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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Deutsche Sorgen in (Österreich.

feiten ihrer Stammesgenossen überhaupt und zunächst Vonseiten ihrer Ver¬
wandten im nordböhmischen Teile des Sprachengürtels auf die Dauer nicht
gegen die Gewalt des auf sie eindringenden tschechischen Elements behaupten
können. Sehr erfreulich ist es daher, daß mit derartigen, Beistande begonnen
worden ist, und daß mehrere Städte des nordböhmische" Landes - wir nennen
nur Gablonz -- in einer Art vormundschaftlicher Fürsorge für einzelne Ort¬
schaften und Kreise der hier betrachteten Gruppe recht Tüchtiges und Anerkennens¬
wertes geleistet haben. Wir werfen, hieran anknüpfend, einen Blick auf die in
der Diaspora lebenden, rings vom " Stockböhmentum" umgebenen Deutschen,
und greifen ans ihrer Mitte ein Beispiel heraus, welches die Gefahren zeigt,
welche allen diesen Gemeinde" drohen und vielen bereits halb oder ganz den Unter¬
gang im Slaventume gebracht haben. Wir meinen die Kolonisten aus dem preu¬
ßischen Schlesien, welche von Josef II. auf dem ehemaligen Kammergute Pardubitz
angesiedelt wurden. Ihr Volkstum ist in den meisten ihrer elf Dörfer tief ver¬
fallen, und mir zwei der letzteren, Sehndorf und Waska, bewahren noch das Be¬
wußtsein, zur deutschen Nation zu gehören. Die übrigen haben tschechische
Namen angenommen und bedienen sich größtenteils der tschechischen Sprache.
Auch die beiden deutschgebliebenen werden wahrscheinlich nicht lange mehr im^
stände sein, sich des Absterbens im nationalen Sinne zu erwehren. Das fast
ganz slawische Pardnbitz, wo vor fünf Jahren die deutsche Volksschule, die seit
langer Zeit bestanden hatte, dem Eroberuugstriebe der Tschechen erlag, wirkt
durch wirtschaftliche und soziale Einflüsse so mächtig auf diese meist armen Bauern,
daß sie über kurz oder lang erliegen müssen. Die Versuche des deutschen Schul¬
vereins, diesen Gang der Dinge wenigstens zum Stillstand zu bringen, wurden
von den Angreifern mit Erbitterung befehdet. Ein wahrer Sturm erhob sich,
als man daran ging, deutsche Soldatenkinder in Josefstadt und Königgrätz
und die Söhne und Töchter deutscher Bauern in der Umgegend von Königin-
Hof, die schon als zum Tschechentum gehörig angesehen wurden, für die Natio¬
nalität ihrer Eltern zu reklamiren. Auch die Deutschen in Prag und dessen
Nachbarschaft hatten es in den letzten Jahrzehnten schwer zu empfinden, daß
sie zu dieser Diaspora zählen und unter übelgesinnten, ihre Majorität rück¬
sichtslos benutzenden Mitbürger" leben. Von der Gemeindevertretung aus¬
geschlossen und ihres letzten Neichsratsmandats verlustig gegangen, haben sie
trotz ihrer ruhmvollen Überlieferungen, trotz ihrer Intelligenz und trotz der
Höhe ihrer Steuerleistungen im offiziellen Prag keinen Platz mehr, und über
die Schulverhältnisse der Stadt enthielt der Bericht, den das statistsche Bureau
derselben 1884 veröffentlichte, sehr unerfreuliche Aufschlüsse. 22 öffentliche
Schulen mit 173 Klassen unterrichteten in tschechischer Sprache 9363 Schüler,
und nur 5 solche Schulen mit 64 Klassen und 4027 Schülern unterrichteten
deutsch. Von 23 243 Stück Lehrmitteln kamen 21 863 auf die tschechischen
Anstalten und nur 1339 auf die deutschen u. s. w. Nicht zu verwundern ist


Deutsche Sorgen in (Österreich.

