Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.Dichterfreundimien. lernten Züge. Im allgemeinen stimmen die Bilder mit dem überein, was wir (Schluß folgt.) Dichterfreundimien. lernten Züge. Im allgemeinen stimmen die Bilder mit dem überein, was wir (Schluß folgt.) <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0090" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199444"/> <fw type="header" place="top"> Dichterfreundimien.</fw><lb/> <p xml:id="ID_303" prev="#ID_302"> lernten Züge. Im allgemeinen stimmen die Bilder mit dem überein, was wir<lb/> von den ihr nahestehenden Personen über ihren Charakter und ihre Befähigung<lb/> vernehmen. Alle finden in ihr eine interessante Mischung von Festigkeit und<lb/> Milde, Klarheit des Denkens und sanfter Hingebung. In der Charakteristik,<lb/> welche die Phhsiognvmischcn Fragmente im Anschlusse an die Silhouette geben,<lb/> wird die Feinheit, ja Vergeistigung ihres Wesens, die Harmonie der Erscheinung,<lb/> und als größter Vorzug die seltene Fähigkeit, ruhig zuzuhören, hervorgehoben.<lb/> Goethe selbst deutet vorahnend, ehe er ihre persönliche Bekanntschaft gemacht<lb/> hat, den von dem Hannöverschen Arzt Zimmermann erhaltenen Schattenriß in<lb/> folgender Weise: „Festigkeit. Gefälliges, unverändertes Wohnen des Gegen¬<lb/> standes. Behagen in sich selbst. Liebevolle Gefälligkeit. Naivität und Güte,<lb/> selbstsließende Rede. nachgiebige Festigkeit. Wohlwollend. Treubleibend. Siege<lb/> mit Netzen." Und unter das Bild selbst schrieb er: „Es wäre ein herrliches<lb/> Schauspiel, zu sehen, wie die Welt sich in dieser Seele spiegelt. Sie sieht die<lb/> Welt, wie sie ist, und doch durchs Medium der Liebe. So ist auch Sanftheit<lb/> der allgemeine Eindruck." Knebel schreibt über sie an seine Schwester: „Reines,<lb/> richtiges Gefühl bei natürlicher, leidenschaftsloser und leichter Disposition haben<lb/> sie bei eignem Fleiße und durch den Umgang mit vorzüglichen Menschen, der<lb/> ihrer äußerst feinen Wißbegierde zu statten kam, zu einem Wesen gebildet, dessen<lb/> Dasein und Art in Deutschland schwerlich oft wieder zu stände kommen dürfte.<lb/> Sie ist ohne alle Prätension und Ziererei, gerad, natürlich, frei, nicht zu schwer<lb/> und nicht zu leicht, ohne Enthusiasmus und doch mit geistiger Wärme, nimmt<lb/> an allem Vernünftigen Anteil und an allem Menschlichen, ist wohl unterrichtet<lb/> und hat feinen Takt, selbst Geschicklichkeit für die Kunst." Schiller findet in<lb/> ihr „gesunden Verstand, Gefühl und Wahrheit." Über ihre geistige Befähigung<lb/> und den Grad ihrer Bildung sind die Zeitgenossen alles Lobes voll: sie war<lb/> wohlbewandert im Französischen, Englischen und Italienischen, zeichnete viel und<lb/> fand in der Lektüre selbst schwierigerer wissenschaftlicher Werke Unterhaltung.<lb/> Uns freilich erscheinen ihre Geistesprodukte, z. B. das berüchtigte Drama „Dido,"<lb/> dilettantisch, engherzig und trocken. Aber wir dürfen nicht den Maßstab unsrer<lb/> erweiterten Bildung anlegen, wenn wir die durchschnittliche Leistungsfähigkeit<lb/> jener Zeit beurteilen wollen, und dürfen uns nicht wundern, wenn die Geistes-<lb/> Produkte der Nebenpersonen von den Werken der Geistesheroen himmelweit ab¬<lb/> stehen. Für den geistigen Wert der Frau von Stein ist es immerhin be¬<lb/> stimmend, daß sie zu den Besten im innigsten Verhältnisse stand. Nicht bloß<lb/> Goethe, auch Schiller und Herder sind ihr befreundet, der Herzog schätzt sie<lb/> hoch, und die edle Herzogin Luise betrachtet sie als ihre Vertraute. Eine Frau,<lb/> die sich so vieler Hochachtung erfreute, kann nicht unedel gewesen sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_304"> (Schluß folgt.)</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0090]
Dichterfreundimien.
