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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Zwei Minderer des Reichs.

Behauptung bestätigt und ergänzt. Gambetta, so heißt es darin, der in den
südlichen Departements eine erhebliche Truppenmacht stehen lassen mußte, um
die Unzufriedenheit niederzuhalten, kam auf den Gedanken, dieselbe mittels Er¬
setzung durch 50 000 Mann spanischer Truppen für den Felddienst frei zu
machen, und sortirte in Madrid. Die Antwort lautete, der Preis für den ver¬
langten Dienst sei die Erwerbung Gibraltars. Anstatt darin eine fast spöttische
Ablehnung zu sehen, versuchte er die englische Regierung zu dem Opfer zu be¬
wegen durch das Anerbieten, das ganze französische Interesse an dem Suez¬
kanal an England abzutreten, unter Entschädigung der französischen Aktionäre
durch die französische Negierung. Daß Gladstone zu diesem Geschäfte geneigt
gewesen ist, sieht ihm ähnlich bei der Gesinnung, welche er gegen Deutschland hegt
und durch die absonderliche Neutralität seiner Behörden bethätigte.

Was daran wahr ist, muß dahingestellt bleiben; kommen wir zu Dingen, die
beglaubigt sind. Nicht in der Hitze einer Erörterung, nicht in dem Rausche
eines Trinkspruches oder einer Wahlrede, sondern in einem Artikel, den er für
das 5sinizt>öoiM tüonwr^ geschrieben, erklärt Gladstone, daß, "abgesehen von
unbedeutenden Einzelheiten, die Größe Englands unabhängig sei von aller und
jeder Art politischer Herrschaft außerhalb des Flüchenraumes des Vereinigten
Königreiches." Dies Zitat wurde ihm vorgehalten, als er im Herbste 1881 in
Leeds es als ein Verdienst seiner Partei gerühmt hatte, gegen den Widerspruch
der Tories den Kolonien dieselbe Selbstregierung, deren England sich erfreue,
verliehen, sie dadurch fest an den Namen und den Thron von England geknüpft
und ihren Beistand in Zeiten der Gefahr gesichert zu haben. Es wurde ihm
nachgewiesen, daß die Verfassungen der Kolonien nicht als Parteisache behandelt,
durch Zusammenwirken der Liberalen und Konservativen zu stände gebracht
worden seien, daß er selbst in der Regel bei den Abstimmungen gefehlt und nur
in einem Falle die Initiative ergriffen habe. Und dieser Vorgang ist sehr merk¬
würdig. Mit der Bill über die Verfassung der australischen Kolonien, welche
Lord John Russell 1860 einbrachte, erklärte Gladstone sich anfangs einver¬
standen. Im Laufe der Beratung verlangte er, daß den Synoden daselbst die
ihnen in England versagte Befugnis beigelegt werde, Beschlüsse mit Gesetzeskraft
zu fassen; und als dieser Antrag abgelehnt ward, schlug er eine völlige Um¬
arbeitung der Bill in dem Sinne vor, daß das Veto der Krone gegen Be¬
schlüsse der Vertretungskörper in Australien abgeschafft werde, drang aber
nicht durch.

An auffallende Gedächtnisfehlcr, an grelle Widersprüche, an plötzliche
Sprünge ist man bei Gladstone gewöhnt. So erklärte er im August 1855
in einer Rede, welche die rimos als die unpatriotischste und unenglischste, die
je in Westminster gehört worden sei, bezeichnete, den Krieg gegen Nußland für
"nnprovozirt" und die Fortsetzung desselben nach dem Scheitern der Wiener
Konferenz für "pure Mordlust," verbreitete sich aber im März des folgenden


Zwei Minderer des Reichs.

Behauptung bestätigt und ergänzt. Gambetta, so heißt es darin, der in den
südlichen Departements eine erhebliche Truppenmacht stehen lassen mußte, um
die Unzufriedenheit niederzuhalten, kam auf den Gedanken, dieselbe mittels Er¬
setzung durch 50 000 Mann spanischer Truppen für den Felddienst frei zu
machen, und sortirte in Madrid. Die Antwort lautete, der Preis für den ver¬
langten Dienst sei die Erwerbung Gibraltars. Anstatt darin eine fast spöttische
Ablehnung zu sehen, versuchte er die englische Regierung zu dem Opfer zu be¬
wegen durch das Anerbieten, das ganze französische Interesse an dem Suez¬
kanal an England abzutreten, unter Entschädigung der französischen Aktionäre
durch die französische Negierung. Daß Gladstone zu diesem Geschäfte geneigt
gewesen ist, sieht ihm ähnlich bei der Gesinnung, welche er gegen Deutschland hegt
und durch die absonderliche Neutralität seiner Behörden bethätigte.

