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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Ungehaltene Reden eines Nichtgewählten.

ihn gewaltsam eindämmen zu wollen, würde die gefährlichsten Folgen für unsre
.Konstitution -- ich meine misrc persönliche geistige und Körperkonstitution --
haben und einen unersetzlichen Verlust für die Welt bedeuten. Das Natürlichste
ist daher, daß jeder Abgeordnete sich seine eigne Zeitung schafft, welche ihm
die Möglichkeit giebt, seine Gedankenlager zu räumen. Auf dem Wege dazu
sind wir bekanntlich, und auch ich beschäftige mich soeben mit der Gründung
eines eignen, ausschließlichen Organes unter dem, wie mir scheint, sehr glücklich
gewählten Titel "Freisinniges Zentralblatt." Aber es ist nicht genug, daß eine
Zeitung geschrieben und gedruckt wird, sie soll auch Leser haben. Daher ist es
eine Beschränkung der Gewerbefreiheit, wenn jemand sich unterfängt, die Offi¬
ziere zum Abonniren der sogenannten konservativen Blätter aufzufordern und
sie, direkt oder indirekt, von dem Halten der unsrigen abzumahnen.

Das ist der eine Punkt. Aber ich beklage mich nicht allein über die Ge¬
schäftsordnung, sondern auch über die Umtriebe, welche darauf ausgehen, das
Offizierkorps gegen die höhere politische Bildung abzuschließen. Das Wohl
der Armee und namentlich der Offiziere liegt uns, wie allbekannt, ganz besonders
am Herzen. Noch sind beide regierungstreu, das läßt sich nicht verheimlichen,
und es wird viel Arbeit kosten, um sie auf das Niveau der spanischen oder der
bulgarischen zu erheben. Nicht einmal das ärmlichste Pronnneiamento hat unsre
Heercsgeschichte bisher auszuweisen! Doch darf man den Mut uicht sinke" lassen.
Ich verkenne nicht, daß die liberale Presse selbst einen Teil der Schuld des
unbefriedigten Zustandes trägt, sie ist zu schüchtern, zu rücksichtsvoll. Einst
war das anders. Mit wahrer Erbauung habe ich in der Sammlung eines
Freundes Blätter aus dem Jahre 1843 gelesen, in welchem die Soldaten nie
anders als "vertierte Söldlinge" genannt werden: wagt heutzutage irgend jemand
eine so offene Sprache, wenn er nicht etwa in London oder Zürich lebt?
Übrigens wollen wir die Armee nicht bloß aufklären, überhaupt bilden, sondern
auch unterhalten. Wenn die Offiziere nur Blätter zu lesen bekommen, in welchen
sie ihre eignen Gesinnungen und Ansichten wiederfinden, so muß das mit der
Zeit sträflich langweilig werden, wogegen' wir ihnen eine anregende Lektüre
bieten. Ich stelle daher ein den Herrn Kriegsminister das Ersuchen, zunächst
allen Offizierskasinos das Abonnement auf das "Freisinnige Zentralblatt" an¬
zubefehlen. Pränumerationspreis vierteljährlich 5 Mark, alle Postanstalten
nehmen Bestellungen an.




Ungehaltene Reden eines Nichtgewählten.

ihn gewaltsam eindämmen zu wollen, würde die gefährlichsten Folgen für unsre
.Konstitution — ich meine misrc persönliche geistige und Körperkonstitution —
haben und einen unersetzlichen Verlust für die Welt bedeuten. Das Natürlichste
ist daher, daß jeder Abgeordnete sich seine eigne Zeitung schafft, welche ihm
die Möglichkeit giebt, seine Gedankenlager zu räumen. Auf dem Wege dazu
sind wir bekanntlich, und auch ich beschäftige mich soeben mit der Gründung
eines eignen, ausschließlichen Organes unter dem, wie mir scheint, sehr glücklich
gewählten Titel „Freisinniges Zentralblatt." Aber es ist nicht genug, daß eine
Zeitung geschrieben und gedruckt wird, sie soll auch Leser haben. Daher ist es
eine Beschränkung der Gewerbefreiheit, wenn jemand sich unterfängt, die Offi¬
ziere zum Abonniren der sogenannten konservativen Blätter aufzufordern und
sie, direkt oder indirekt, von dem Halten der unsrigen abzumahnen.

