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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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allerdings heikler, aber nicht zu umgehender Punkt ins Auge gefaßt werde".
Es ist dies die Thatsache, daß die Lehrstühle an den juristischen Universitäten
zu einem nicht unbeträchtlichen Teile mit Männern besetzt sind, die als Gelehrte
vielleicht trefflich, als Dozenten aber geradezu ungeeignet sind; eine notwendige
Folge davon, daß -- wenn auch vielleicht neuerdings weniger -- so doch jeden¬
falls früher bei Berufung zu den akademischen Würde" der Schwerpunkt mehr
ans die Gelehrsamkeit, als auf die pädagogische Befähigung gelegt wurde.

Es verbietet sich von selbst, lebende Beispiele zum Beleg anzuführen, und
auch als luorwiL nit nisi dero. Wer aber etwa vor einem Jahrzehnt auf einer
großem süddeutschen Hochschule studirt hat, erinnert sich gewiß als eines
schlagenden Beispiels für unsre Behauptung eines der dortigen Kriminalisten,
eines hochbedeutenden Gelehrten und hervorragenden Förderers der Wissenschaft,
dessen Kollegien mit anzuhören infolge der Art seines Bortrages wahrhaft qual¬
voll war. sodnß selbst der fesselnde Inhalt seine Anziehungskraft verlor, nicht
bloß für die große Menge, die unterdessen den reich mit Witzen gewürzten
Vorträgen seines Kollegen lauschte, sondern auch für solche, die in ihm den
wissenschaftliche" Forscher hoch verehrten.

Aber auch über andre und gerade manche der hervorragendsten Vertreter
der Rechtswissenschaft hat der Schreiber dieser Zeilen von Seiten, denen wissen¬
schaftlicher Sinn und ernstes Streben nicht abzusprechen war, Klagen, die sich
in derselben Richtung bewegten, häufig laut werden hören.

Zu diefem Mangel in der persönlichen Befähigung zum Dozenten über¬
haupt tritt nun, die nachteiligen Folgen desselben verstärkend, die Eigenart der
jetzt noch allgemein auf unsern Hochschulen herrschenden juristischen Lehrmethode.
Einmal wird der ohnehin schon so überaus spröde Stoff durch eine häusig
alles Maß übersteigende abstrakte Behandlung -- namentlich für den jungeu
Anfänger -- geradezu unfaßlich gemacht, und dadurch die Luft und Liebe, die
er für seine Wissenschaft mitgebracht hat, anstatt gehoben, vielmehr gefährdet.
Und während so diesem Scheinbilde der Wissenschaftlichkeit nachgejagt wird,
artet auf der audern Seite der Vortrag in den größern Nechtsdisziplinen
großenteils in eine ganz ungehörige Konkurrenz mit den vorhandenen Lehr¬
büchern ans -- und gäbe es die besten und geeignetsten, Der letztere Punkt
betrifft eine Ausstellung, die auch Lißt gegen die Lehrmethode einiger seiner
Kollegen macht. Nur klingt sein Vorwmf sehr matt, als beträfe er einen Punkt
von untergeordneter Bedeutung. Und doch verdiente derselbe die ernsthafteste
Prüfung bei Erörterung der Frage, worauf der Unfleiß der Studirenden im
Besuch der juristischen Kollegien zurückzuführen ist.

Daß diese Untugend nicht so außer allem Zusammenhange mit der Ge¬
staltung der Lehrmethode in den juristischen Vorlesungen steht, darauf hätte
Lißt eigentlich der von ihm selbst betonte, allerdings aber auf seine Gründe
nicht untersuchte Umstand hinführen müssen, daß, entgegen den ungünstigen


allerdings heikler, aber nicht zu umgehender Punkt ins Auge gefaßt werde».
Es ist dies die Thatsache, daß die Lehrstühle an den juristischen Universitäten
zu einem nicht unbeträchtlichen Teile mit Männern besetzt sind, die als Gelehrte
vielleicht trefflich, als Dozenten aber geradezu ungeeignet sind; eine notwendige
Folge davon, daß — wenn auch vielleicht neuerdings weniger — so doch jeden¬
falls früher bei Berufung zu den akademischen Würde» der Schwerpunkt mehr
ans die Gelehrsamkeit, als auf die pädagogische Befähigung gelegt wurde.

Es verbietet sich von selbst, lebende Beispiele zum Beleg anzuführen, und
auch als luorwiL nit nisi dero. Wer aber etwa vor einem Jahrzehnt auf einer
großem süddeutschen Hochschule studirt hat, erinnert sich gewiß als eines
schlagenden Beispiels für unsre Behauptung eines der dortigen Kriminalisten,
eines hochbedeutenden Gelehrten und hervorragenden Förderers der Wissenschaft,
dessen Kollegien mit anzuhören infolge der Art seines Bortrages wahrhaft qual¬
voll war. sodnß selbst der fesselnde Inhalt seine Anziehungskraft verlor, nicht
bloß für die große Menge, die unterdessen den reich mit Witzen gewürzten
Vorträgen seines Kollegen lauschte, sondern auch für solche, die in ihm den
wissenschaftliche» Forscher hoch verehrten.

