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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Germanische Altertümer eins den Bauerdörfern Nordungarns.

Mit der deutschen Bürgerschaft der Stadt bin ich in keinerlei Berührung
gekommen, habe indes vielleicht keinen Anlaß zum Bedauern, da, wie mir von
slawischer Seite mit einer gewissen Geringschätzung bemerkt wurde, die Deutschen
in Kremnitz, wiewohl deutsch von Sprache, Sitte und Gefühl, es doch für eine
Grobheit ansehen, als Deutsche angeredet zu werde". Da ihnen außerdem
durch die Politik der "forcirten Magyarisirung," wie ein Ungar mir
gegenüber mit anerkennenswerter Aufrichtigkeit das Kind beim rechten Namen
nannte, alle Mittel zur Pflege ihrer Muttersprache vorenthalten sind, so sind
sie rettungslos dem Slawentum verfallen, und es öffnen sich auch für sie
damit die Arme des Pcuislawismus, dessen geschäftiger Wühlarbeit man hier
überall begegnet. In frühern Zeiten war das anders, damals, als die deutschen
"Gäste", durch königliche Freibriefe geschützt, sich selbst regierten und allen
Fremden hartnäckig die Niederlassung verwehrten, wie u. a. folgende Begebenheit
zeigt. Um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts -- ich folge einer ur¬
kundlichen Mitteilung des Herrn Stadtarchivars Krischko -- ließ sich ein Slawe
in der Stadt nieder, der durch Holzhandel auf der Gran, womit er den könig¬
lichen Hof wie die Ansitze der Magnaten versorgte, große Reichtümer erworben
hatte. Zwölf Jahre lang hatte er unangefochten dort gewohnt, da fiel es den
Bürgern ein, sich auf ihre Rechte zu besinnen und ihn aus der Stadt zu ver¬
weisen. Er mußte sich an den König wenden, an Ladislaus V., welcher ihm
in einem auf seiue Person ausgestellten Privileg -- anders ging es ohne Ver¬
letzung der städtischen Freiheiten nicht -- das Recht des Aufenthaltes in Kremnitz
verlieh. In der beigefügten Begründung dieser Auszeichnung wurden neben den
Verdiensten, die sich der Holzbarvn um den König und den Staat erwerbe, den
Krcinnitzern auch seiue Verdienste um ihre Stadt zu Gemüte geführt, die darin
bestanden, daß er dieselbe zuerst mit einem pnbnumi, d. i. mit einem Stein-
hause, geziert habe. Indes diese Verdienste leuchteten den Bürgern so wenig
ein, daß sie ihn, den sie nicht ohne weiteres verjagen konnten, durch allerlei
Auflagen, Steuern und Bräuche auszuräuchern suchten, bis er sich endlich durch
ein neues Diplom vom König Mathias Corvinus Ruhe verschaffte.

Meine Hoffnung, auf dem städtischen Archiv urkundliche Zeugnisse über die
fragwürdigen Verhältnisse der Hausgcnosscnschasten in den benachbarten Dörfern,
die zum Teil in deu Gcrichtsbnnu der Stadt fielen, zu finden, erfüllte sich
nicht, auch Krischko, heute Oberbuchhalter, der in seiner sechzehnjähriger Thätigkeit
als Archivar das Archiv zu urkundlichen Studien über die Geschichte von
Kremnitz durchstöbert hatte, erinnerte sich nicht, auf etwas bezügliches gestoßen zu
sein. Ich sah mich vorderhand einzig und allein auf die lebendige Überlieferung
angewiesen, die ich denn in Krickerhäu, als meinem Hauptquartier, eingehend zu
studiren gedachte. Ich hatte von Anfang meiner Reise an sie als eigentliches
Ziel ins Auge gefaßt. Krickerhäu war ja der Ort, der mir zuerst als Sitz
jeuer merkwürdigen Hausgenvsscuschaften benannt war. Der Markt Krickerhäu,


Germanische Altertümer eins den Bauerdörfern Nordungarns.

