere Löhne sich in den Stand gesetzt ge¬
sehen, der steigenden Bewegung zu folgen, und sogar der Wirt ist ihr gefolgt,
freilich auf eigue Kosten, wenn er zugleich Unternehmer war. Der landwirt¬
schaftliche Unternehmer allein hat nicht nur für sich selbst keine dem Steigen
des stMäarä ok liks entsprechende Erhöhung seines Gewinnes erfahren, sondern
er ist nicht einmal zum Ersatze der vermehrten Kosten gelangt, die ihm durch
Steigen des Aufwandes für den Lebensunterhalt von Wirt und Arbeiter er¬
wachsen sind; ja es hat sich sogar der Wert seines Roheinkommens gegen früher
vermindert. Und das alles ist ihm ohne seine Schuld geschehen, wenn man
nicht etwa darin eine Schuld erblicke" will, daß er in seiner Eigenschaft als
Staatsbürger und Steuerzahler dazu beigetragen hat, jene Maßnahmen zu er¬
mögliche", durch welche jeder andre Stand mächtig gefördert, der seine aber
- freilich nicht mit Absicht -- in Bedrängnis gebracht worden ist. Im
Ernste könnte man dem landwirtschaftlichen Unternehmer nur dann eine Schuld
beimessen, wenn er in der Lage wäre, seine Produktion zu steigern wie die In¬
dustrie, und er dies versäumt hätte. Das ist nun aber nicht der Fall. Eine


Grenzboten I. 1887. ^0
Landwirtschaft und Bodenmonoxol.

wird ein Begehren nach Hilfe nicht abzuweisen sein, sobald sich ergiebt, daß ein
wichtiges Glied des sozialen Körpers durch die Maßnahmen, welche man zur
Förderung der übrigen Glieder getroffen hat, derart benachteiligt ist, daß eine
wirksame Selbsthilfe unmöglich erscheint.

Beleuchten wir zunächst die Billigkcitsfrage. Alle die großartigen Veran¬
staltungen, die man getroffen hat, um die Industrie zu heben, um dem Handel
freie Bahnen zu ebnen, um Kunst und Wissenschaft zu fördern, haben not¬
wendigerweise in allen Ständen eine Erhöhung des Maßes der notwendigsten
Lebensbedürfnisse mit sich gebracht. Es läßt sich nicht so ohne weiteres sagen,
wie groß diese Erhöhung in den letzten Jahrzehnten gewesen ist, doch ich glaube,
daß wir an dem Steigen der Beamtengehalte einen ziemlich sichern Maßstab
haben werde», einen solchen wenigstens, der nus keinen übertriebenen Begriff
beibringen wird, denn es ist ja anerkannt, daß die Beamtengehalte nur langsam
dem steigenden Existenzminimnm folgen. Nun betrug beispielsweise in Baden
im Jahre 1831 die Anfangsbesoldung eines akademisch gebildeten Beamten
600 Gulden 1028 Mark 57 Pf. Heute beträgt dieselbe' 1800 Mark. Wir
haben hier also eine Steigerung um 75 Prozent, und ich zweifle nicht daran,
daß im allgemeinen das in der genannten Zeit erfolgte Steigen des stariäarZ
ok ins diesem Verhältnisse entspricht.

Niemand hat sich dieser steigenden Bewegung völlig entziehen können. Aber
dem Kaufmanne und dem Industriellen ist daraus kein Schaden erwachsen,
denn sie haben durch einen vermehrten Absatz ihrer Waaren, selbst bei billigeren
Preisen als früher, sich reichlich entschädigt. Auch dem Beamten, dem Gelehrten,
dem Künstler ist kein Nachteil entstanden. Höhere Besoldungen und Honorare
haben ja den Ausgleich bewerkstelligt. Ja in der Landwirtschaft selbst hat der
Knecht und der Taglöhner dnrch höhere Löhne sich in den Stand gesetzt ge¬
sehen, der steigenden Bewegung zu folgen, und sogar der Wirt ist ihr gefolgt,
freilich auf eigue Kosten, wenn er zugleich Unternehmer war. Der landwirt¬
schaftliche Unternehmer allein hat nicht nur für sich selbst keine dem Steigen
des stMäarä ok liks entsprechende Erhöhung seines Gewinnes erfahren, sondern
er ist nicht einmal zum Ersatze der vermehrten Kosten gelangt, die ihm durch
Steigen des Aufwandes für den Lebensunterhalt von Wirt und Arbeiter er¬
wachsen sind; ja es hat sich sogar der Wert seines Roheinkommens gegen früher
vermindert. Und das alles ist ihm ohne seine Schuld geschehen, wenn man
nicht etwa darin eine Schuld erblicke» will, daß er in seiner Eigenschaft als
Staatsbürger und Steuerzahler dazu beigetragen hat, jene Maßnahmen zu er¬
mögliche», durch welche jeder andre Stand mächtig gefördert, der seine aber
- freilich nicht mit Absicht — in Bedrängnis gebracht worden ist. Im
Ernste könnte man dem landwirtschaftlichen Unternehmer nur dann eine Schuld
beimessen, wenn er in der Lage wäre, seine Produktion zu steigern wie die In¬
dustrie, und er dies versäumt hätte. Das ist nun aber nicht der Fall. Eine