feiten ihrer Stammesgenossen überhaupt und zunächst Vonseiten ihrer Ver¬
wandten im nordböhmischen Teile des Sprachengürtels auf die Dauer nicht
gegen die Gewalt des auf sie eindringenden tschechischen Elements behaupten
können. Sehr erfreulich ist es daher, daß mit derartigen, Beistande begonnen
worden ist, und daß mehrere Städte des nordböhmische» Landes - wir nennen
nur Gablonz — in einer Art vormundschaftlicher Fürsorge für einzelne Ort¬
schaften und Kreise der hier betrachteten Gruppe recht Tüchtiges und Anerkennens¬
wertes geleistet haben. Wir werfen, hieran anknüpfend, einen Blick auf die in
der Diaspora lebenden, rings vom „ Stockböhmentum" umgebenen Deutschen,
und greifen ans ihrer Mitte ein Beispiel heraus, welches die Gefahren zeigt,
welche allen diesen Gemeinde» drohen und vielen bereits halb oder ganz den Unter¬
gang im Slaventume gebracht haben. Wir meinen die Kolonisten aus dem preu¬
ßischen Schlesien, welche von Josef II. auf dem ehemaligen Kammergute Pardubitz
angesiedelt wurden. Ihr Volkstum ist in den meisten ihrer elf Dörfer tief ver¬
fallen, und mir zwei der letzteren, Sehndorf und Waska, bewahren noch das Be¬
wußtsein, zur deutschen Nation zu gehören. Die übrigen haben tschechische
Namen angenommen und bedienen sich größtenteils der tschechischen Sprache.
Auch die beiden deutschgebliebenen werden wahrscheinlich nicht lange mehr im^
stände sein, sich des Absterbens im nationalen Sinne zu erwehren. Das fast
ganz slawische Pardnbitz, wo vor fünf Jahren die deutsche Volksschule, die seit
langer Zeit bestanden hatte, dem Eroberuugstriebe der Tschechen erlag, wirkt
durch wirtschaftliche und soziale Einflüsse so mächtig auf diese meist armen Bauern,
daß sie über kurz oder lang erliegen müssen. Die Versuche des deutschen Schul¬
vereins, diesen Gang der Dinge wenigstens zum Stillstand zu bringen, wurden
von den Angreifern mit Erbitterung befehdet. Ein wahrer Sturm erhob sich,
als man daran ging, deutsche Soldatenkinder in Josefstadt und Königgrätz
und die Söhne und Töchter deutscher Bauern in der Umgegend von Königin-
Hof, die schon als zum Tschechentum gehörig angesehen wurden, für die Natio¬
nalität ihrer Eltern zu reklamiren. Auch die Deutschen in Prag und dessen
Nachbarschaft hatten es in den letzten Jahrzehnten schwer zu empfinden, daß
sie zu dieser Diaspora zählen und unter übelgesinnten, ihre Majorität rück¬
sichtslos benutzenden Mitbürger» leben. Von der Gemeindevertretung aus¬
geschlossen und ihres letzten Neichsratsmandats verlustig gegangen, haben sie
trotz ihrer ruhmvollen Überlieferungen, trotz ihrer Intelligenz und trotz der
Höhe ihrer Steuerleistungen im offiziellen Prag keinen Platz mehr, und über
die Schulverhältnisse der Stadt enthielt der Bericht, den das statistsche Bureau
derselben 1884 veröffentlichte, sehr unerfreuliche Aufschlüsse. 22 öffentliche
Schulen mit 173 Klassen unterrichteten in tschechischer Sprache 9363 Schüler,
und nur 5 solche Schulen mit 64 Klassen und 4027 Schülern unterrichteten
deutsch. Von 23 243 Stück Lehrmitteln kamen 21 863 auf die tschechischen
Anstalten und nur 1339 auf die deutschen u. s. w. Nicht zu verwundern ist


