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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Die Schäden der Airche und die Unzulänglichkeit dos theologischen Studiums.

weithin Ruf und Ansehen haben. Allein trotz alledem macht der geistliche
Stand heutzutage nicht den Eindruck voller, frischer Lebenskraft und Gesundheit.
Es liegt wie ein geheimer, leiser Druck auf ihm. Eine hastige Vielgcschüftigkeit
macht sich anderseits geltend. Auch tüchtige, erfahrene Pfarrer stellen sich zu¬
weilen, als hätten sie kein rechtes Zutrauen zu ihrer Sache, und die besten
arbeiten oft nur unter Seufzen.

Der hier zu Grunde liegende Schade zeigt mannichfache Symptome.
Gleich bei der Predigt drängen sich peinliche Bemerkungen auf. Von der Mehr¬
zahl moderner Predigten wird man offen zugestehen müssen, daß sie, so gut sie
gemeint sind, doch von geringer Kraft und geringer Wirkung sind. Die Gefahr
unendlich vieler Predigten ist -- offen gesagt -- die Langeweile. Die meisten
Predigten sind sogenannte Damcnpredigten, salbungsvoll, sanft einherschreitend,
auf das "Gemüt" berechnet. Das Alltagsleben, die wirklichen menschlichen
Zustände, die Bedürfnisse und Schäden der Gemeinde und der einzelnen Seele
treten hinter frommen Allgemeinheiten zurück. Der Zorn der freien Rede erhebt
sich meist nur da. wo mau in billiger Polemik gegen Andersgläubige Zeugnis
ablegen kann, unwidersprochen und oft unverstanden. Dem dogmatischen In¬
halte gegenüber ist ein doppelter Abweg sehr gewöhnlich, entweder man predigt
Dogmatik und hält dann im besten Falle vor einem sehr gemischten Publikum
einen wissenschaftlichen theologischen Vortrag, oder man läßt Dogmatik Dog¬
matik sein und gerät leicht in Phrasentum und Salbaderei.

In vielen kirchlichen Dingen fehlt es den Geistlichen an Folgerichtigkeit
und Energie des Handelns. In ihren Anschauungen sind sie von dem Partei¬
getriebe, der Tradition und mancherlei Vorurteilen abhängig, folgen einer
Kirchenpolitik, deren Vergeblichkeit sie von Tag zu Tage mehr einsehen müssen,
jagen Idealen nach, die in dem modernen Leben auch nicht bis zur Hälfte
erreichbar sind, oder schielen aus Unklarheit und Schwäche hinüber nach der
katholischen Kirche. Man möchte in der Kirche eine Anstalt für Unmündige
haben, sehnt sich nach der Organisation der römischen Kirche und möchte so gern
manchen rechtlichen Einrichtungen auch dogmatische Bedeutung beilegen. Aber
von dort kommt das Heil nicht. Sehr auffallend ist die Schwäche, welche die
Geistlichen oft in der Bekämpfung der Selten zeigen.

Ein bezeichnendes und bedenkliches Shmtom ist das Verhältnis zur Presse,
sind die Kirchenzeitungcn. Diese sind nichts andres als moderne Zeitungen,
haben ihren stark ausgebildeten politischen Teil, stehen jedoch unter dem spitzen
Gesichtswinkel einer kirchlichen Parteischablone. Neben dieser Literatur geht
die große Tagespresse einher, ohne irgend ein gleichmäßiges Interesse für die
so wichtigen kirchlichen Fragen zu verraten. Wenn die Kirche wirklich das
Volksleben durchdringen soll, so werden kirchliche Fragen in würdigem Tone
auch vor dem ganzen Volke verhandelt werden müssen.

Der Verfasser findet den Grund aller dieser Erscheinungen in der Ver-


Die Schäden der Airche und die Unzulänglichkeit dos theologischen Studiums.

weithin Ruf und Ansehen haben. Allein trotz alledem macht der geistliche
Stand heutzutage nicht den Eindruck voller, frischer Lebenskraft und Gesundheit.
Es liegt wie ein geheimer, leiser Druck auf ihm. Eine hastige Vielgcschüftigkeit
macht sich anderseits geltend. Auch tüchtige, erfahrene Pfarrer stellen sich zu¬
weilen, als hätten sie kein rechtes Zutrauen zu ihrer Sache, und die besten
arbeiten oft nur unter Seufzen.

Der hier zu Grunde liegende Schade zeigt mannichfache Symptome.
Gleich bei der Predigt drängen sich peinliche Bemerkungen auf. Von der Mehr¬
zahl moderner Predigten wird man offen zugestehen müssen, daß sie, so gut sie
gemeint sind, doch von geringer Kraft und geringer Wirkung sind. Die Gefahr
unendlich vieler Predigten ist — offen gesagt — die Langeweile. Die meisten
Predigten sind sogenannte Damcnpredigten, salbungsvoll, sanft einherschreitend,
auf das „Gemüt" berechnet. Das Alltagsleben, die wirklichen menschlichen
Zustände, die Bedürfnisse und Schäden der Gemeinde und der einzelnen Seele
treten hinter frommen Allgemeinheiten zurück. Der Zorn der freien Rede erhebt
sich meist nur da. wo mau in billiger Polemik gegen Andersgläubige Zeugnis
ablegen kann, unwidersprochen und oft unverstanden. Dem dogmatischen In¬
halte gegenüber ist ein doppelter Abweg sehr gewöhnlich, entweder man predigt
Dogmatik und hält dann im besten Falle vor einem sehr gemischten Publikum
einen wissenschaftlichen theologischen Vortrag, oder man läßt Dogmatik Dog¬
matik sein und gerät leicht in Phrasentum und Salbaderei.

In vielen kirchlichen Dingen fehlt es den Geistlichen an Folgerichtigkeit
und Energie des Handelns. In ihren Anschauungen sind sie von dem Partei¬
getriebe, der Tradition und mancherlei Vorurteilen abhängig, folgen einer
Kirchenpolitik, deren Vergeblichkeit sie von Tag zu Tage mehr einsehen müssen,
jagen Idealen nach, die in dem modernen Leben auch nicht bis zur Hälfte
erreichbar sind, oder schielen aus Unklarheit und Schwäche hinüber nach der
katholischen Kirche. Man möchte in der Kirche eine Anstalt für Unmündige
haben, sehnt sich nach der Organisation der römischen Kirche und möchte so gern
manchen rechtlichen Einrichtungen auch dogmatische Bedeutung beilegen. Aber
von dort kommt das Heil nicht. Sehr auffallend ist die Schwäche, welche die
Geistlichen oft in der Bekämpfung der Selten zeigen.

Ein bezeichnendes und bedenkliches Shmtom ist das Verhältnis zur Presse,
sind die Kirchenzeitungcn. Diese sind nichts andres als moderne Zeitungen,
haben ihren stark ausgebildeten politischen Teil, stehen jedoch unter dem spitzen
Gesichtswinkel einer kirchlichen Parteischablone. Neben dieser Literatur geht
die große Tagespresse einher, ohne irgend ein gleichmäßiges Interesse für die
so wichtigen kirchlichen Fragen zu verraten. Wenn die Kirche wirklich das
Volksleben durchdringen soll, so werden kirchliche Fragen in würdigem Tone
auch vor dem ganzen Volke verhandelt werden müssen.

Der Verfasser findet den Grund aller dieser Erscheinungen in der Ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/16>, abgerufen am 01.07.2024.