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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Deutsche Sorgen in (Österreich,

Hohenwart trat zurück und wurde durch Fürst Adolf Auersperg ersetzt, der sich
mit Kollege" umgab, welche der verfassungstreuen Partei Vertrauen einflößten.
Die letztere kam, nachdem sie unter Hohenwart bei den Landtagswahlen unter¬
legen und daraufhin garnicht im Reichsrate erschienen war, durch Neuwahlen
in Böhmen wieder oben auf, und das neue Wahlgesetz von 1873 half ihr weiter
empor. Man sieht, es war ein sehr bewegtes, wechselvolles Leben, welches
die Einführung des Parlamentarismus in Osterreich erzeugt hatte: er gebar
Wahlsysteme auf Wahlsysteme, Parlamente der verschiedensten Arten, er ließ
Ministerien auftauchen und Ministerien untergehen, nur die wichtigste aller
vorliegenden Schwierigkeiten vermochte er nicht zu überwinden, im Gegenteile,
wo er sie nicht ignorirte, vergrößerte er sie.

Wir können hier nicht alle Phasen des manchesterlichen Liberalismus,
welcher der Wegweiser und Leitstern für die Führer der Deutschösterreicher war,
im einzelnen weiter verfolgen. Es genüge, wenn wir sagen, daß die Partei,
welche sich mehr zur Verwirklichung liberaler Theorien und zur Förderung
kapitalistischer Interessen als zur Verteidigung des Deutschtums berufen glaubte,
auch später an diesem Irrtume festhielt. Wie sie das Ministerium Hohenwart
möglich gemacht hatte, so führten ihre Bestrebungen und mehr noch ihre Unter¬
lassungssünden auf nationalem und wirtschaftlichem Gebiete das zweite Mini¬
sterium Taaffe herbei, welches sich bis jetzt behauptet und in den letzten Jahren
verschiedne wichtige Fragen des zweiten Gebietes glücklich gelöst hat, wogegen
es mit der von ihm versuchten Versöhnung der Nationalitäten nicht so erfolg¬
reich gewesen ist. Der Grund hiervon liegt zum großen Teile in der öster¬
reichischen Verfassung, und zwar in der Autonomie, welche sie den einzelnen im
Reichsrate vertretenen Ländern verleiht. Die Bevölkerung derselben kann ihre
besondern Angelegenheiten da, wo sie einer einzigen Nationalität angehört, ohne
Schaden selbst verwalten, wogegen in den Landtagen derer, wo sie sprachlich
gemischt ist, die Mehrheit der Vertreter die Annahme von Maßregeln und Ein¬
richtungen durchsetzt, welche das an Zahl schwächere nationale Element im Lande
zum Vorteile des stärkeren bedrücken und schädigen. Anträge, wie die im
Reichsrate von Wurmbrand und neuerdings von Scharschmid gestellten, können
dem nur zum Teil abhelfen, und der Vorschlag der Deutschen in Böhmen, der
ans eine Art Teilung dieser Provinz in eine tschechische und eine deutsche
Hälfte abzielte, würde zwar, wenn die Majorität des Landtages bewogen werden
könnte, ihn anzunehmen, schreienden Ungerechtigkeiten ein Ziel setzen, aber nur
hier, weshalb er auch in andern Ländern eingebracht und zur Geltung er¬
hoben werden müßte. Indes enthält er den Keim eines Gedankens, der, weiter
ausgesponnen und etwas verändert, zu einer befriedigenden Auseinandersetzung
der Nationalitäten führen könnte, und der, bereits laut geworden, demjenigen
Teile der deutschen Partei, welcher deren bisherige Schwächen und Mißgriffe
erkannt hat und andre Wege einzuschlagen gewillt ist, zur Beherzigung em-


Deutsche Sorgen in (Österreich,

Hohenwart trat zurück und wurde durch Fürst Adolf Auersperg ersetzt, der sich
mit Kollege» umgab, welche der verfassungstreuen Partei Vertrauen einflößten.
Die letztere kam, nachdem sie unter Hohenwart bei den Landtagswahlen unter¬
legen und daraufhin garnicht im Reichsrate erschienen war, durch Neuwahlen
in Böhmen wieder oben auf, und das neue Wahlgesetz von 1873 half ihr weiter
empor. Man sieht, es war ein sehr bewegtes, wechselvolles Leben, welches
die Einführung des Parlamentarismus in Osterreich erzeugt hatte: er gebar
Wahlsysteme auf Wahlsysteme, Parlamente der verschiedensten Arten, er ließ
Ministerien auftauchen und Ministerien untergehen, nur die wichtigste aller
vorliegenden Schwierigkeiten vermochte er nicht zu überwinden, im Gegenteile,
wo er sie nicht ignorirte, vergrößerte er sie.

