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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Deutsche Sorgen in Österreich.

gebirge und den Bergen der Lausitz sich bis zum Jsergebirge hinzieht und fast
130 Ouadratmeilen umfaßt, endlich eine östliche, welche, in mehrere sprachliche
Halbinseln und Inseln zerfallend, zunächst ans und an dem Riesengebirge, dann
am Glatzer Kessel hinläuft und sich bis nach Mähren und Niederösterreich er¬
streckt, und deren Areal im ganzen eine Ausdehnung von ungefähr 64 Quadrat¬
meilen hat. Die zweite Gruppe ist von der Slawisiruug am menigstcn bedroht,
es wohnen hier unter fast anderthalb Millionen Deutschen, die überdies großen-
seils wohlhabend und selbst in ihren bäuerlichen Bestandteilen intelligent und
für die Gefahr geweckt sind, nicht viel über 45 000 Tschechen, meist eingewan-
derte Arbeiter. Achtundzwanzig Bezirlshauptmannschaftcn können als reindeutsch
bezeichnet werden, und in dreiundvierzig Gerichtsbezirken schwankt der Anteil
der Slawen an der Gesnmtbevölkernug zwischen Null und einem Prozent.
Zwar wird die tschechische Propaganda in einigen Gegenden mit aller möglichen
Energie und Rücksichtslosigkeit betrieben, zwar fühlt man ihre Erfolge in und
um Pilsen, Nnrschau, Mauetin und in der Watzlawer Nachbarschaft bereits
in bedenklichem Grade, zwar sind selbst deutsche Gemeinwesen wie Brüx, Dux,
Komotau und Reichenberg gezwungen worden, die für die Kinder der tschechischen
Einwanderer gegründeten Schulen mit städtischen Mitteln zu unterstützen. Aber
anderseits äußert sich hier das zähe Wesen der mitteldeutschen Bevölkerung
(die Nordböhmeu sind ihrer Mundart nach Franken, Obersachsen und Schlesier)
als eine sehr wirksame Eigenschaft bei der Bewahrung ihrer nationalen Eigenart,
und ihr reger Verkehr mit den baierischen, sächsischen und preußischen Nachbarn
erhält das Gefühl der Zugehörigkeit zu den Stammesgenossen und den Glauben
an die Fortdauer dieses Zusammenhanges weit lebendiger als anderwärts, sodaß
es nur am Südrande dieser Gruppe der Aufmunterung zu bedürfen scheint.
Weniger erfreulich ist, was wir von den Dentschböhmen venerischer Abkunft zu
melden haben, welche am Böhmerwalde und dessen Vorbergen wohnen. Sie
sind verhältnismäßig arm und vielfach abhängig von der Gunst deutschgeborner,
aber deutschseiudlicher Großgrundbesitzer. Selbst weniger geweckt nud regsam
und von ihren Nachbarn in Süddeutschland und Oberösterreich kaum unterstützt,
zeigten sie sich bisher nicht so widerstandsfähig als die Nordböhmcn, wenn es
galt, das Tschechentnin, das sich hier, kräftig durch die Schmarzcnbergschen Feudal-
herren und ihre für solche Arbeit wohlgeschulten Beamten unterstützt, auszubreiten
strebte, entschlossen abzuwehren. Mächtig drängt der Slawe vom flache" Osten
her die Flußthäler hinauf und hat sich bereits ansehnlicher Erfolge zu rühmen.
Ortschaften wie Kaplitz, Kruman, Prachatitz, Winterberg und Bergreichenstein
sind mehr oder minder mit Überflutung dnrch das slawische Element bedroht,
das sich in ihnen bereits Bürgerrechte erworben hat und sich anschickt, das Regi¬
ment an sich zu reißen. Der deutsche Böhmerwaldbnnd, der sich zur Förderung
der wirtschaftlichen und nationalen Interessen dieser Landstriche gebildet hat,
sieht eine schwierige Aufgabe vor sich, zumal da sich ihm ein tschechischer gegen-


Deutsche Sorgen in Österreich.

