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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Deutsch-böhmische Briefe.

Tschechenherzöge zu Vasallen der Kaiser wurden und ihrem Volke in weiten
Kreisen der reinslawische Charakter allmählich verloren ging. Karl der Große
schon hatte Böhmen zu einem Jahrestrilmt von 120 fetten Rindern und
500 Mark Silber gezwungen. Heinrich der Erste nötigte den Herzog Wenzel,
die Oberhoheit der deutschen Kaiser anzuerkennen, und seine Nachfolger betrach¬
teten Böhmen als Reichslehen, über das sie bei seiner Erledigung rechtlich zu
verfügen hatten, und dessen Fürst ihnen Heeresfolge leisten mußte. Mit der
Politischen Abhängigkeit ging die Verbreitung deutscher Kultur, Sitte und
Sprache über das slawische Land Hand in Hand. Der diplomatische Verkehr
des böhmischen Herzogs mit dem Kaiser, die häufigen Besuche des ersteren am
Hofe des letzteren, gemeinsame Beratungen beider riefen unter den tschechischen
Großen das Bedürfnis nach Kenntnis der deutschen Sprache und des deutschen
Brauches wach. Vertriebene Prinzen des Prcmyslidenhauses, die auf deutschem
Boden Zuflucht und Hilfe suchten, gewannen die dortige Gesittung lieb, eigneten
sie sich an und nahmen sie bei der Rückkehr in die Heimat mit. Sehr wesentlich
wirkten ferner für die Anfänge dieses Germanisirungsprvzesses die vielen Hei¬
raten, welche zwischen Herzögen aus dem Hause Premysl und dentschen Fürstinnen
geschlossen wurden; in den zwei Jahrhunderten von Boleslaw II., der sich mit
der Burgunderin Emma vermählte, bis zu Ottokar I., der Adelheid von Meißen
zur Gemahlin wählte, bestiegen nicht weniger als elf Prinzessinnen aus deutschen
Geschlechtern den böhmischen Thron, und alle brachten Hofleute, Kapläne und
andres Gefolge von ihrer Nationalität mit, alle arbeiteten nach Frauenweise
für die Umbildung des höfischen Kreises und des Adels durch deutsche Kultur.

Mehr noch als auf diesen Wegen verpflanzte und verstärkte sich das
Deutschtum in der hier gemeinten Periode (elftes und zwölftes Jahrhundert)
durch die Einftthrnng des Christentums in dem auch nach dem heiligen Wenzel
noch großenteils heidnischen Tschechenlande. Nach kurzem Kampfe mit dem
slawischen Ritus setzte sich deutsches Kirchenwesen, das bis zur Gründung des
Prager Bistums seineu Mittelpunkt in Regensburg hatte, in ganz Böhmen fest.
Deutsche Glaubensboten und Mönche erschienen und gründeten Kirchen, Klöster
und Schulen. Als das Land sein eignes Bistum erhielt, wurde es nicht von
Deutschland getrennt, sondern dem Mainzer Erzbischof untergeordnet, und von
den achtzehn Prager Bischöfen dieser Periode waren neun ihrer Herkunft und
die übrigen ihrer Bildung nach aus Deutschland. Die meisten von den geist¬
lichen Niederlassungen, die im damaligen Böhmen der Kultur Bahn durch die
Wildnis brachen, hatten deutsche Insassen und Regenten. An der Spitze des
Jnselklosters Ostrow stand ein Mönch aus dein baierischen Niederalteich.
Schwäbische Ordensleute aus Zwiefalten bevölkerten Kladrau. Fränkische
Cisterzienser gründeten Pomuk, Waldsassener Sedletz und Osscgg. Prcimon-
stratenser aus Steinfeld am Rheine siedelten sich am Strahow, in Leitomischcl
und Scelau an. Mönche des Klosters Langbein in Franken wanderten in


Deutsch-böhmische Briefe.

Tschechenherzöge zu Vasallen der Kaiser wurden und ihrem Volke in weiten
Kreisen der reinslawische Charakter allmählich verloren ging. Karl der Große
schon hatte Böhmen zu einem Jahrestrilmt von 120 fetten Rindern und
500 Mark Silber gezwungen. Heinrich der Erste nötigte den Herzog Wenzel,
die Oberhoheit der deutschen Kaiser anzuerkennen, und seine Nachfolger betrach¬
teten Böhmen als Reichslehen, über das sie bei seiner Erledigung rechtlich zu
verfügen hatten, und dessen Fürst ihnen Heeresfolge leisten mußte. Mit der
Politischen Abhängigkeit ging die Verbreitung deutscher Kultur, Sitte und
Sprache über das slawische Land Hand in Hand. Der diplomatische Verkehr
des böhmischen Herzogs mit dem Kaiser, die häufigen Besuche des ersteren am
Hofe des letzteren, gemeinsame Beratungen beider riefen unter den tschechischen
Großen das Bedürfnis nach Kenntnis der deutschen Sprache und des deutschen
Brauches wach. Vertriebene Prinzen des Prcmyslidenhauses, die auf deutschem
Boden Zuflucht und Hilfe suchten, gewannen die dortige Gesittung lieb, eigneten
sie sich an und nahmen sie bei der Rückkehr in die Heimat mit. Sehr wesentlich
wirkten ferner für die Anfänge dieses Germanisirungsprvzesses die vielen Hei¬
raten, welche zwischen Herzögen aus dem Hause Premysl und dentschen Fürstinnen
geschlossen wurden; in den zwei Jahrhunderten von Boleslaw II., der sich mit
der Burgunderin Emma vermählte, bis zu Ottokar I., der Adelheid von Meißen
zur Gemahlin wählte, bestiegen nicht weniger als elf Prinzessinnen aus deutschen
Geschlechtern den böhmischen Thron, und alle brachten Hofleute, Kapläne und
andres Gefolge von ihrer Nationalität mit, alle arbeiteten nach Frauenweise
für die Umbildung des höfischen Kreises und des Adels durch deutsche Kultur.

