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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Deutsch-böhmische Briefe.

in der betreffenden lateinischen Urkunde liiolrtorws heißt. Andre Märkte
deutscher Kaufleute existirten wie jener schon in der ersten Hälfte des elften
Jahrhunderts sowohl auf dem rechten als auf dem linken Ufer der Moldau
unter dem Hradschin, und es ist anzunehmen, daß solche Händler sich zu nach¬
drücklicheren Betriebe ihrer Geschäfte hier dauernd niederließe", und daß dies
von den Prager Herzogen begünstigt wurde, da ihre Kasse davon Vorteil zog.
Spitihnew II. erließ zwar 105S einen Befehl zur Vertreibung aller Deutschen
aus Böhmen, derselbe war aber schon nicht mehr vollständig auszuführen, und
Wradislaw II., der erste böhmische König (10K1 bis 1092), sah sich veranlaßt,
das Gegenteil davon zu verfügen: die Existenz der Dcutschböhmen wurde gesetz¬
lich anerkannt und gesichert, und andre Deutsche wanderten, vom Könige ein¬
geladen, in Prag ein, wo sie sich im Bnrgflcckeu am Porschitsch zu einer be¬
sonder" Gemeinde vereinigten und ein eignes Recht erhielten, welches uns in
der Bestätigung Svbieslaws II. (1173 bis 1178) erhalten ist, weshalb es ge¬
wöhnlich das " Sobieslawsche Privilegium" genannt wird. Dieser Freiheits¬
brief enthält die Fundamcntalrechte der Dentschböhmen, und so teile ich im
folgenden die Hnuplbestimmungen desselben nach Schlesingers Auszug mit/'')
Das Privilegium klingt wie das Ergebnis von Unterhandlungen und Be¬
willigungen. Die eingeladnen Deutschen scheinen vor ihrer Ansiedlung unter
einem Volke, welches sich keines schmeichelhaften Rufes erfreute, Bedingungen
gestellt zu haben, die gewährt wurden. Sie verlangten vermutlich, bei ihren
heimischen Rechten und Gewohnheiten belassen, in Betreff ihrer persönlichen
Freiheit sichergestellt und im Gebrauche ihrer Sprache nicht behindert zu
werden. Das Sobieslawsche Privilegium sagt daher, daß die Deutschen, die
im Prager Burgfleckeu wohnen, "da sie sich von den Tschechen der Nationalität
nach scheiden, von diesen anch in ihren Satzungen und Gewohnheiten geschieden
sein sollen." Sie sollen leben "nach dem Gesetze und Rechte der Deutschen,
welches sie bereits seit der Regierung des Königs Wradislaw gehabt haben."
El" eigner Absatz betont sodann, daß "die Deutschen freie Leute sind." Die
in Prag angesiedelten Deutschen werden ferner von der Urkunde nicht als
Fremde oder Gäste, sondern als Einheimische betrachtet; Böhmen war ihr
zweites Vaterland, und nur, wenn es galt, "ihr Vaterland" zu verteidigen,
hatten sie Heeresfolge zu leisten. Ja der Fürst schenkte ihnen so viel Ver¬
trauen, daß er sie im Privilegium zu Wächter" seiner Prager Burg bestellte,
falls er außer Landes Krieg führen sollte. Von andern Kriegslasten, z. B.
Einquartierungen, waren sie befreit. Die neue Gemeinde am Pvrschitsch er¬
hielt die volle Befugnis, sich selbst zu regieren. Sie stand nicht unter der
Gerichtsbarkeit des tschechischen Burggrafenamtes, sondern durfte sich ihre
Richter selbst wählen, und diese urteilten nach deutschem Branche und Her-



*) Geschichte Böhmens von Dr. L. Schlesmger, 2. Aufl., S. 96 ff.
Deutsch-böhmische Briefe.

in der betreffenden lateinischen Urkunde liiolrtorws heißt. Andre Märkte
deutscher Kaufleute existirten wie jener schon in der ersten Hälfte des elften
Jahrhunderts sowohl auf dem rechten als auf dem linken Ufer der Moldau
unter dem Hradschin, und es ist anzunehmen, daß solche Händler sich zu nach¬
drücklicheren Betriebe ihrer Geschäfte hier dauernd niederließe», und daß dies
von den Prager Herzogen begünstigt wurde, da ihre Kasse davon Vorteil zog.
Spitihnew II. erließ zwar 105S einen Befehl zur Vertreibung aller Deutschen
aus Böhmen, derselbe war aber schon nicht mehr vollständig auszuführen, und
Wradislaw II., der erste böhmische König (10K1 bis 1092), sah sich veranlaßt,
das Gegenteil davon zu verfügen: die Existenz der Dcutschböhmen wurde gesetz¬
lich anerkannt und gesichert, und andre Deutsche wanderten, vom Könige ein¬
geladen, in Prag ein, wo sie sich im Bnrgflcckeu am Porschitsch zu einer be¬
sonder» Gemeinde vereinigten und ein eignes Recht erhielten, welches uns in
der Bestätigung Svbieslaws II. (1173 bis 1178) erhalten ist, weshalb es ge¬
wöhnlich das „ Sobieslawsche Privilegium" genannt wird. Dieser Freiheits¬
brief enthält die Fundamcntalrechte der Dentschböhmen, und so teile ich im
folgenden die Hnuplbestimmungen desselben nach Schlesingers Auszug mit/'')
Das Privilegium klingt wie das Ergebnis von Unterhandlungen und Be¬
willigungen. Die eingeladnen Deutschen scheinen vor ihrer Ansiedlung unter
einem Volke, welches sich keines schmeichelhaften Rufes erfreute, Bedingungen
gestellt zu haben, die gewährt wurden. Sie verlangten vermutlich, bei ihren
heimischen Rechten und Gewohnheiten belassen, in Betreff ihrer persönlichen
Freiheit sichergestellt und im Gebrauche ihrer Sprache nicht behindert zu
werden. Das Sobieslawsche Privilegium sagt daher, daß die Deutschen, die
im Prager Burgfleckeu wohnen, „da sie sich von den Tschechen der Nationalität
nach scheiden, von diesen anch in ihren Satzungen und Gewohnheiten geschieden
sein sollen." Sie sollen leben „nach dem Gesetze und Rechte der Deutschen,
welches sie bereits seit der Regierung des Königs Wradislaw gehabt haben."
El» eigner Absatz betont sodann, daß „die Deutschen freie Leute sind." Die
in Prag angesiedelten Deutschen werden ferner von der Urkunde nicht als
Fremde oder Gäste, sondern als Einheimische betrachtet; Böhmen war ihr
zweites Vaterland, und nur, wenn es galt, „ihr Vaterland" zu verteidigen,
hatten sie Heeresfolge zu leisten. Ja der Fürst schenkte ihnen so viel Ver¬
trauen, daß er sie im Privilegium zu Wächter» seiner Prager Burg bestellte,
falls er außer Landes Krieg führen sollte. Von andern Kriegslasten, z. B.
Einquartierungen, waren sie befreit. Die neue Gemeinde am Pvrschitsch er¬
hielt die volle Befugnis, sich selbst zu regieren. Sie stand nicht unter der
Gerichtsbarkeit des tschechischen Burggrafenamtes, sondern durfte sich ihre
Richter selbst wählen, und diese urteilten nach deutschem Branche und Her-



