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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Zustand der Unsicherheit, welche mich jeden Augenblick mit einer Überraschung
bedroht, mich verhindert, über den nächsten Tag hinaus Dispositionen zu treffen,
meine Kunden ängstlich und zurückhaltend macht. Aber nicht so lautete das
Räsonnement, sondern so: In allen Zweigen ist weit über den Bedarf produzirt
worden, überall haben sich Vorräte angehäuft, für deren Absatz wenig Aussicht
ist, überall giebt es viel mehr Arbeiter, als Arbeit. Da kann nur ein Krieg
helfen, welcher Fabrikate aller Art in großen Verhältnissen verbraucht oder
zerstört, müssigen Händen Beschäftigung und Brot giebt, den Überschuß der
Bevölkerung verringert. Also Krieg, um dein Gewerbe und dem Handel wieder
aufzuhelfen, Krieg, um die Unzufriedenheit abzulenken, Krieg, um Platz zu
schaffen!

So weit wäre also unter der Herrschaft freisinniger Redensarten und frei¬
sinniger Einrichtungen die Verwirrung bereits gediehen, daß man vom Kriege
und nur vom Kriege Rettung hofft in Berufsschichtcu, welche sich -- und zum
Teil mit Recht -- als die eigentlichen Vertreter friedlicher Gesinnung, friedlicher
Entwicklung betrachten, in welchen der alte Aberglaube noch am meisten An¬
hänger zählt, daß der Krieg schon aus der Welt verschwunden sein würde, wenn
nicht die bösen Regierungen, Diplomaten und Soldaten sein Dasein künstlich
fristeten. Die Diplomaten mühen sich rastlos ab, jede Verstimmung im Keime
zu ersticken, jede Verwicklung zu losen, ruhmgekrönte Feldherren predigen nach¬
drücklich, daß auch der glücklichste Krieg ein großes Unglück bleibe, und der
Kaufmann ruft nach Eisen und Blut! Er scheint zu der Einsicht gekommen zu
sein, daß auch Herr Bamberger als leitender Minister kein andres Rezept gegen
den Notstand verschreiben könnte, als den Austausch der unverkäuflichen Waaren
Deutschlands gegen die ebenso unverkäuflichen der andern Länder, wie es mit
den baumwollenen Kappen und Strümpfen des Kaufmanns in der Frankfurter
Posse geschah. Die Freiheit allein thuts nicht mehr, da leider ein jeder von
ihr Gebrauch machen kann, die Produktion muß regulirt werden, und das soll
der Krieg besorgen. Muß man dabei nicht um den durch Mord gemilderten
Despotismus denken? Wahrscheinlich stellen die Kriegslustigen sich vor, daß
der Weltbrand, den sie entzündet sehen möchten, unter allen Umständen vor
ihren Kondoren Halt machen müsse, daß sie nnr "liefen:," ihre Magazine leeren
und dafür ante Zahlung erhalten würden?

Es versteht sich von selbst, daß nicht die Gesamtheit für die Kopflosigkeit
einzelner verantwortlich gemacht werden darf. Aber das, wofür in so wahn¬
witziger Weise Abhilfe gefordert wird, erkennt anch die Mehrzahl der Besonnenen
(im Privatgespräche wenigstens) als vorhanden an: eine alle vernünftigen
Schranken niederreißende Überproduktion und keine Aussicht ans Wiederherstellung
eines gesünderen Zustandes, wenn in der jetzigen Art fvrtgewirtschaftet wird.
Das ist ein wertvolles Zugeständnis, von welchem Akt genommen werden
muß.


Zustand der Unsicherheit, welche mich jeden Augenblick mit einer Überraschung
bedroht, mich verhindert, über den nächsten Tag hinaus Dispositionen zu treffen,
meine Kunden ängstlich und zurückhaltend macht. Aber nicht so lautete das
Räsonnement, sondern so: In allen Zweigen ist weit über den Bedarf produzirt
worden, überall haben sich Vorräte angehäuft, für deren Absatz wenig Aussicht
ist, überall giebt es viel mehr Arbeiter, als Arbeit. Da kann nur ein Krieg
helfen, welcher Fabrikate aller Art in großen Verhältnissen verbraucht oder
zerstört, müssigen Händen Beschäftigung und Brot giebt, den Überschuß der
Bevölkerung verringert. Also Krieg, um dein Gewerbe und dem Handel wieder
aufzuhelfen, Krieg, um die Unzufriedenheit abzulenken, Krieg, um Platz zu
schaffen!

So weit wäre also unter der Herrschaft freisinniger Redensarten und frei¬
sinniger Einrichtungen die Verwirrung bereits gediehen, daß man vom Kriege
und nur vom Kriege Rettung hofft in Berufsschichtcu, welche sich — und zum
Teil mit Recht — als die eigentlichen Vertreter friedlicher Gesinnung, friedlicher
Entwicklung betrachten, in welchen der alte Aberglaube noch am meisten An¬
hänger zählt, daß der Krieg schon aus der Welt verschwunden sein würde, wenn
nicht die bösen Regierungen, Diplomaten und Soldaten sein Dasein künstlich
fristeten. Die Diplomaten mühen sich rastlos ab, jede Verstimmung im Keime
zu ersticken, jede Verwicklung zu losen, ruhmgekrönte Feldherren predigen nach¬
drücklich, daß auch der glücklichste Krieg ein großes Unglück bleibe, und der
Kaufmann ruft nach Eisen und Blut! Er scheint zu der Einsicht gekommen zu
sein, daß auch Herr Bamberger als leitender Minister kein andres Rezept gegen
den Notstand verschreiben könnte, als den Austausch der unverkäuflichen Waaren
Deutschlands gegen die ebenso unverkäuflichen der andern Länder, wie es mit
den baumwollenen Kappen und Strümpfen des Kaufmanns in der Frankfurter
Posse geschah. Die Freiheit allein thuts nicht mehr, da leider ein jeder von
ihr Gebrauch machen kann, die Produktion muß regulirt werden, und das soll
der Krieg besorgen. Muß man dabei nicht um den durch Mord gemilderten
Despotismus denken? Wahrscheinlich stellen die Kriegslustigen sich vor, daß
der Weltbrand, den sie entzündet sehen möchten, unter allen Umständen vor
ihren Kondoren Halt machen müsse, daß sie nnr „liefen:," ihre Magazine leeren
und dafür ante Zahlung erhalten würden?

Es versteht sich von selbst, daß nicht die Gesamtheit für die Kopflosigkeit
einzelner verantwortlich gemacht werden darf. Aber das, wofür in so wahn¬
witziger Weise Abhilfe gefordert wird, erkennt anch die Mehrzahl der Besonnenen
(im Privatgespräche wenigstens) als vorhanden an: eine alle vernünftigen
Schranken niederreißende Überproduktion und keine Aussicht ans Wiederherstellung
eines gesünderen Zustandes, wenn in der jetzigen Art fvrtgewirtschaftet wird.
Das ist ein wertvolles Zugeständnis, von welchem Akt genommen werden
muß.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/570>, abgerufen am 27.09.2024.