gebirge und den Bergen der Lausitz sich bis zum Jsergebirge hinzieht und fast
130 Ouadratmeilen umfaßt, endlich eine östliche, welche, in mehrere sprachliche
Halbinseln und Inseln zerfallend, zunächst ans und an dem Riesengebirge, dann
am Glatzer Kessel hinläuft und sich bis nach Mähren und Niederösterreich er¬
streckt, und deren Areal im ganzen eine Ausdehnung von ungefähr 64 Quadrat¬
meilen hat. Die zweite Gruppe ist von der Slawisiruug am menigstcn bedroht,
es wohnen hier unter fast anderthalb Millionen Deutschen, die überdies großen-
seils wohlhabend und selbst in ihren bäuerlichen Bestandteilen intelligent und
für die Gefahr geweckt sind, nicht viel über 45 000 Tschechen, meist eingewan-
derte Arbeiter. Achtundzwanzig Bezirlshauptmannschaftcn können als reindeutsch
bezeichnet werden, und in dreiundvierzig Gerichtsbezirken schwankt der Anteil
der Slawen an der Gesnmtbevölkernug zwischen Null und einem Prozent.
Zwar wird die tschechische Propaganda in einigen Gegenden mit aller möglichen
Energie und Rücksichtslosigkeit betrieben, zwar fühlt man ihre Erfolge in und
um Pilsen, Nnrschau, Mauetin und in der Watzlawer Nachbarschaft bereits
in bedenklichem Grade, zwar sind selbst deutsche Gemeinwesen wie Brüx, Dux,
Komotau und Reichenberg gezwungen worden, die für die Kinder der tschechischen
Einwanderer gegründeten Schulen mit städtischen Mitteln zu unterstützen. Aber
anderseits äußert sich hier das zähe Wesen der mitteldeutschen Bevölkerung
(die Nordböhmeu sind ihrer Mundart nach Franken, Obersachsen und Schlesier)
als eine sehr wirksame Eigenschaft bei der Bewahrung ihrer nationalen Eigenart,
und ihr reger Verkehr mit den baierischen, sächsischen und preußischen Nachbarn
erhält das Gefühl der Zugehörigkeit zu den Stammesgenossen und den Glauben
an die Fortdauer dieses Zusammenhanges weit lebendiger als anderwärts, sodaß
es nur am Südrande dieser Gruppe der Aufmunterung zu bedürfen scheint.
Weniger erfreulich ist, was wir von den Dentschböhmen venerischer Abkunft zu
melden haben, welche am Böhmerwalde und dessen Vorbergen wohnen. Sie
sind verhältnismäßig arm und vielfach abhängig von der Gunst deutschgeborner,
aber deutschseiudlicher Großgrundbesitzer. Selbst weniger geweckt nud regsam
und von ihren Nachbarn in Süddeutschland und Oberösterreich kaum unterstützt,
zeigten sie sich bisher nicht so widerstandsfähig als die Nordböhmcn, wenn es
galt, das Tschechentnin, das sich hier, kräftig durch die Schmarzcnbergschen Feudal-
herren und ihre für solche Arbeit wohlgeschulten Beamten unterstützt, auszubreiten
strebte, entschlossen abzuwehren. Mächtig drängt der Slawe vom flache» Osten
her die Flußthäler hinauf und hat sich bereits ansehnlicher Erfolge zu rühmen.