Was daran wahr ist, muß dahingestellt bleiben; kommen wir zu Dingen, die
beglaubigt sind. Nicht in der Hitze einer Erörterung, nicht in dem Rausche
eines Trinkspruches oder einer Wahlrede, sondern in einem Artikel, den er für
das 5sinizt>öoiM tüonwr^ geschrieben, erklärt Gladstone, daß, „abgesehen von
unbedeutenden Einzelheiten, die Größe Englands unabhängig sei von aller und
jeder Art politischer Herrschaft außerhalb des Flüchenraumes des Vereinigten
Königreiches." Dies Zitat wurde ihm vorgehalten, als er im Herbste 1881 in
Leeds es als ein Verdienst seiner Partei gerühmt hatte, gegen den Widerspruch
der Tories den Kolonien dieselbe Selbstregierung, deren England sich erfreue,
verliehen, sie dadurch fest an den Namen und den Thron von England geknüpft
und ihren Beistand in Zeiten der Gefahr gesichert zu haben. Es wurde ihm
nachgewiesen, daß die Verfassungen der Kolonien nicht als Parteisache behandelt,
durch Zusammenwirken der Liberalen und Konservativen zu stände gebracht
worden seien, daß er selbst in der Regel bei den Abstimmungen gefehlt und nur
in einem Falle die Initiative ergriffen habe. Und dieser Vorgang ist sehr merk¬
würdig. Mit der Bill über die Verfassung der australischen Kolonien, welche
Lord John Russell 1860 einbrachte, erklärte Gladstone sich anfangs einver¬
standen. Im Laufe der Beratung verlangte er, daß den Synoden daselbst die
ihnen in England versagte Befugnis beigelegt werde, Beschlüsse mit Gesetzeskraft
zu fassen; und als dieser Antrag abgelehnt ward, schlug er eine völlige Um¬
arbeitung der Bill in dem Sinne vor, daß das Veto der Krone gegen Be¬
schlüsse der Vertretungskörper in Australien abgeschafft werde, drang aber
nicht durch.

An auffallende Gedächtnisfehlcr, an grelle Widersprüche, an plötzliche
Sprünge ist man bei Gladstone gewöhnt. So erklärte er im August 1855
in einer Rede, welche die rimos als die unpatriotischste und unenglischste, die
je in Westminster gehört worden sei, bezeichnete, den Krieg gegen Nußland für
„nnprovozirt" und die Fortsetzung desselben nach dem Scheitern der Wiener
Konferenz für „pure Mordlust," verbreitete sich aber im März des folgenden


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[0058] Zwei Minderer des Reichs. Behauptung bestätigt und ergänzt. Gambetta, so heißt es darin, der in den südlichen Departements eine erhebliche Truppenmacht stehen lassen mußte, um die Unzufriedenheit niederzuhalten, kam auf den Gedanken, dieselbe mittels Er¬ setzung durch 50 000 Mann spanischer Truppen für den Felddienst frei zu machen, und sortirte in Madrid. Die Antwort lautete, der Preis für den ver¬ langten Dienst sei die Erwerbung Gibraltars. Anstatt darin eine fast spöttische Ablehnung zu sehen, versuchte er die englische Regierung zu dem Opfer zu be¬ wegen durch das Anerbieten, das ganze französische Interesse an dem Suez¬ kanal an England abzutreten, unter Entschädigung der französischen Aktionäre durch die französische Negierung. Daß Gladstone zu diesem Geschäfte geneigt gewesen ist, sieht ihm ähnlich bei der Gesinnung, welche er gegen Deutschland hegt und durch die absonderliche Neutralität seiner Behörden bethätigte. Was daran wahr ist, muß dahingestellt bleiben; kommen wir zu Dingen, die beglaubigt sind. Nicht in der Hitze einer Erörterung, nicht in dem Rausche eines Trinkspruches oder einer Wahlrede, sondern in einem Artikel, den er für das 5sinizt>öoiM tüonwr^ geschrieben, erklärt Gladstone, daß, „abgesehen von unbedeutenden Einzelheiten, die Größe Englands unabhängig sei von aller und jeder Art politischer Herrschaft außerhalb des Flüchenraumes des Vereinigten Königreiches." Dies Zitat wurde ihm vorgehalten, als er im Herbste 1881 in Leeds es als ein Verdienst seiner Partei gerühmt hatte, gegen den Widerspruch der Tories den Kolonien dieselbe Selbstregierung, deren England sich erfreue, verliehen, sie dadurch fest an den Namen und den Thron von England geknüpft und ihren Beistand in Zeiten der Gefahr gesichert zu haben. Es wurde ihm nachgewiesen, daß die Verfassungen der Kolonien nicht als Parteisache behandelt, durch Zusammenwirken der Liberalen und Konservativen zu stände gebracht worden seien, daß er selbst in der Regel bei den Abstimmungen gefehlt und nur in einem Falle die Initiative ergriffen habe. Und dieser Vorgang ist sehr merk¬ würdig. Mit der Bill über die Verfassung der australischen Kolonien, welche Lord John Russell 1860 einbrachte, erklärte Gladstone sich anfangs einver¬ standen. Im Laufe der Beratung verlangte er, daß den Synoden daselbst die ihnen in England versagte Befugnis beigelegt werde, Beschlüsse mit Gesetzeskraft zu fassen; und als dieser Antrag abgelehnt ward, schlug er eine völlige Um¬ arbeitung der Bill in dem Sinne vor, daß das Veto der Krone gegen Be¬ schlüsse der Vertretungskörper in Australien abgeschafft werde, drang aber nicht durch. An auffallende Gedächtnisfehlcr, an grelle Widersprüche, an plötzliche Sprünge ist man bei Gladstone gewöhnt. So erklärte er im August 1855 in einer Rede, welche die rimos als die unpatriotischste und unenglischste, die je in Westminster gehört worden sei, bezeichnete, den Krieg gegen Nußland für „nnprovozirt" und die Fortsetzung desselben nach dem Scheitern der Wiener Konferenz für „pure Mordlust," verbreitete sich aber im März des folgenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/58>, abgerufen am 27.09.2024.