*) Geschichte Böhmens von Dr. L. Schlesmger, 2. Aufl., S. 96 ff.
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[0157] Deutsch-böhmische Briefe. in der betreffenden lateinischen Urkunde liiolrtorws heißt. Andre Märkte deutscher Kaufleute existirten wie jener schon in der ersten Hälfte des elften Jahrhunderts sowohl auf dem rechten als auf dem linken Ufer der Moldau unter dem Hradschin, und es ist anzunehmen, daß solche Händler sich zu nach¬ drücklicheren Betriebe ihrer Geschäfte hier dauernd niederließe», und daß dies von den Prager Herzogen begünstigt wurde, da ihre Kasse davon Vorteil zog. Spitihnew II. erließ zwar 105S einen Befehl zur Vertreibung aller Deutschen aus Böhmen, derselbe war aber schon nicht mehr vollständig auszuführen, und Wradislaw II., der erste böhmische König (10K1 bis 1092), sah sich veranlaßt, das Gegenteil davon zu verfügen: die Existenz der Dcutschböhmen wurde gesetz¬ lich anerkannt und gesichert, und andre Deutsche wanderten, vom Könige ein¬ geladen, in Prag ein, wo sie sich im Bnrgflcckeu am Porschitsch zu einer be¬ sonder» Gemeinde vereinigten und ein eignes Recht erhielten, welches uns in der Bestätigung Svbieslaws II. (1173 bis 1178) erhalten ist, weshalb es ge¬ wöhnlich das „ Sobieslawsche Privilegium" genannt wird. Dieser Freiheits¬ brief enthält die Fundamcntalrechte der Dentschböhmen, und so teile ich im folgenden die Hnuplbestimmungen desselben nach Schlesingers Auszug mit/'') Das Privilegium klingt wie das Ergebnis von Unterhandlungen und Be¬ willigungen. Die eingeladnen Deutschen scheinen vor ihrer Ansiedlung unter einem Volke, welches sich keines schmeichelhaften Rufes erfreute, Bedingungen gestellt zu haben, die gewährt wurden. Sie verlangten vermutlich, bei ihren heimischen Rechten und Gewohnheiten belassen, in Betreff ihrer persönlichen Freiheit sichergestellt und im Gebrauche ihrer Sprache nicht behindert zu werden. Das Sobieslawsche Privilegium sagt daher, daß die Deutschen, die im Prager Burgfleckeu wohnen, „da sie sich von den Tschechen der Nationalität nach scheiden, von diesen anch in ihren Satzungen und Gewohnheiten geschieden sein sollen." Sie sollen leben „nach dem Gesetze und Rechte der Deutschen, welches sie bereits seit der Regierung des Königs Wradislaw gehabt haben." El» eigner Absatz betont sodann, daß „die Deutschen freie Leute sind." Die in Prag angesiedelten Deutschen werden ferner von der Urkunde nicht als Fremde oder Gäste, sondern als Einheimische betrachtet; Böhmen war ihr zweites Vaterland, und nur, wenn es galt, „ihr Vaterland" zu verteidigen, hatten sie Heeresfolge zu leisten. Ja der Fürst schenkte ihnen so viel Ver¬ trauen, daß er sie im Privilegium zu Wächter» seiner Prager Burg bestellte, falls er außer Landes Krieg führen sollte. Von andern Kriegslasten, z. B. Einquartierungen, waren sie befreit. Die neue Gemeinde am Pvrschitsch er¬ hielt die volle Befugnis, sich selbst zu regieren. Sie stand nicht unter der Gerichtsbarkeit des tschechischen Burggrafenamtes, sondern durfte sich ihre Richter selbst wählen, und diese urteilten nach deutschem Branche und Her- *) Geschichte Böhmens von Dr. L. Schlesmger, 2. Aufl., S. 96 ff.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/157>, abgerufen am 03.07.2024.