Das ist der eine Punkt. Aber ich beklage mich nicht allein über die Ge¬
schäftsordnung, sondern auch über die Umtriebe, welche darauf ausgehen, das
Offizierkorps gegen die höhere politische Bildung abzuschließen. Das Wohl
der Armee und namentlich der Offiziere liegt uns, wie allbekannt, ganz besonders
am Herzen. Noch sind beide regierungstreu, das läßt sich nicht verheimlichen,
und es wird viel Arbeit kosten, um sie auf das Niveau der spanischen oder der
bulgarischen zu erheben. Nicht einmal das ärmlichste Pronnneiamento hat unsre
Heercsgeschichte bisher auszuweisen! Doch darf man den Mut uicht sinke» lassen.
Ich verkenne nicht, daß die liberale Presse selbst einen Teil der Schuld des
unbefriedigten Zustandes trägt, sie ist zu schüchtern, zu rücksichtsvoll. Einst
war das anders. Mit wahrer Erbauung habe ich in der Sammlung eines
Freundes Blätter aus dem Jahre 1843 gelesen, in welchem die Soldaten nie
anders als „vertierte Söldlinge" genannt werden: wagt heutzutage irgend jemand
eine so offene Sprache, wenn er nicht etwa in London oder Zürich lebt?
Übrigens wollen wir die Armee nicht bloß aufklären, überhaupt bilden, sondern
auch unterhalten. Wenn die Offiziere nur Blätter zu lesen bekommen, in welchen
sie ihre eignen Gesinnungen und Ansichten wiederfinden, so muß das mit der
Zeit sträflich langweilig werden, wogegen' wir ihnen eine anregende Lektüre
bieten. Ich stelle daher ein den Herrn Kriegsminister das Ersuchen, zunächst
allen Offizierskasinos das Abonnement auf das „Freisinnige Zentralblatt" an¬
zubefehlen. Pränumerationspreis vierteljährlich 5 Mark, alle Postanstalten
nehmen Bestellungen an.




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[0597] Ungehaltene Reden eines Nichtgewählten. ihn gewaltsam eindämmen zu wollen, würde die gefährlichsten Folgen für unsre .Konstitution — ich meine misrc persönliche geistige und Körperkonstitution — haben und einen unersetzlichen Verlust für die Welt bedeuten. Das Natürlichste ist daher, daß jeder Abgeordnete sich seine eigne Zeitung schafft, welche ihm die Möglichkeit giebt, seine Gedankenlager zu räumen. Auf dem Wege dazu sind wir bekanntlich, und auch ich beschäftige mich soeben mit der Gründung eines eignen, ausschließlichen Organes unter dem, wie mir scheint, sehr glücklich gewählten Titel „Freisinniges Zentralblatt." Aber es ist nicht genug, daß eine Zeitung geschrieben und gedruckt wird, sie soll auch Leser haben. Daher ist es eine Beschränkung der Gewerbefreiheit, wenn jemand sich unterfängt, die Offi¬ ziere zum Abonniren der sogenannten konservativen Blätter aufzufordern und sie, direkt oder indirekt, von dem Halten der unsrigen abzumahnen. Das ist der eine Punkt. Aber ich beklage mich nicht allein über die Ge¬ schäftsordnung, sondern auch über die Umtriebe, welche darauf ausgehen, das Offizierkorps gegen die höhere politische Bildung abzuschließen. Das Wohl der Armee und namentlich der Offiziere liegt uns, wie allbekannt, ganz besonders am Herzen. Noch sind beide regierungstreu, das läßt sich nicht verheimlichen, und es wird viel Arbeit kosten, um sie auf das Niveau der spanischen oder der bulgarischen zu erheben. Nicht einmal das ärmlichste Pronnneiamento hat unsre Heercsgeschichte bisher auszuweisen! Doch darf man den Mut uicht sinke» lassen. Ich verkenne nicht, daß die liberale Presse selbst einen Teil der Schuld des unbefriedigten Zustandes trägt, sie ist zu schüchtern, zu rücksichtsvoll. Einst war das anders. Mit wahrer Erbauung habe ich in der Sammlung eines Freundes Blätter aus dem Jahre 1843 gelesen, in welchem die Soldaten nie anders als „vertierte Söldlinge" genannt werden: wagt heutzutage irgend jemand eine so offene Sprache, wenn er nicht etwa in London oder Zürich lebt? Übrigens wollen wir die Armee nicht bloß aufklären, überhaupt bilden, sondern auch unterhalten. Wenn die Offiziere nur Blätter zu lesen bekommen, in welchen sie ihre eignen Gesinnungen und Ansichten wiederfinden, so muß das mit der Zeit sträflich langweilig werden, wogegen' wir ihnen eine anregende Lektüre bieten. Ich stelle daher ein den Herrn Kriegsminister das Ersuchen, zunächst allen Offizierskasinos das Abonnement auf das „Freisinnige Zentralblatt" an¬ zubefehlen. Pränumerationspreis vierteljährlich 5 Mark, alle Postanstalten nehmen Bestellungen an.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/597>, abgerufen am 19.10.2024.