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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Die Agitation für die größere Freiheit der evangelischen Airche in Preußen.

durch ihr eignes Gewicht wirken, was sie wirken. Unsre Sorge braucht es nicht
zu sein. Um aber mit etwas zu schließen, was die Hoffnung der evangelisch
Gesinnten befestigen und der Meinung begegnen kann, als wäre die Hammersteinsche
Agitation uach "größerer" Freiheit auf dem Wege, alle widerstandslos zu er¬
greifen, nehmen wir die Gelegenheit wahr, auf ein Votum eines so bedeutenden
Mannes wie des Kousistorialpräsidenten Dr. O. Mejer hinzuweisen. Er ist Jurist
und Kircheurechtslehrer, hat besonders die Propaganda der römischen Kirche
verfolgt und die Naturgeschichte des Zentrums anschaulich bearbeitet. Er keunt
von allen Seiten den Unterschied der römischen und der evangelischen Kirche.
Ein Wort von ihm gilt jedem Kenner mehr, als alle Parlamentsreden und
Anträge von Hcnmnersteiu und seinen Freunden in dieser Frage. Mejer hat
nun im Novemberheft der "Preußischen Jahrbücher" den Gegenstand auf¬
genommen. Wir können nichts besseres thun, als -- nach einem uns vor¬
liegenden Zeitungsauszug -- die Grundgedanken seiner Ausführungen hier
wiedergeben. Mejer legt der Staatsregierung wie dem Landtage ans Herz,
den Antrag Hammersteins rundweg abzulehnen. Was er vor achtzehn Jahren
in seinem Lehrbuch des Kirchenrechts für richtig erachtete, das hält er uoch jetzt
fest. Andre Mittel als Wort und Sakrament zur Arbeit hat die protestantische
Kirche nicht. Verfassungsformen sind keineswegs gleichgiltig, aber sie sind heute
noch eben so untergeordnet, wie sie der erleuchtete Blick unsrer Reformatoren
gefunden hat. Vergleichen wir uns deshalb niemals mit der katholischen Kirche!
Sie hat zur Beherrschung ihrer Angehörigen Mittel, die wir nicht begehren
sollen, weil sie schriftwidrig sind. Sie sind durch dieselbe" eine politische
Macht, mit der die Staatsregierung als mit einer solchen zu rechnen hat. Wir
unserseits dürfen eine politische niemals sein wollen, und zu eiuer Macht müssen
wir uns erst wieder sammeln. Eben jetzt werden wir zu diesem Sammeln durch
den geschlossenen Augriff, dessen wir von der katholischen Kirche uns zu ver¬
sehen haben, aufs ernsteste gemahnt. Sie hat nach ihrem Glauben, daß keine
Ketzerei länger als etwa dreihundert Jahre lebe, schon lange von einer Zer¬
setzung des Protestantismus gesprochen. Sie hat in neuerer Zeit den Erfolg
zu verzeichnen gehabt, daß ihr gegenüber im preußischen Landtage die protestantische
Regierung des Staates von der protestantischen Majorität seiner Abgeordneten
nicht unterstützt worden ist, weil zu viele vou ihnen durch andre Interessen mehr
bestimmt wurden, als durch die ihres Bekenntnisses. Sollen wir nun, fragt
Mejer, statt gegen sie zusammenzuhalte", ihr die Hilfe entgegenbringen, daß
wir, so viel die Kirchenverfassung betrifft, in kleinere Heerhaufen auseinander
treten, damit sie jeden einzeln angreifen und überwältigen kann? Gewiß muß
ihr das erwünscht sein, und der Hammersteinsche Antrag wird daher vermutlich
auf Unterstützung des Zentrums rechnen dürfen. Aber ernstliche Streiter für
evangelisches Bekenntnis sollen eben deswegen nicht den Kleinmut haben, ihn
zu unterstützen.




Die Agitation für die größere Freiheit der evangelischen Airche in Preußen.

durch ihr eignes Gewicht wirken, was sie wirken. Unsre Sorge braucht es nicht
zu sein. Um aber mit etwas zu schließen, was die Hoffnung der evangelisch
Gesinnten befestigen und der Meinung begegnen kann, als wäre die Hammersteinsche
Agitation uach „größerer" Freiheit auf dem Wege, alle widerstandslos zu er¬
greifen, nehmen wir die Gelegenheit wahr, auf ein Votum eines so bedeutenden
Mannes wie des Kousistorialpräsidenten Dr. O. Mejer hinzuweisen. Er ist Jurist
und Kircheurechtslehrer, hat besonders die Propaganda der römischen Kirche
verfolgt und die Naturgeschichte des Zentrums anschaulich bearbeitet. Er keunt
von allen Seiten den Unterschied der römischen und der evangelischen Kirche.
Ein Wort von ihm gilt jedem Kenner mehr, als alle Parlamentsreden und
Anträge von Hcnmnersteiu und seinen Freunden in dieser Frage. Mejer hat
nun im Novemberheft der „Preußischen Jahrbücher" den Gegenstand auf¬
genommen. Wir können nichts besseres thun, als — nach einem uns vor¬
liegenden Zeitungsauszug — die Grundgedanken seiner Ausführungen hier
wiedergeben. Mejer legt der Staatsregierung wie dem Landtage ans Herz,
den Antrag Hammersteins rundweg abzulehnen. Was er vor achtzehn Jahren
in seinem Lehrbuch des Kirchenrechts für richtig erachtete, das hält er uoch jetzt
fest. Andre Mittel als Wort und Sakrament zur Arbeit hat die protestantische
Kirche nicht. Verfassungsformen sind keineswegs gleichgiltig, aber sie sind heute
noch eben so untergeordnet, wie sie der erleuchtete Blick unsrer Reformatoren
gefunden hat. Vergleichen wir uns deshalb niemals mit der katholischen Kirche!
Sie hat zur Beherrschung ihrer Angehörigen Mittel, die wir nicht begehren
sollen, weil sie schriftwidrig sind. Sie sind durch dieselbe» eine politische
Macht, mit der die Staatsregierung als mit einer solchen zu rechnen hat. Wir
unserseits dürfen eine politische niemals sein wollen, und zu eiuer Macht müssen
wir uns erst wieder sammeln. Eben jetzt werden wir zu diesem Sammeln durch
den geschlossenen Augriff, dessen wir von der katholischen Kirche uns zu ver¬
sehen haben, aufs ernsteste gemahnt. Sie hat nach ihrem Glauben, daß keine
Ketzerei länger als etwa dreihundert Jahre lebe, schon lange von einer Zer¬
setzung des Protestantismus gesprochen. Sie hat in neuerer Zeit den Erfolg
zu verzeichnen gehabt, daß ihr gegenüber im preußischen Landtage die protestantische
Regierung des Staates von der protestantischen Majorität seiner Abgeordneten
nicht unterstützt worden ist, weil zu viele vou ihnen durch andre Interessen mehr
bestimmt wurden, als durch die ihres Bekenntnisses. Sollen wir nun, fragt
Mejer, statt gegen sie zusammenzuhalte», ihr die Hilfe entgegenbringen, daß
wir, so viel die Kirchenverfassung betrifft, in kleinere Heerhaufen auseinander
treten, damit sie jeden einzeln angreifen und überwältigen kann? Gewiß muß
ihr das erwünscht sein, und der Hammersteinsche Antrag wird daher vermutlich
auf Unterstützung des Zentrums rechnen dürfen. Aber ernstliche Streiter für
evangelisches Bekenntnis sollen eben deswegen nicht den Kleinmut haben, ihn
zu unterstützen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/531>, abgerufen am 15.01.2025.