Wir können hier nicht alle Phasen des manchesterlichen Liberalismus,
welcher der Wegweiser und Leitstern für die Führer der Deutschösterreicher war,
im einzelnen weiter verfolgen. Es genüge, wenn wir sagen, daß die Partei,
welche sich mehr zur Verwirklichung liberaler Theorien und zur Förderung
kapitalistischer Interessen als zur Verteidigung des Deutschtums berufen glaubte,
auch später an diesem Irrtume festhielt. Wie sie das Ministerium Hohenwart
möglich gemacht hatte, so führten ihre Bestrebungen und mehr noch ihre Unter¬
lassungssünden auf nationalem und wirtschaftlichem Gebiete das zweite Mini¬
sterium Taaffe herbei, welches sich bis jetzt behauptet und in den letzten Jahren
verschiedne wichtige Fragen des zweiten Gebietes glücklich gelöst hat, wogegen
es mit der von ihm versuchten Versöhnung der Nationalitäten nicht so erfolg¬
reich gewesen ist. Der Grund hiervon liegt zum großen Teile in der öster¬
reichischen Verfassung, und zwar in der Autonomie, welche sie den einzelnen im
Reichsrate vertretenen Ländern verleiht. Die Bevölkerung derselben kann ihre
besondern Angelegenheiten da, wo sie einer einzigen Nationalität angehört, ohne
Schaden selbst verwalten, wogegen in den Landtagen derer, wo sie sprachlich
gemischt ist, die Mehrheit der Vertreter die Annahme von Maßregeln und Ein¬
richtungen durchsetzt, welche das an Zahl schwächere nationale Element im Lande
zum Vorteile des stärkeren bedrücken und schädigen. Anträge, wie die im
Reichsrate von Wurmbrand und neuerdings von Scharschmid gestellten, können
dem nur zum Teil abhelfen, und der Vorschlag der Deutschen in Böhmen, der
ans eine Art Teilung dieser Provinz in eine tschechische und eine deutsche
Hälfte abzielte, würde zwar, wenn die Majorität des Landtages bewogen werden
könnte, ihn anzunehmen, schreienden Ungerechtigkeiten ein Ziel setzen, aber nur
hier, weshalb er auch in andern Ländern eingebracht und zur Geltung er¬
hoben werden müßte. Indes enthält er den Keim eines Gedankens, der, weiter
ausgesponnen und etwas verändert, zu einer befriedigenden Auseinandersetzung
der Nationalitäten führen könnte, und der, bereits laut geworden, demjenigen
Teile der deutschen Partei, welcher deren bisherige Schwächen und Mißgriffe
erkannt hat und andre Wege einzuschlagen gewillt ist, zur Beherzigung em-


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[0635] Deutsche Sorgen in (Österreich, Hohenwart trat zurück und wurde durch Fürst Adolf Auersperg ersetzt, der sich mit Kollege» umgab, welche der verfassungstreuen Partei Vertrauen einflößten. Die letztere kam, nachdem sie unter Hohenwart bei den Landtagswahlen unter¬ legen und daraufhin garnicht im Reichsrate erschienen war, durch Neuwahlen in Böhmen wieder oben auf, und das neue Wahlgesetz von 1873 half ihr weiter empor. Man sieht, es war ein sehr bewegtes, wechselvolles Leben, welches die Einführung des Parlamentarismus in Osterreich erzeugt hatte: er gebar Wahlsysteme auf Wahlsysteme, Parlamente der verschiedensten Arten, er ließ Ministerien auftauchen und Ministerien untergehen, nur die wichtigste aller vorliegenden Schwierigkeiten vermochte er nicht zu überwinden, im Gegenteile, wo er sie nicht ignorirte, vergrößerte er sie. Wir können hier nicht alle Phasen des manchesterlichen Liberalismus, welcher der Wegweiser und Leitstern für die Führer der Deutschösterreicher war, im einzelnen weiter verfolgen. Es genüge, wenn wir sagen, daß die Partei, welche sich mehr zur Verwirklichung liberaler Theorien und zur Förderung kapitalistischer Interessen als zur Verteidigung des Deutschtums berufen glaubte, auch später an diesem Irrtume festhielt. Wie sie das Ministerium Hohenwart möglich gemacht hatte, so führten ihre Bestrebungen und mehr noch ihre Unter¬ lassungssünden auf nationalem und wirtschaftlichem Gebiete das zweite Mini¬ sterium Taaffe herbei, welches sich bis jetzt behauptet und in den letzten Jahren verschiedne wichtige Fragen des zweiten Gebietes glücklich gelöst hat, wogegen es mit der von ihm versuchten Versöhnung der Nationalitäten nicht so erfolg¬ reich gewesen ist. Der Grund hiervon liegt zum großen Teile in der öster¬ reichischen Verfassung, und zwar in der Autonomie, welche sie den einzelnen im Reichsrate vertretenen Ländern verleiht. Die Bevölkerung derselben kann ihre besondern Angelegenheiten da, wo sie einer einzigen Nationalität angehört, ohne Schaden selbst verwalten, wogegen in den Landtagen derer, wo sie sprachlich gemischt ist, die Mehrheit der Vertreter die Annahme von Maßregeln und Ein¬ richtungen durchsetzt, welche das an Zahl schwächere nationale Element im Lande zum Vorteile des stärkeren bedrücken und schädigen. Anträge, wie die im Reichsrate von Wurmbrand und neuerdings von Scharschmid gestellten, können dem nur zum Teil abhelfen, und der Vorschlag der Deutschen in Böhmen, der ans eine Art Teilung dieser Provinz in eine tschechische und eine deutsche Hälfte abzielte, würde zwar, wenn die Majorität des Landtages bewogen werden könnte, ihn anzunehmen, schreienden Ungerechtigkeiten ein Ziel setzen, aber nur hier, weshalb er auch in andern Ländern eingebracht und zur Geltung er¬ hoben werden müßte. Indes enthält er den Keim eines Gedankens, der, weiter ausgesponnen und etwas verändert, zu einer befriedigenden Auseinandersetzung der Nationalitäten führen könnte, und der, bereits laut geworden, demjenigen Teile der deutschen Partei, welcher deren bisherige Schwächen und Mißgriffe erkannt hat und andre Wege einzuschlagen gewillt ist, zur Beherzigung em-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/635>, abgerufen am 20.10.2024.