Mit der deutschen Bürgerschaft der Stadt bin ich in keinerlei Berührung
gekommen, habe indes vielleicht keinen Anlaß zum Bedauern, da, wie mir von
slawischer Seite mit einer gewissen Geringschätzung bemerkt wurde, die Deutschen
in Kremnitz, wiewohl deutsch von Sprache, Sitte und Gefühl, es doch für eine
Grobheit ansehen, als Deutsche angeredet zu werde». Da ihnen außerdem
durch die Politik der „forcirten Magyarisirung," wie ein Ungar mir
gegenüber mit anerkennenswerter Aufrichtigkeit das Kind beim rechten Namen
nannte, alle Mittel zur Pflege ihrer Muttersprache vorenthalten sind, so sind
sie rettungslos dem Slawentum verfallen, und es öffnen sich auch für sie
damit die Arme des Pcuislawismus, dessen geschäftiger Wühlarbeit man hier
überall begegnet. In frühern Zeiten war das anders, damals, als die deutschen
„Gäste", durch königliche Freibriefe geschützt, sich selbst regierten und allen
Fremden hartnäckig die Niederlassung verwehrten, wie u. a. folgende Begebenheit
zeigt. Um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts — ich folge einer ur¬
kundlichen Mitteilung des Herrn Stadtarchivars Krischko — ließ sich ein Slawe
in der Stadt nieder, der durch Holzhandel auf der Gran, womit er den könig¬
lichen Hof wie die Ansitze der Magnaten versorgte, große Reichtümer erworben
hatte. Zwölf Jahre lang hatte er unangefochten dort gewohnt, da fiel es den
Bürgern ein, sich auf ihre Rechte zu besinnen und ihn aus der Stadt zu ver¬
weisen. Er mußte sich an den König wenden, an Ladislaus V., welcher ihm
in einem auf seiue Person ausgestellten Privileg — anders ging es ohne Ver¬
letzung der städtischen Freiheiten nicht — das Recht des Aufenthaltes in Kremnitz
verlieh. In der beigefügten Begründung dieser Auszeichnung wurden neben den
Verdiensten, die sich der Holzbarvn um den König und den Staat erwerbe, den
Krcinnitzern auch seiue Verdienste um ihre Stadt zu Gemüte geführt, die darin
bestanden, daß er dieselbe zuerst mit einem pnbnumi, d. i. mit einem Stein-
hause, geziert habe. Indes diese Verdienste leuchteten den Bürgern so wenig
ein, daß sie ihn, den sie nicht ohne weiteres verjagen konnten, durch allerlei
Auflagen, Steuern und Bräuche auszuräuchern suchten, bis er sich endlich durch
ein neues Diplom vom König Mathias Corvinus Ruhe verschaffte.

Meine Hoffnung, auf dem städtischen Archiv urkundliche Zeugnisse über die
fragwürdigen Verhältnisse der Hausgcnosscnschasten in den benachbarten Dörfern,
die zum Teil in deu Gcrichtsbnnu der Stadt fielen, zu finden, erfüllte sich
nicht, auch Krischko, heute Oberbuchhalter, der in seiner sechzehnjähriger Thätigkeit
als Archivar das Archiv zu urkundlichen Studien über die Geschichte von
Kremnitz durchstöbert hatte, erinnerte sich nicht, auf etwas bezügliches gestoßen zu
sein. Ich sah mich vorderhand einzig und allein auf die lebendige Überlieferung
angewiesen, die ich denn in Krickerhäu, als meinem Hauptquartier, eingehend zu
studiren gedachte. Ich hatte von Anfang meiner Reise an sie als eigentliches
Ziel ins Auge gefaßt. Krickerhäu war ja der Ort, der mir zuerst als Sitz
jeuer merkwürdigen Hausgenvsscuschaften benannt war. Der Markt Krickerhäu,