Ortschaften wie Kaplitz, Kruman, Prachatitz, Winterberg und Bergreichenstein
sind mehr oder minder mit Überflutung dnrch das slawische Element bedroht,
das sich in ihnen bereits Bürgerrechte erworben hat und sich anschickt, das Regi¬
ment an sich zu reißen. Der deutsche Böhmerwaldbnnd, der sich zur Förderung
der wirtschaftlichen und nationalen Interessen dieser Landstriche gebildet hat,
sieht eine schwierige Aufgabe vor sich, zumal da sich ihm ein tschechischer gegen-


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[0517] Deutsche Sorgen in Österreich. gebirge und den Bergen der Lausitz sich bis zum Jsergebirge hinzieht und fast 130 Ouadratmeilen umfaßt, endlich eine östliche, welche, in mehrere sprachliche Halbinseln und Inseln zerfallend, zunächst ans und an dem Riesengebirge, dann am Glatzer Kessel hinläuft und sich bis nach Mähren und Niederösterreich er¬ streckt, und deren Areal im ganzen eine Ausdehnung von ungefähr 64 Quadrat¬ meilen hat. Die zweite Gruppe ist von der Slawisiruug am menigstcn bedroht, es wohnen hier unter fast anderthalb Millionen Deutschen, die überdies großen- seils wohlhabend und selbst in ihren bäuerlichen Bestandteilen intelligent und für die Gefahr geweckt sind, nicht viel über 45 000 Tschechen, meist eingewan- derte Arbeiter. Achtundzwanzig Bezirlshauptmannschaftcn können als reindeutsch bezeichnet werden, und in dreiundvierzig Gerichtsbezirken schwankt der Anteil der Slawen an der Gesnmtbevölkernug zwischen Null und einem Prozent. Zwar wird die tschechische Propaganda in einigen Gegenden mit aller möglichen Energie und Rücksichtslosigkeit betrieben, zwar fühlt man ihre Erfolge in und um Pilsen, Nnrschau, Mauetin und in der Watzlawer Nachbarschaft bereits in bedenklichem Grade, zwar sind selbst deutsche Gemeinwesen wie Brüx, Dux, Komotau und Reichenberg gezwungen worden, die für die Kinder der tschechischen Einwanderer gegründeten Schulen mit städtischen Mitteln zu unterstützen. Aber anderseits äußert sich hier das zähe Wesen der mitteldeutschen Bevölkerung (die Nordböhmeu sind ihrer Mundart nach Franken, Obersachsen und Schlesier) als eine sehr wirksame Eigenschaft bei der Bewahrung ihrer nationalen Eigenart, und ihr reger Verkehr mit den baierischen, sächsischen und preußischen Nachbarn erhält das Gefühl der Zugehörigkeit zu den Stammesgenossen und den Glauben an die Fortdauer dieses Zusammenhanges weit lebendiger als anderwärts, sodaß es nur am Südrande dieser Gruppe der Aufmunterung zu bedürfen scheint. Weniger erfreulich ist, was wir von den Dentschböhmen venerischer Abkunft zu melden haben, welche am Böhmerwalde und dessen Vorbergen wohnen. Sie sind verhältnismäßig arm und vielfach abhängig von der Gunst deutschgeborner, aber deutschseiudlicher Großgrundbesitzer. Selbst weniger geweckt nud regsam und von ihren Nachbarn in Süddeutschland und Oberösterreich kaum unterstützt, zeigten sie sich bisher nicht so widerstandsfähig als die Nordböhmcn, wenn es galt, das Tschechentnin, das sich hier, kräftig durch die Schmarzcnbergschen Feudal- herren und ihre für solche Arbeit wohlgeschulten Beamten unterstützt, auszubreiten strebte, entschlossen abzuwehren. Mächtig drängt der Slawe vom flache» Osten her die Flußthäler hinauf und hat sich bereits ansehnlicher Erfolge zu rühmen. Ortschaften wie Kaplitz, Kruman, Prachatitz, Winterberg und Bergreichenstein sind mehr oder minder mit Überflutung dnrch das slawische Element bedroht, das sich in ihnen bereits Bürgerrechte erworben hat und sich anschickt, das Regi¬ ment an sich zu reißen. Der deutsche Böhmerwaldbnnd, der sich zur Förderung der wirtschaftlichen und nationalen Interessen dieser Landstriche gebildet hat, sieht eine schwierige Aufgabe vor sich, zumal da sich ihm ein tschechischer gegen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/517>, abgerufen am 27.09.2024.