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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Aus Schwaben.

der Reformation, der in Altwürtemberg der tels ganze Leben des Volkes be¬
herrschende geworden ist. Aber hier beginnt auch das Verhängnis. Wie ein
Vorposten des Protestantismus inmitten katholischer Gebiete, oder wenigstens
wie ein Keil hineingetrieben zwischen die breit gelagerten Ländermassen der
Hänser Habsburg und Wittelsbcich, ermangelte das würtenbergische Land der
weitreichenden und umfassenden Grundlage, um die ganze Energie des schwäbisch-
protestantischen Geistes innerhalb seiner Grenzen und von diesem Mittelpunkte
aus zur Geltung zu bringen. Im protestantischen Norden, im preußische"
Staate, da konnte Schillers Geist die Flügel rühren, konnte der Hegelsche seine
eigentliche Heimat finden; wie Philipps Erbe für das Genie seines Sohnes,
war ihr Schwaben-Makedonien für diese Geister zu klein. Daß durch kon¬
fessionelle und dynastische Verhältnisse die territorialen Schwaben so eng an¬
einander gerückt waren und bleiben mußten, war eine Ungunst des Schicksals,
die auch in den politischen Bestrebungen von den tüchtigsten Männern oft
schwer empfunden wurde. Man fühlte geistig die Kraft und den Beruf zu
selbständigem Handeln, und doch versagte" die materiellen Mittel zu durch¬
greifender That. Von diesem Gesichtspunkte aus eröffnet sich das Verständnis
auch für die nicht selten schwankende, öfters sogar zweideutig erscheinende Haltung,
welche König Wilhelm während eiuer beinahe funfzigjährigen Negierung in
nationalen Fragen an den Tag legte. Es gab, auch im politischen Sinne,
einen besondern süddeutsche" Charakter -- konnte es eine besondre süddeutsche
Politik gebe"? Die Geschichte hat mit einem kategorischen Nein geantwortet,
nachdem kurz vorher König Wilhelm die Augen geschlossen hatte mit dem
Seufzer: "Es thut doch weh, von einem so schönen Lande Abschied zu nehmen."
In den Aufzeichnungen, die seinen letzte" Wille" enthalte", könne sich der
König auch auf sein Bestreben berufen, allezeit das Wohl des gemeinsamen
deutschen Vaterlandes im Auge zu behalten. Und doch würde er sich, bei noch
lungern Leben, schwer i" die Veränderungen gefunden haben, welche zum Heile
der Nation Deutschlands politische Verfassung umgestalteten. Wenn überhaupt
jeder historische Fortschritt wiederum auch einen Verzicht in sich schließt, so
brachte die Erhebung Berlins zum unbestrittenen Mittelpunkte deutscheu Lebens
für das Staats- und Stammeslebeu in Schwaben eine Reihe von Verzicht-
leistuugeu mit sich, die hier besonders schmerzlich empfunden wurden. Daß die
Opfer gebracht werde" mußte" zum Wohle des Ganzen, dessen Schädigung und
Schwäche auch wieder die Verkümmerung der Teile zur Folge haben würde,
leuchtet dem weiter reichenden Blicke des politisch Gebildeten sofort ein und ist
für ihn eine Thatsache, gegen welche kein Zlveifel aufkommen kann. Aber diese
politisch Gebildeten machen noch lange keine Mehrheit ans. Genan betrachtet,
sind es immer nur verschwindend wenige, die von der Notwendigkeit politischer
Opfer eine deutliche Einsicht haben; noch wenigere, die mit voller Hingabe
des Herzens Opfer zu bringe" imstande sind. Kein Wunder, wenn die Parteien,


Aus Schwaben.

