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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Zwei Minderer des Reichs.

Volkes und sind sieben Jahrhunderte lang mit Bewußtsein bewahrt worden,
während der letzten dreihundert Jahre vielleicht unbewußt, aber dank den wei¬
sesten Instinkten der englischen Räte. In diesem Sinne muß jeder Katholik
konservativ sein, konservativ in einem weitern, höhern und tiefern Sinne als
der Konservatismus von Klassen, Privilegien oder persönlichen Interessen." Der
Kardinal schließt mit der Weisung an seine Gläubigen, daß sie bei den Parla-
mentswahlen den Kandidaten fragen sollen, ob er die Schule in die Hand der
Kirche geben wolle.

Nur wer sich gegenwärtig hält, daß Gladstone die englische Kirche vor
und nach der Reformation als dieselbe Institution betrachtet, wird seine Schrift
über die vatikanischen Dekrete in dein rechten Lichte lesen. Sie besteht aus
der Verteidigung von vier Sätzen, deren dritter oben angeführt ist. Die andern
lauten: 1. Daß Rom an Stelle seines stolzen Anspruchs, se-nixer e^clein, zu sein,
eine Politik des Zwanges und des Wechsels gesetzt hat; 2. daß es alle ver¬
rosteten Werkzeuge, die man gern außer Gebrauch gekommen dachte, wieder
cmfpolirt und von neuem zur Schau gestellt hat; 4. daß Rom ebenso "den
modernen Geist wie die alte Geschichte vou sich gestoßen hat." Es ist auffallend,
daß der Verfasser nicht, indem er die Worte svinpei- "zg-alsen niederschrieb, an
seinem ganzen Gedaukenwerke irre geworden ist. Freilich ist die Kurie immer
dieselbe; ein so gelehrter Mann sollte sich doch erinnert haben, daß Rom nie
auch nur einen einzigen seiner ungeheuerlichsten Ansprüche aufgegeben, daß es
dieselben immer nur dann und da in Schweigen gehüllt hat, wo die Stimmung
der Laien, des Klerus, der Regierungen, die politische Lage es unratsam machten,
damit hervorzutreten. Und Gladstone hat sich dessen in der That erinnert; das be¬
weist seine entschuldigende Berufung auf Aussagen, welche katholische Prälaten, als
es sich um die Katholikencmauzipation handelte, 1825 vor dem Parlament gethan
haben. Es ist möglich, daß die Zeugen glaubten, was sie gegen die Unfehl¬
barkeit und für die ungelenke Unterthanentreue aussagten; und es ist sehr be¬
greiflich, daß Rom, nachdem in so vielen Ländern die katholische Kirche eben
erst mit Hilfe der Staatsgewalt sich aus den Ruinen des Nevolutionszcitalters
erhoben hatte, damals zu jenen Aussagen schwieg, durch welche die Aussagenden
sich heute nach der Androhung des vatikanischen Konzils um ihre ewige Selig¬
keit bringen würden.

Es ist einmal bemerkt worden, daß in Gladstone zwei Personen steckten,
ein Schriftsteller und ein Parlamentarier, und daß der erstere dem letztern zwar
uweilcn behilflich sei, zuweilen aber störend zwischen die Beine laufe. So ist
es auch wohl in diesem Falle. Weshalb sagt er nur, es könne niemand mehr
Konvertit werden, ohne auf seine Freiheit zu verzichten und seine staatliche
Pflicht der Gnade eines andern preiszugeben? Weshalb fagt er nicht, was die
logische Konsequenz seiner ganzen Auseinandersetzung ist, daß niemand mehr
römisch-katholisch sein könne ohne diese Folgen? Jenes schreibt der Schriftsteller,


Zwei Minderer des Reichs.

Volkes und sind sieben Jahrhunderte lang mit Bewußtsein bewahrt worden,
während der letzten dreihundert Jahre vielleicht unbewußt, aber dank den wei¬
sesten Instinkten der englischen Räte. In diesem Sinne muß jeder Katholik
konservativ sein, konservativ in einem weitern, höhern und tiefern Sinne als
der Konservatismus von Klassen, Privilegien oder persönlichen Interessen." Der
Kardinal schließt mit der Weisung an seine Gläubigen, daß sie bei den Parla-
mentswahlen den Kandidaten fragen sollen, ob er die Schule in die Hand der
Kirche geben wolle.

Nur wer sich gegenwärtig hält, daß Gladstone die englische Kirche vor
und nach der Reformation als dieselbe Institution betrachtet, wird seine Schrift
über die vatikanischen Dekrete in dein rechten Lichte lesen. Sie besteht aus
der Verteidigung von vier Sätzen, deren dritter oben angeführt ist. Die andern
lauten: 1. Daß Rom an Stelle seines stolzen Anspruchs, se-nixer e^clein, zu sein,
eine Politik des Zwanges und des Wechsels gesetzt hat; 2. daß es alle ver¬
rosteten Werkzeuge, die man gern außer Gebrauch gekommen dachte, wieder
cmfpolirt und von neuem zur Schau gestellt hat; 4. daß Rom ebenso „den
modernen Geist wie die alte Geschichte vou sich gestoßen hat." Es ist auffallend,
daß der Verfasser nicht, indem er die Worte svinpei- «zg-alsen niederschrieb, an
seinem ganzen Gedaukenwerke irre geworden ist. Freilich ist die Kurie immer
dieselbe; ein so gelehrter Mann sollte sich doch erinnert haben, daß Rom nie
auch nur einen einzigen seiner ungeheuerlichsten Ansprüche aufgegeben, daß es
dieselben immer nur dann und da in Schweigen gehüllt hat, wo die Stimmung
der Laien, des Klerus, der Regierungen, die politische Lage es unratsam machten,
damit hervorzutreten. Und Gladstone hat sich dessen in der That erinnert; das be¬
weist seine entschuldigende Berufung auf Aussagen, welche katholische Prälaten, als
es sich um die Katholikencmauzipation handelte, 1825 vor dem Parlament gethan
haben. Es ist möglich, daß die Zeugen glaubten, was sie gegen die Unfehl¬
barkeit und für die ungelenke Unterthanentreue aussagten; und es ist sehr be¬
greiflich, daß Rom, nachdem in so vielen Ländern die katholische Kirche eben
erst mit Hilfe der Staatsgewalt sich aus den Ruinen des Nevolutionszcitalters
erhoben hatte, damals zu jenen Aussagen schwieg, durch welche die Aussagenden
sich heute nach der Androhung des vatikanischen Konzils um ihre ewige Selig¬
keit bringen würden.

Es ist einmal bemerkt worden, daß in Gladstone zwei Personen steckten,
ein Schriftsteller und ein Parlamentarier, und daß der erstere dem letztern zwar
uweilcn behilflich sei, zuweilen aber störend zwischen die Beine laufe. So ist
es auch wohl in diesem Falle. Weshalb sagt er nur, es könne niemand mehr
Konvertit werden, ohne auf seine Freiheit zu verzichten und seine staatliche
Pflicht der Gnade eines andern preiszugeben? Weshalb fagt er nicht, was die
logische Konsequenz seiner ganzen Auseinandersetzung ist, daß niemand mehr
römisch-katholisch sein könne ohne diese Folgen? Jenes schreibt der Schriftsteller,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/63>, abgerufen am 27.09.2024.