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[0519] Deutsche Sorgen in (Österreich. feiten ihrer Stammesgenossen überhaupt und zunächst Vonseiten ihrer Ver¬ wandten im nordböhmischen Teile des Sprachengürtels auf die Dauer nicht gegen die Gewalt des auf sie eindringenden tschechischen Elements behaupten können. Sehr erfreulich ist es daher, daß mit derartigen, Beistande begonnen worden ist, und daß mehrere Städte des nordböhmische» Landes - wir nennen nur Gablonz — in einer Art vormundschaftlicher Fürsorge für einzelne Ort¬ schaften und Kreise der hier betrachteten Gruppe recht Tüchtiges und Anerkennens¬ wertes geleistet haben. Wir werfen, hieran anknüpfend, einen Blick auf die in der Diaspora lebenden, rings vom „ Stockböhmentum" umgebenen Deutschen, und greifen ans ihrer Mitte ein Beispiel heraus, welches die Gefahren zeigt, welche allen diesen Gemeinde» drohen und vielen bereits halb oder ganz den Unter¬ gang im Slaventume gebracht haben. Wir meinen die Kolonisten aus dem preu¬ ßischen Schlesien, welche von Josef II. auf dem ehemaligen Kammergute Pardubitz angesiedelt wurden. Ihr Volkstum ist in den meisten ihrer elf Dörfer tief ver¬ fallen, und mir zwei der letzteren, Sehndorf und Waska, bewahren noch das Be¬ wußtsein, zur deutschen Nation zu gehören. Die übrigen haben tschechische Namen angenommen und bedienen sich größtenteils der tschechischen Sprache. Auch die beiden deutschgebliebenen werden wahrscheinlich nicht lange mehr im^ stände sein, sich des Absterbens im nationalen Sinne zu erwehren. Das fast ganz slawische Pardnbitz, wo vor fünf Jahren die deutsche Volksschule, die seit langer Zeit bestanden hatte, dem Eroberuugstriebe der Tschechen erlag, wirkt durch wirtschaftliche und soziale Einflüsse so mächtig auf diese meist armen Bauern, daß sie über kurz oder lang erliegen müssen. Die Versuche des deutschen Schul¬ vereins, diesen Gang der Dinge wenigstens zum Stillstand zu bringen, wurden von den Angreifern mit Erbitterung befehdet. Ein wahrer Sturm erhob sich, als man daran ging, deutsche Soldatenkinder in Josefstadt und Königgrätz und die Söhne und Töchter deutscher Bauern in der Umgegend von Königin- Hof, die schon als zum Tschechentum gehörig angesehen wurden, für die Natio¬ nalität ihrer Eltern zu reklamiren. Auch die Deutschen in Prag und dessen Nachbarschaft hatten es in den letzten Jahrzehnten schwer zu empfinden, daß sie zu dieser Diaspora zählen und unter übelgesinnten, ihre Majorität rück¬ sichtslos benutzenden Mitbürger» leben. Von der Gemeindevertretung aus¬ geschlossen und ihres letzten Neichsratsmandats verlustig gegangen, haben sie trotz ihrer ruhmvollen Überlieferungen, trotz ihrer Intelligenz und trotz der Höhe ihrer Steuerleistungen im offiziellen Prag keinen Platz mehr, und über die Schulverhältnisse der Stadt enthielt der Bericht, den das statistsche Bureau derselben 1884 veröffentlichte, sehr unerfreuliche Aufschlüsse. 22 öffentliche Schulen mit 173 Klassen unterrichteten in tschechischer Sprache 9363 Schüler, und nur 5 solche Schulen mit 64 Klassen und 4027 Schülern unterrichteten deutsch. Von 23 243 Stück Lehrmitteln kamen 21 863 auf die tschechischen Anstalten und nur 1339 auf die deutschen u. s. w. Nicht zu verwundern ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/519>, abgerufen am 19.10.2024.