der Reformation, der in Altwürtemberg der tels ganze Leben des Volkes be¬
herrschende geworden ist. Aber hier beginnt auch das Verhängnis. Wie ein
Vorposten des Protestantismus inmitten katholischer Gebiete, oder wenigstens
wie ein Keil hineingetrieben zwischen die breit gelagerten Ländermassen der
Hänser Habsburg und Wittelsbcich, ermangelte das würtenbergische Land der
weitreichenden und umfassenden Grundlage, um die ganze Energie des schwäbisch-
protestantischen Geistes innerhalb seiner Grenzen und von diesem Mittelpunkte
aus zur Geltung zu bringen. Im protestantischen Norden, im preußische«
Staate, da konnte Schillers Geist die Flügel rühren, konnte der Hegelsche seine
eigentliche Heimat finden; wie Philipps Erbe für das Genie seines Sohnes,
war ihr Schwaben-Makedonien für diese Geister zu klein. Daß durch kon¬
fessionelle und dynastische Verhältnisse die territorialen Schwaben so eng an¬
einander gerückt waren und bleiben mußten, war eine Ungunst des Schicksals,
die auch in den politischen Bestrebungen von den tüchtigsten Männern oft
schwer empfunden wurde. Man fühlte geistig die Kraft und den Beruf zu
selbständigem Handeln, und doch versagte» die materiellen Mittel zu durch¬
greifender That. Von diesem Gesichtspunkte aus eröffnet sich das Verständnis
auch für die nicht selten schwankende, öfters sogar zweideutig erscheinende Haltung,
welche König Wilhelm während eiuer beinahe funfzigjährigen Negierung in
nationalen Fragen an den Tag legte. Es gab, auch im politischen Sinne,
einen besondern süddeutsche» Charakter — konnte es eine besondre süddeutsche
Politik gebe»? Die Geschichte hat mit einem kategorischen Nein geantwortet,
nachdem kurz vorher König Wilhelm die Augen geschlossen hatte mit dem
Seufzer: „Es thut doch weh, von einem so schönen Lande Abschied zu nehmen."
In den Aufzeichnungen, die seinen letzte» Wille» enthalte», könne sich der
König auch auf sein Bestreben berufen, allezeit das Wohl des gemeinsamen
deutschen Vaterlandes im Auge zu behalten. Und doch würde er sich, bei noch
lungern Leben, schwer i» die Veränderungen gefunden haben, welche zum Heile
der Nation Deutschlands politische Verfassung umgestalteten. Wenn überhaupt
jeder historische Fortschritt wiederum auch einen Verzicht in sich schließt, so
brachte die Erhebung Berlins zum unbestrittenen Mittelpunkte deutscheu Lebens
für das Staats- und Stammeslebeu in Schwaben eine Reihe von Verzicht-
leistuugeu mit sich, die hier besonders schmerzlich empfunden wurden. Daß die
Opfer gebracht werde» mußte» zum Wohle des Ganzen, dessen Schädigung und
Schwäche auch wieder die Verkümmerung der Teile zur Folge haben würde,
leuchtet dem weiter reichenden Blicke des politisch Gebildeten sofort ein und ist
für ihn eine Thatsache, gegen welche kein Zlveifel aufkommen kann. Aber diese
politisch Gebildeten machen noch lange keine Mehrheit ans. Genan betrachtet,
sind es immer nur verschwindend wenige, die von der Notwendigkeit politischer
Opfer eine deutliche Einsicht haben; noch wenigere, die mit voller Hingabe
des Herzens Opfer zu bringe» imstande sind. Kein Wunder, wenn die Parteien,


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[0648] Aus Schwaben. der Reformation, der in Altwürtemberg der tels ganze Leben des Volkes be¬ herrschende geworden ist. Aber hier beginnt auch das Verhängnis. Wie ein Vorposten des Protestantismus inmitten katholischer Gebiete, oder wenigstens wie ein Keil hineingetrieben zwischen die breit gelagerten Ländermassen der Hänser Habsburg und Wittelsbcich, ermangelte das würtenbergische Land der weitreichenden und umfassenden Grundlage, um die ganze Energie des schwäbisch- protestantischen Geistes innerhalb seiner Grenzen und von diesem Mittelpunkte aus zur Geltung zu bringen. Im protestantischen Norden, im preußische« Staate, da konnte Schillers Geist die Flügel rühren, konnte der Hegelsche seine eigentliche Heimat finden; wie Philipps Erbe für das Genie seines Sohnes, war ihr Schwaben-Makedonien für diese Geister zu klein. Daß durch kon¬ fessionelle und dynastische Verhältnisse die territorialen Schwaben so eng an¬ einander gerückt waren und bleiben mußten, war eine Ungunst des Schicksals, die auch in den politischen Bestrebungen von den tüchtigsten Männern oft schwer empfunden wurde. Man fühlte geistig die Kraft und den Beruf zu selbständigem Handeln, und doch versagte» die materiellen Mittel zu durch¬ greifender That. Von diesem Gesichtspunkte aus eröffnet sich das Verständnis auch für die nicht selten schwankende, öfters sogar zweideutig erscheinende Haltung, welche König Wilhelm während eiuer beinahe funfzigjährigen Negierung in nationalen Fragen an den Tag legte. Es gab, auch im politischen Sinne, einen besondern süddeutsche» Charakter — konnte es eine besondre süddeutsche Politik gebe»? Die Geschichte hat mit einem kategorischen Nein geantwortet, nachdem kurz vorher König Wilhelm die Augen geschlossen hatte mit dem Seufzer: „Es thut doch weh, von einem so schönen Lande Abschied zu nehmen." In den Aufzeichnungen, die seinen letzte» Wille» enthalte», könne sich der König auch auf sein Bestreben berufen, allezeit das Wohl des gemeinsamen deutschen Vaterlandes im Auge zu behalten. Und doch würde er sich, bei noch lungern Leben, schwer i» die Veränderungen gefunden haben, welche zum Heile der Nation Deutschlands politische Verfassung umgestalteten. Wenn überhaupt jeder historische Fortschritt wiederum auch einen Verzicht in sich schließt, so brachte die Erhebung Berlins zum unbestrittenen Mittelpunkte deutscheu Lebens für das Staats- und Stammeslebeu in Schwaben eine Reihe von Verzicht- leistuugeu mit sich, die hier besonders schmerzlich empfunden wurden. Daß die Opfer gebracht werde» mußte» zum Wohle des Ganzen, dessen Schädigung und Schwäche auch wieder die Verkümmerung der Teile zur Folge haben würde, leuchtet dem weiter reichenden Blicke des politisch Gebildeten sofort ein und ist für ihn eine Thatsache, gegen welche kein Zlveifel aufkommen kann. Aber diese politisch Gebildeten machen noch lange keine Mehrheit ans. Genan betrachtet, sind es immer nur verschwindend wenige, die von der Notwendigkeit politischer Opfer eine deutliche Einsicht haben; noch wenigere, die mit voller Hingabe des Herzens Opfer zu bringe» imstande sind. Kein Wunder, wenn die Parteien,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/648>, abgerufen am 19.10.2024.