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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Gyninasialunterricht und Lachbildung.

Vorbereitungsanstalt Wahlen, und in den Gymnasien bliebe nur derjenige Nest
von Schülern zurück, denen das Altertumsstudium noch als unerläßliche Vor-
bedingung für die spätere Zulassung zur Staatsprüfung vorgeschrieben ist.

Aber eine solche Sonderung ist nicht eingetreten, und die Gründe dafür
liegen auf der Hand. Erstens siud mir wenige Väter geneigt und in der Lage,
ihren Söhnen schon beim Eintritts in die Tertia einen festen Beruf vorzu¬
schlagen. Die Altersstufe von zwölf bis dreizehn Jahren ist nicht geeignet,
eine Entscheidung für das ganze Leben zu treffen. Geht der Knabe aber auf
die Realschule, so ist ihm der Weg zu den humanistischen Fächern der Uni¬
versität verschlossen. Um ihm Zeit zur Wahl eiues Berufes zu lassen, werden
daher viele Eltern das Gymnasium wählen, von welchem der Übertritt zu einem
realen oder technischen Fache oder Vorstudiuni aus jeder höhern Klasse erfolgen
kann, während das Umgekehrte nicht zulässig ist. Zweitens darf man nicht
verkennen, daß das humanistische Gymnasium auch äußerlich den Vorrang hat,
und daß es neben dem materiellen Vorteile, den es in der Erschließung aller
staatlichen Anstellungen gewährt, auch uoch als die vornehmere, im eigentlichen
Sinne gelehrte Vildungsnnstalt gilt. Daß hierbei das soziale Element unter
den Schülern wesentlich mitspricht, wird niemand verkennen. So lange also die
Söhne der höhern Stände das Gymnasium bevorzugen und anderseits den
Realschülern nicht der Zugang zu allen akademischen Lchrgebieten eröffnet wird,
so lange werden auch die humanistischen Gymnasien fortfahren, die stärkere An¬
ziehungskraft ausznüben, so lauge werden anch die Realschulen als Bildungs-
anstalten zweiter Ordnung betrachtet werden. In ihrer gegenwärtigen Gestalt
also, und namentlich in ihrer Stellung neben der vornehmeren Schwesteranstalt,
genügen die letzteren den Anforderungen der Gegenwart keineswegs. Die Rea¬
listen glauben, es sei nur eine Frage der Zeit, wann sie sich eine ebenbürtige
Stellung erobern und als vollberechtigte Konkurrenten der humanistischen Gym¬
nasien auftreten würden. Aber ist denn die Beförderung dieses Zweikampfes
wünschenswert? Ist nicht die Verschmelzung beider Arten von Unterrichts¬
anstalten möglich? Ließe sich nicht ein Auskunftsmittel finden, das eine Ver¬
einigung der Lehrkräfte zu einem gemeinsamen Ziele herstellte? Dieses Ziel
müßte dann dasjenige Maß allgemeiner Bildung fein, welches ein Schüler auf
den Lebensweg mitnehmen soll, gleichviel welchen Beruf er erwählt. Bis zur
Einsetzung der Realschulen, besonders bis zur Verfügung von 1370, war dieses
Maß in den Anforderungen der Neifeprüfuugeu geregelt. Seitdem ist der Be¬
griff schwankend geworden. Also schon dieses Ziel müßte, wenn wir eine ein¬
heitliche Bildung der höhern Stände überhaupt anstreben, fester bezeichnet werden.
Aber selbst wenn wir uns auf den philologischen Standpunkt stellen und das
bisherige Bildungsmaß des Gymnasialabiturienten als das erforderliche be¬
zeichnen, ist die Frage erlaubt: Wird denn das vorgesteckte Ziel thatsächlich
erreicht? Wird hier nicht oft Bildung mit einer Anhäufung von Kenntnissen


Gyninasialunterricht und Lachbildung.

Vorbereitungsanstalt Wahlen, und in den Gymnasien bliebe nur derjenige Nest
von Schülern zurück, denen das Altertumsstudium noch als unerläßliche Vor-
bedingung für die spätere Zulassung zur Staatsprüfung vorgeschrieben ist.

