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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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?ichterfreundinnen.

sie geschrieben worden sind, nehmen in dem Kataloge der Goetheliteratnr ein
besondres Kapitel ein. Die Gelehrten haben sich über der Beurteilung ihres
Charakters und ihres Bildungsgrades förmlich erhitzt, so sehr ist sie Gegenstand
der streitenden Meinungen gewordein Die einen, Düntzer voran, heben sie in
den Himmel, preisen sie als die feingebildete, über alle irdischen Leidenschaften hoch
erhabene Fran, als den sorgenden, schützenden Engel, welcher der Goethischen
Muse beigegeben war, die andern, von den jesuitischen Schmähungen Baum-
gartncrs ganz abgesehen, werfen bedenkliche Seitenblicke ans ihre Moral, Adolf
Stahr und Robert Keil nennen sie geradezu die kluge und selbstsüchtige Kokette,
welche den Dichter um die schönste Zeit seines Lebens betrogen habe. Es ist
ein häßlicher Streit, und fast möchte man wünschen, daß er unterblieben wäre,
aber er ist doch eine kulturhistorische Notwendigkeit, denn zwei Fragen von
der höchsten Wichtigkeit schließt er ein: Was waren die Frauen der klassischen
Zeit ihrem innersten Wesen nach? und: Welchen Einfluß übten sie auf unsre
größten Dichter aus? So lange diese Fragen nicht beantwortet sind, werden
wir keine klare Anschauung von der großen Zeit und von ihren genialen Trägern
haben. Das Verhältnis der Fran von Stein ist ein wissenschaftliches Problem
geworden, und wenn der Streit zum Teil wirklich aus Skandalgeschichten hinaus¬
läuft, so ist dies in der eigentümlichen Natur der rätselhaften Verhältnisse jener
Zeit begründet und darum verzeihlich.

Das Wunderbarste ist, daß sich ein Geist von so unermeßlicher Weite und
Tiefe wie Goethe zehn Jahre lang mit seiner ganzen Innigkeit an eine Fran
anschließen konnte, die, was sie ihm auch gemütlich darbot, nur als ältere Frau,
als Gattin eines andern, als Familienmutter zu bieten vermochte und sich durch
Begabung und Bildung nur wenig vor den übrigen Damen des Hofes aus¬
zeichnete. Mit welcher Leidenschaft aber Goethe an ihr hing, wissen wir aus
seinen Briefen an sie, die uns wie ein elektrischer Lichtstrom das wundersame
Verhältnis erleuchten, aber leider nur zur Hälfte, weil die Briefe der Frau
von Stein an ihn nicht vorliegen. Die kluge Frau hat sie zurückgefordert und
wahrscheinlich vernichtet. Welche Fülle warmen, rastlosen Liebeslebens pulsirt
jedoch schon in den Goethischen Briefen, die in der neuen, von Fielitz besorgten
Ausgabe zwei stattliche Bände füllen! Es sind Psalmen der Liebe: Bittpsalmen,
Bußpsalmen, Freudenpsalmen und Trauerpsalmen,, wie sie schöner nicht sein
können. In tausend Abwandlungen, immer neu, immer treffend, klingt die innige
Versicherung wieder: Ich liebe dich! Die meisten dieser traulichen Herzens-
ergießungen könnten an Mutter oder Schwester gerichtet sein, so fromm, so
demütig ordnet sich der Liebende den gestrengen Forderungen der Geliebten
unter, aber zwischen den ruhigen Ansiedlungen der Betrachtung und Selbst¬
bezwingung lodern die Flammen einer Leidenschaft empor, die mit der plato¬
nischen Freundschaft nichts gemein hat. Durch das Ganze zieht sich eine ein¬
fache, aber ergreifende Handlung. Nahezu fünf Jahre laug nichts als Werben


?ichterfreundinnen.

sie geschrieben worden sind, nehmen in dem Kataloge der Goetheliteratnr ein
besondres Kapitel ein. Die Gelehrten haben sich über der Beurteilung ihres
Charakters und ihres Bildungsgrades förmlich erhitzt, so sehr ist sie Gegenstand
der streitenden Meinungen gewordein Die einen, Düntzer voran, heben sie in
den Himmel, preisen sie als die feingebildete, über alle irdischen Leidenschaften hoch
erhabene Fran, als den sorgenden, schützenden Engel, welcher der Goethischen
Muse beigegeben war, die andern, von den jesuitischen Schmähungen Baum-
gartncrs ganz abgesehen, werfen bedenkliche Seitenblicke ans ihre Moral, Adolf
Stahr und Robert Keil nennen sie geradezu die kluge und selbstsüchtige Kokette,
welche den Dichter um die schönste Zeit seines Lebens betrogen habe. Es ist
ein häßlicher Streit, und fast möchte man wünschen, daß er unterblieben wäre,
aber er ist doch eine kulturhistorische Notwendigkeit, denn zwei Fragen von
der höchsten Wichtigkeit schließt er ein: Was waren die Frauen der klassischen
Zeit ihrem innersten Wesen nach? und: Welchen Einfluß übten sie auf unsre
größten Dichter aus? So lange diese Fragen nicht beantwortet sind, werden
wir keine klare Anschauung von der großen Zeit und von ihren genialen Trägern
haben. Das Verhältnis der Fran von Stein ist ein wissenschaftliches Problem
geworden, und wenn der Streit zum Teil wirklich aus Skandalgeschichten hinaus¬
läuft, so ist dies in der eigentümlichen Natur der rätselhaften Verhältnisse jener
Zeit begründet und darum verzeihlich.

Das Wunderbarste ist, daß sich ein Geist von so unermeßlicher Weite und
Tiefe wie Goethe zehn Jahre lang mit seiner ganzen Innigkeit an eine Fran
anschließen konnte, die, was sie ihm auch gemütlich darbot, nur als ältere Frau,
als Gattin eines andern, als Familienmutter zu bieten vermochte und sich durch
Begabung und Bildung nur wenig vor den übrigen Damen des Hofes aus¬
zeichnete. Mit welcher Leidenschaft aber Goethe an ihr hing, wissen wir aus
seinen Briefen an sie, die uns wie ein elektrischer Lichtstrom das wundersame
Verhältnis erleuchten, aber leider nur zur Hälfte, weil die Briefe der Frau
von Stein an ihn nicht vorliegen. Die kluge Frau hat sie zurückgefordert und
wahrscheinlich vernichtet. Welche Fülle warmen, rastlosen Liebeslebens pulsirt
jedoch schon in den Goethischen Briefen, die in der neuen, von Fielitz besorgten
Ausgabe zwei stattliche Bände füllen! Es sind Psalmen der Liebe: Bittpsalmen,
Bußpsalmen, Freudenpsalmen und Trauerpsalmen,, wie sie schöner nicht sein
können. In tausend Abwandlungen, immer neu, immer treffend, klingt die innige
Versicherung wieder: Ich liebe dich! Die meisten dieser traulichen Herzens-
ergießungen könnten an Mutter oder Schwester gerichtet sein, so fromm, so
demütig ordnet sich der Liebende den gestrengen Forderungen der Geliebten
unter, aber zwischen den ruhigen Ansiedlungen der Betrachtung und Selbst¬
bezwingung lodern die Flammen einer Leidenschaft empor, die mit der plato¬
nischen Freundschaft nichts gemein hat. Durch das Ganze zieht sich eine ein¬
fache, aber ergreifende Handlung. Nahezu fünf Jahre laug nichts als Werben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/85>, abgerufen am 27.09.2024.