Mehr noch als auf diesen Wegen verpflanzte und verstärkte sich das
Deutschtum in der hier gemeinten Periode (elftes und zwölftes Jahrhundert)
durch die Einftthrnng des Christentums in dem auch nach dem heiligen Wenzel
noch großenteils heidnischen Tschechenlande. Nach kurzem Kampfe mit dem
slawischen Ritus setzte sich deutsches Kirchenwesen, das bis zur Gründung des
Prager Bistums seineu Mittelpunkt in Regensburg hatte, in ganz Böhmen fest.
Deutsche Glaubensboten und Mönche erschienen und gründeten Kirchen, Klöster
und Schulen. Als das Land sein eignes Bistum erhielt, wurde es nicht von
Deutschland getrennt, sondern dem Mainzer Erzbischof untergeordnet, und von
den achtzehn Prager Bischöfen dieser Periode waren neun ihrer Herkunft und
die übrigen ihrer Bildung nach aus Deutschland. Die meisten von den geist¬
lichen Niederlassungen, die im damaligen Böhmen der Kultur Bahn durch die
Wildnis brachen, hatten deutsche Insassen und Regenten. An der Spitze des
Jnselklosters Ostrow stand ein Mönch aus dein baierischen Niederalteich.
Schwäbische Ordensleute aus Zwiefalten bevölkerten Kladrau. Fränkische
Cisterzienser gründeten Pomuk, Waldsassener Sedletz und Osscgg. Prcimon-
stratenser aus Steinfeld am Rheine siedelten sich am Strahow, in Leitomischcl
und Scelau an. Mönche des Klosters Langbein in Franken wanderten in


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[0155] Deutsch-böhmische Briefe. Tschechenherzöge zu Vasallen der Kaiser wurden und ihrem Volke in weiten Kreisen der reinslawische Charakter allmählich verloren ging. Karl der Große schon hatte Böhmen zu einem Jahrestrilmt von 120 fetten Rindern und 500 Mark Silber gezwungen. Heinrich der Erste nötigte den Herzog Wenzel, die Oberhoheit der deutschen Kaiser anzuerkennen, und seine Nachfolger betrach¬ teten Böhmen als Reichslehen, über das sie bei seiner Erledigung rechtlich zu verfügen hatten, und dessen Fürst ihnen Heeresfolge leisten mußte. Mit der Politischen Abhängigkeit ging die Verbreitung deutscher Kultur, Sitte und Sprache über das slawische Land Hand in Hand. Der diplomatische Verkehr des böhmischen Herzogs mit dem Kaiser, die häufigen Besuche des ersteren am Hofe des letzteren, gemeinsame Beratungen beider riefen unter den tschechischen Großen das Bedürfnis nach Kenntnis der deutschen Sprache und des deutschen Brauches wach. Vertriebene Prinzen des Prcmyslidenhauses, die auf deutschem Boden Zuflucht und Hilfe suchten, gewannen die dortige Gesittung lieb, eigneten sie sich an und nahmen sie bei der Rückkehr in die Heimat mit. Sehr wesentlich wirkten ferner für die Anfänge dieses Germanisirungsprvzesses die vielen Hei¬ raten, welche zwischen Herzögen aus dem Hause Premysl und dentschen Fürstinnen geschlossen wurden; in den zwei Jahrhunderten von Boleslaw II., der sich mit der Burgunderin Emma vermählte, bis zu Ottokar I., der Adelheid von Meißen zur Gemahlin wählte, bestiegen nicht weniger als elf Prinzessinnen aus deutschen Geschlechtern den böhmischen Thron, und alle brachten Hofleute, Kapläne und andres Gefolge von ihrer Nationalität mit, alle arbeiteten nach Frauenweise für die Umbildung des höfischen Kreises und des Adels durch deutsche Kultur. Mehr noch als auf diesen Wegen verpflanzte und verstärkte sich das Deutschtum in der hier gemeinten Periode (elftes und zwölftes Jahrhundert) durch die Einftthrnng des Christentums in dem auch nach dem heiligen Wenzel noch großenteils heidnischen Tschechenlande. Nach kurzem Kampfe mit dem slawischen Ritus setzte sich deutsches Kirchenwesen, das bis zur Gründung des Prager Bistums seineu Mittelpunkt in Regensburg hatte, in ganz Böhmen fest. Deutsche Glaubensboten und Mönche erschienen und gründeten Kirchen, Klöster und Schulen. Als das Land sein eignes Bistum erhielt, wurde es nicht von Deutschland getrennt, sondern dem Mainzer Erzbischof untergeordnet, und von den achtzehn Prager Bischöfen dieser Periode waren neun ihrer Herkunft und die übrigen ihrer Bildung nach aus Deutschland. Die meisten von den geist¬ lichen Niederlassungen, die im damaligen Böhmen der Kultur Bahn durch die Wildnis brachen, hatten deutsche Insassen und Regenten. An der Spitze des Jnselklosters Ostrow stand ein Mönch aus dein baierischen Niederalteich. Schwäbische Ordensleute aus Zwiefalten bevölkerten Kladrau. Fränkische Cisterzienser gründeten Pomuk, Waldsassener Sedletz und Osscgg. Prcimon- stratenser aus Steinfeld am Rheine siedelten sich am Strahow, in Leitomischcl und Scelau an. Mönche des Klosters Langbein in Franken wanderten in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/155>, abgerufen am 03.07.2024.