lernten Züge. Im allgemeinen stimmen die Bilder mit dem überein, was wir
von den ihr nahestehenden Personen über ihren Charakter und ihre Befähigung
vernehmen. Alle finden in ihr eine interessante Mischung von Festigkeit und
Milde, Klarheit des Denkens und sanfter Hingebung. In der Charakteristik,
welche die Phhsiognvmischcn Fragmente im Anschlusse an die Silhouette geben,
wird die Feinheit, ja Vergeistigung ihres Wesens, die Harmonie der Erscheinung,
und als größter Vorzug die seltene Fähigkeit, ruhig zuzuhören, hervorgehoben.
Goethe selbst deutet vorahnend, ehe er ihre persönliche Bekanntschaft gemacht
hat, den von dem Hannöverschen Arzt Zimmermann erhaltenen Schattenriß in
folgender Weise: „Festigkeit. Gefälliges, unverändertes Wohnen des Gegen¬
standes. Behagen in sich selbst. Liebevolle Gefälligkeit. Naivität und Güte,
selbstsließende Rede. nachgiebige Festigkeit. Wohlwollend. Treubleibend. Siege
mit Netzen." Und unter das Bild selbst schrieb er: „Es wäre ein herrliches
Schauspiel, zu sehen, wie die Welt sich in dieser Seele spiegelt. Sie sieht die
Welt, wie sie ist, und doch durchs Medium der Liebe. So ist auch Sanftheit
der allgemeine Eindruck." Knebel schreibt über sie an seine Schwester: „Reines,
richtiges Gefühl bei natürlicher, leidenschaftsloser und leichter Disposition haben
sie bei eignem Fleiße und durch den Umgang mit vorzüglichen Menschen, der
ihrer äußerst feinen Wißbegierde zu statten kam, zu einem Wesen gebildet, dessen
Dasein und Art in Deutschland schwerlich oft wieder zu stände kommen dürfte.
Sie ist ohne alle Prätension und Ziererei, gerad, natürlich, frei, nicht zu schwer
und nicht zu leicht, ohne Enthusiasmus und doch mit geistiger Wärme, nimmt
an allem Vernünftigen Anteil und an allem Menschlichen, ist wohl unterrichtet
und hat feinen Takt, selbst Geschicklichkeit für die Kunst." Schiller findet in
ihr „gesunden Verstand, Gefühl und Wahrheit." Über ihre geistige Befähigung
und den Grad ihrer Bildung sind die Zeitgenossen alles Lobes voll: sie war
wohlbewandert im Französischen, Englischen und Italienischen, zeichnete viel und
fand in der Lektüre selbst schwierigerer wissenschaftlicher Werke Unterhaltung.
Uns freilich erscheinen ihre Geistesprodukte, z. B. das berüchtigte Drama „Dido,"
dilettantisch, engherzig und trocken. Aber wir dürfen nicht den Maßstab unsrer
erweiterten Bildung anlegen, wenn wir die durchschnittliche Leistungsfähigkeit
jener Zeit beurteilen wollen, und dürfen uns nicht wundern, wenn die Geistes-
Produkte der Nebenpersonen von den Werken der Geistesheroen himmelweit ab¬
stehen. Für den geistigen Wert der Frau von Stein ist es immerhin be¬
stimmend, daß sie zu den Besten im innigsten Verhältnisse stand. Nicht bloß
Goethe, auch Schiller und Herder sind ihr befreundet, der Herzog schätzt sie
hoch, und die edle Herzogin Luise betrachtet sie als ihre Vertraute. Eine Frau,
die sich so vieler Hochachtung erfreute, kann nicht unedel gewesen sein.
(Schluß folgt.)
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