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[0161] Landwirtschaft und Bodenmonoxol. wird ein Begehren nach Hilfe nicht abzuweisen sein, sobald sich ergiebt, daß ein wichtiges Glied des sozialen Körpers durch die Maßnahmen, welche man zur Förderung der übrigen Glieder getroffen hat, derart benachteiligt ist, daß eine wirksame Selbsthilfe unmöglich erscheint. Beleuchten wir zunächst die Billigkcitsfrage. Alle die großartigen Veran¬ staltungen, die man getroffen hat, um die Industrie zu heben, um dem Handel freie Bahnen zu ebnen, um Kunst und Wissenschaft zu fördern, haben not¬ wendigerweise in allen Ständen eine Erhöhung des Maßes der notwendigsten Lebensbedürfnisse mit sich gebracht. Es läßt sich nicht so ohne weiteres sagen, wie groß diese Erhöhung in den letzten Jahrzehnten gewesen ist, doch ich glaube, daß wir an dem Steigen der Beamtengehalte einen ziemlich sichern Maßstab haben werde», einen solchen wenigstens, der nus keinen übertriebenen Begriff beibringen wird, denn es ist ja anerkannt, daß die Beamtengehalte nur langsam dem steigenden Existenzminimnm folgen. Nun betrug beispielsweise in Baden im Jahre 1831 die Anfangsbesoldung eines akademisch gebildeten Beamten 600 Gulden 1028 Mark 57 Pf. Heute beträgt dieselbe' 1800 Mark. Wir haben hier also eine Steigerung um 75 Prozent, und ich zweifle nicht daran, daß im allgemeinen das in der genannten Zeit erfolgte Steigen des stariäarZ ok ins diesem Verhältnisse entspricht. Niemand hat sich dieser steigenden Bewegung völlig entziehen können. Aber dem Kaufmanne und dem Industriellen ist daraus kein Schaden erwachsen, denn sie haben durch einen vermehrten Absatz ihrer Waaren, selbst bei billigeren Preisen als früher, sich reichlich entschädigt. Auch dem Beamten, dem Gelehrten, dem Künstler ist kein Nachteil entstanden. Höhere Besoldungen und Honorare haben ja den Ausgleich bewerkstelligt. Ja in der Landwirtschaft selbst hat der Knecht und der Taglöhner dnrch höhere Löhne sich in den Stand gesetzt ge¬ sehen, der steigenden Bewegung zu folgen, und sogar der Wirt ist ihr gefolgt, freilich auf eigue Kosten, wenn er zugleich Unternehmer war. Der landwirt¬ schaftliche Unternehmer allein hat nicht nur für sich selbst keine dem Steigen des stMäarä ok liks entsprechende Erhöhung seines Gewinnes erfahren, sondern er ist nicht einmal zum Ersatze der vermehrten Kosten gelangt, die ihm durch Steigen des Aufwandes für den Lebensunterhalt von Wirt und Arbeiter er¬ wachsen sind; ja es hat sich sogar der Wert seines Roheinkommens gegen früher vermindert. Und das alles ist ihm ohne seine Schuld geschehen, wenn man nicht etwa darin eine Schuld erblicke» will, daß er in seiner Eigenschaft als Staatsbürger und Steuerzahler dazu beigetragen hat, jene Maßnahmen zu er¬ mögliche», durch welche jeder andre Stand mächtig gefördert, der seine aber - freilich nicht mit Absicht — in Bedrängnis gebracht worden ist. Im Ernste könnte man dem landwirtschaftlichen Unternehmer nur dann eine Schuld beimessen, wenn er in der Lage wäre, seine Produktion zu steigern wie die In¬ dustrie, und er dies versäumt hätte. Das ist nun aber nicht der Fall. Eine Grenzboten I. 1887. ^0

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/161>, abgerufen am 22.12.2024.