Aber eine solche Sonderung ist nicht eingetreten, und die Gründe dafür
liegen auf der Hand. Erstens siud mir wenige Väter geneigt und in der Lage,
ihren Söhnen schon beim Eintritts in die Tertia einen festen Beruf vorzu¬
schlagen. Die Altersstufe von zwölf bis dreizehn Jahren ist nicht geeignet,
eine Entscheidung für das ganze Leben zu treffen. Geht der Knabe aber auf
die Realschule, so ist ihm der Weg zu den humanistischen Fächern der Uni¬
versität verschlossen. Um ihm Zeit zur Wahl eiues Berufes zu lassen, werden
daher viele Eltern das Gymnasium wählen, von welchem der Übertritt zu einem
realen oder technischen Fache oder Vorstudiuni aus jeder höhern Klasse erfolgen
kann, während das Umgekehrte nicht zulässig ist. Zweitens darf man nicht
verkennen, daß das humanistische Gymnasium auch äußerlich den Vorrang hat,
und daß es neben dem materiellen Vorteile, den es in der Erschließung aller
staatlichen Anstellungen gewährt, auch uoch als die vornehmere, im eigentlichen
Sinne gelehrte Vildungsnnstalt gilt. Daß hierbei das soziale Element unter
den Schülern wesentlich mitspricht, wird niemand verkennen. So lange also die
Söhne der höhern Stände das Gymnasium bevorzugen und anderseits den
Realschülern nicht der Zugang zu allen akademischen Lchrgebieten eröffnet wird,
so lange werden auch die humanistischen Gymnasien fortfahren, die stärkere An¬
ziehungskraft ausznüben, so lauge werden anch die Realschulen als Bildungs-
anstalten zweiter Ordnung betrachtet werden. In ihrer gegenwärtigen Gestalt
also, und namentlich in ihrer Stellung neben der vornehmeren Schwesteranstalt,
genügen die letzteren den Anforderungen der Gegenwart keineswegs. Die Rea¬
listen glauben, es sei nur eine Frage der Zeit, wann sie sich eine ebenbürtige
Stellung erobern und als vollberechtigte Konkurrenten der humanistischen Gym¬
nasien auftreten würden. Aber ist denn die Beförderung dieses Zweikampfes
wünschenswert? Ist nicht die Verschmelzung beider Arten von Unterrichts¬
anstalten möglich? Ließe sich nicht ein Auskunftsmittel finden, das eine Ver¬
einigung der Lehrkräfte zu einem gemeinsamen Ziele herstellte? Dieses Ziel
müßte dann dasjenige Maß allgemeiner Bildung fein, welches ein Schüler auf
den Lebensweg mitnehmen soll, gleichviel welchen Beruf er erwählt. Bis zur
Einsetzung der Realschulen, besonders bis zur Verfügung von 1370, war dieses
Maß in den Anforderungen der Neifeprüfuugeu geregelt. Seitdem ist der Be¬
griff schwankend geworden. Also schon dieses Ziel müßte, wenn wir eine ein¬
heitliche Bildung der höhern Stände überhaupt anstreben, fester bezeichnet werden.
Aber selbst wenn wir uns auf den philologischen Standpunkt stellen und das
bisherige Bildungsmaß des Gymnasialabiturienten als das erforderliche be¬
zeichnen, ist die Frage erlaubt: Wird denn das vorgesteckte Ziel thatsächlich
erreicht? Wird hier nicht oft Bildung mit einer Anhäufung von Kenntnissen


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[0116] Gyninasialunterricht und Lachbildung. Vorbereitungsanstalt Wahlen, und in den Gymnasien bliebe nur derjenige Nest von Schülern zurück, denen das Altertumsstudium noch als unerläßliche Vor- bedingung für die spätere Zulassung zur Staatsprüfung vorgeschrieben ist. Aber eine solche Sonderung ist nicht eingetreten, und die Gründe dafür liegen auf der Hand. Erstens siud mir wenige Väter geneigt und in der Lage, ihren Söhnen schon beim Eintritts in die Tertia einen festen Beruf vorzu¬ schlagen. Die Altersstufe von zwölf bis dreizehn Jahren ist nicht geeignet, eine Entscheidung für das ganze Leben zu treffen. Geht der Knabe aber auf die Realschule, so ist ihm der Weg zu den humanistischen Fächern der Uni¬ versität verschlossen. Um ihm Zeit zur Wahl eiues Berufes zu lassen, werden daher viele Eltern das Gymnasium wählen, von welchem der Übertritt zu einem realen oder technischen Fache oder Vorstudiuni aus jeder höhern Klasse erfolgen kann, während das Umgekehrte nicht zulässig ist. Zweitens darf man nicht verkennen, daß das humanistische Gymnasium auch äußerlich den Vorrang hat, und daß es neben dem materiellen Vorteile, den es in der Erschließung aller staatlichen Anstellungen gewährt, auch uoch als die vornehmere, im eigentlichen Sinne gelehrte Vildungsnnstalt gilt. Daß hierbei das soziale Element unter den Schülern wesentlich mitspricht, wird niemand verkennen. So lange also die Söhne der höhern Stände das Gymnasium bevorzugen und anderseits den Realschülern nicht der Zugang zu allen akademischen Lchrgebieten eröffnet wird, so lange werden auch die humanistischen Gymnasien fortfahren, die stärkere An¬ ziehungskraft ausznüben, so lauge werden anch die Realschulen als Bildungs- anstalten zweiter Ordnung betrachtet werden. In ihrer gegenwärtigen Gestalt also, und namentlich in ihrer Stellung neben der vornehmeren Schwesteranstalt, genügen die letzteren den Anforderungen der Gegenwart keineswegs. Die Rea¬ listen glauben, es sei nur eine Frage der Zeit, wann sie sich eine ebenbürtige Stellung erobern und als vollberechtigte Konkurrenten der humanistischen Gym¬ nasien auftreten würden. Aber ist denn die Beförderung dieses Zweikampfes wünschenswert? Ist nicht die Verschmelzung beider Arten von Unterrichts¬ anstalten möglich? Ließe sich nicht ein Auskunftsmittel finden, das eine Ver¬ einigung der Lehrkräfte zu einem gemeinsamen Ziele herstellte? Dieses Ziel müßte dann dasjenige Maß allgemeiner Bildung fein, welches ein Schüler auf den Lebensweg mitnehmen soll, gleichviel welchen Beruf er erwählt. Bis zur Einsetzung der Realschulen, besonders bis zur Verfügung von 1370, war dieses Maß in den Anforderungen der Neifeprüfuugeu geregelt. Seitdem ist der Be¬ griff schwankend geworden. Also schon dieses Ziel müßte, wenn wir eine ein¬ heitliche Bildung der höhern Stände überhaupt anstreben, fester bezeichnet werden. Aber selbst wenn wir uns auf den philologischen Standpunkt stellen und das bisherige Bildungsmaß des Gymnasialabiturienten als das erforderliche be¬ zeichnen, ist die Frage erlaubt: Wird denn das vorgesteckte Ziel thatsächlich erreicht? Wird hier nicht oft Bildung mit einer Anhäufung von Kenntnissen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/116>, abgerufen am 22.12.2024.