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[0078] Germanische Altertümer eins den Bauerdörfern Nordungarns. Mit der deutschen Bürgerschaft der Stadt bin ich in keinerlei Berührung gekommen, habe indes vielleicht keinen Anlaß zum Bedauern, da, wie mir von slawischer Seite mit einer gewissen Geringschätzung bemerkt wurde, die Deutschen in Kremnitz, wiewohl deutsch von Sprache, Sitte und Gefühl, es doch für eine Grobheit ansehen, als Deutsche angeredet zu werde». Da ihnen außerdem durch die Politik der „forcirten Magyarisirung," wie ein Ungar mir gegenüber mit anerkennenswerter Aufrichtigkeit das Kind beim rechten Namen nannte, alle Mittel zur Pflege ihrer Muttersprache vorenthalten sind, so sind sie rettungslos dem Slawentum verfallen, und es öffnen sich auch für sie damit die Arme des Pcuislawismus, dessen geschäftiger Wühlarbeit man hier überall begegnet. In frühern Zeiten war das anders, damals, als die deutschen „Gäste", durch königliche Freibriefe geschützt, sich selbst regierten und allen Fremden hartnäckig die Niederlassung verwehrten, wie u. a. folgende Begebenheit zeigt. Um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts — ich folge einer ur¬ kundlichen Mitteilung des Herrn Stadtarchivars Krischko — ließ sich ein Slawe in der Stadt nieder, der durch Holzhandel auf der Gran, womit er den könig¬ lichen Hof wie die Ansitze der Magnaten versorgte, große Reichtümer erworben hatte. Zwölf Jahre lang hatte er unangefochten dort gewohnt, da fiel es den Bürgern ein, sich auf ihre Rechte zu besinnen und ihn aus der Stadt zu ver¬ weisen. Er mußte sich an den König wenden, an Ladislaus V., welcher ihm in einem auf seiue Person ausgestellten Privileg — anders ging es ohne Ver¬ letzung der städtischen Freiheiten nicht — das Recht des Aufenthaltes in Kremnitz verlieh. In der beigefügten Begründung dieser Auszeichnung wurden neben den Verdiensten, die sich der Holzbarvn um den König und den Staat erwerbe, den Krcinnitzern auch seiue Verdienste um ihre Stadt zu Gemüte geführt, die darin bestanden, daß er dieselbe zuerst mit einem pnbnumi, d. i. mit einem Stein- hause, geziert habe. Indes diese Verdienste leuchteten den Bürgern so wenig ein, daß sie ihn, den sie nicht ohne weiteres verjagen konnten, durch allerlei Auflagen, Steuern und Bräuche auszuräuchern suchten, bis er sich endlich durch ein neues Diplom vom König Mathias Corvinus Ruhe verschaffte. Meine Hoffnung, auf dem städtischen Archiv urkundliche Zeugnisse über die fragwürdigen Verhältnisse der Hausgcnosscnschasten in den benachbarten Dörfern, die zum Teil in deu Gcrichtsbnnu der Stadt fielen, zu finden, erfüllte sich nicht, auch Krischko, heute Oberbuchhalter, der in seiner sechzehnjähriger Thätigkeit als Archivar das Archiv zu urkundlichen Studien über die Geschichte von Kremnitz durchstöbert hatte, erinnerte sich nicht, auf etwas bezügliches gestoßen zu sein. Ich sah mich vorderhand einzig und allein auf die lebendige Überlieferung angewiesen, die ich denn in Krickerhäu, als meinem Hauptquartier, eingehend zu studiren gedachte. Ich hatte von Anfang meiner Reise an sie als eigentliches Ziel ins Auge gefaßt. Krickerhäu war ja der Ort, der mir zuerst als Sitz jeuer merkwürdigen Hausgenvsscuschaften benannt war. Der Markt Krickerhäu,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/78>, abgerufen am 27.09.2024.