Aber auch über andre und gerade manche der hervorragendsten Vertreter
der Rechtswissenschaft hat der Schreiber dieser Zeilen von Seiten, denen wissen¬
schaftlicher Sinn und ernstes Streben nicht abzusprechen war, Klagen, die sich
in derselben Richtung bewegten, häufig laut werden hören.

Zu diefem Mangel in der persönlichen Befähigung zum Dozenten über¬
haupt tritt nun, die nachteiligen Folgen desselben verstärkend, die Eigenart der
jetzt noch allgemein auf unsern Hochschulen herrschenden juristischen Lehrmethode.
Einmal wird der ohnehin schon so überaus spröde Stoff durch eine häusig
alles Maß übersteigende abstrakte Behandlung — namentlich für den jungeu
Anfänger — geradezu unfaßlich gemacht, und dadurch die Luft und Liebe, die
er für seine Wissenschaft mitgebracht hat, anstatt gehoben, vielmehr gefährdet.
Und während so diesem Scheinbilde der Wissenschaftlichkeit nachgejagt wird,
artet auf der audern Seite der Vortrag in den größern Nechtsdisziplinen
großenteils in eine ganz ungehörige Konkurrenz mit den vorhandenen Lehr¬
büchern ans — und gäbe es die besten und geeignetsten, Der letztere Punkt
betrifft eine Ausstellung, die auch Lißt gegen die Lehrmethode einiger seiner
Kollegen macht. Nur klingt sein Vorwmf sehr matt, als beträfe er einen Punkt
von untergeordneter Bedeutung. Und doch verdiente derselbe die ernsthafteste
Prüfung bei Erörterung der Frage, worauf der Unfleiß der Studirenden im
Besuch der juristischen Kollegien zurückzuführen ist.

Daß diese Untugend nicht so außer allem Zusammenhange mit der Ge¬
staltung der Lehrmethode in den juristischen Vorlesungen steht, darauf hätte
Lißt eigentlich der von ihm selbst betonte, allerdings aber auf seine Gründe
nicht untersuchte Umstand hinführen müssen, daß, entgegen den ungünstigen


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[0468] allerdings heikler, aber nicht zu umgehender Punkt ins Auge gefaßt werde». Es ist dies die Thatsache, daß die Lehrstühle an den juristischen Universitäten zu einem nicht unbeträchtlichen Teile mit Männern besetzt sind, die als Gelehrte vielleicht trefflich, als Dozenten aber geradezu ungeeignet sind; eine notwendige Folge davon, daß — wenn auch vielleicht neuerdings weniger — so doch jeden¬ falls früher bei Berufung zu den akademischen Würde» der Schwerpunkt mehr ans die Gelehrsamkeit, als auf die pädagogische Befähigung gelegt wurde. Es verbietet sich von selbst, lebende Beispiele zum Beleg anzuführen, und auch als luorwiL nit nisi dero. Wer aber etwa vor einem Jahrzehnt auf einer großem süddeutschen Hochschule studirt hat, erinnert sich gewiß als eines schlagenden Beispiels für unsre Behauptung eines der dortigen Kriminalisten, eines hochbedeutenden Gelehrten und hervorragenden Förderers der Wissenschaft, dessen Kollegien mit anzuhören infolge der Art seines Bortrages wahrhaft qual¬ voll war. sodnß selbst der fesselnde Inhalt seine Anziehungskraft verlor, nicht bloß für die große Menge, die unterdessen den reich mit Witzen gewürzten Vorträgen seines Kollegen lauschte, sondern auch für solche, die in ihm den wissenschaftliche» Forscher hoch verehrten. Aber auch über andre und gerade manche der hervorragendsten Vertreter der Rechtswissenschaft hat der Schreiber dieser Zeilen von Seiten, denen wissen¬ schaftlicher Sinn und ernstes Streben nicht abzusprechen war, Klagen, die sich in derselben Richtung bewegten, häufig laut werden hören. Zu diefem Mangel in der persönlichen Befähigung zum Dozenten über¬ haupt tritt nun, die nachteiligen Folgen desselben verstärkend, die Eigenart der jetzt noch allgemein auf unsern Hochschulen herrschenden juristischen Lehrmethode. Einmal wird der ohnehin schon so überaus spröde Stoff durch eine häusig alles Maß übersteigende abstrakte Behandlung — namentlich für den jungeu Anfänger — geradezu unfaßlich gemacht, und dadurch die Luft und Liebe, die er für seine Wissenschaft mitgebracht hat, anstatt gehoben, vielmehr gefährdet. Und während so diesem Scheinbilde der Wissenschaftlichkeit nachgejagt wird, artet auf der audern Seite der Vortrag in den größern Nechtsdisziplinen großenteils in eine ganz ungehörige Konkurrenz mit den vorhandenen Lehr¬ büchern ans — und gäbe es die besten und geeignetsten, Der letztere Punkt betrifft eine Ausstellung, die auch Lißt gegen die Lehrmethode einiger seiner Kollegen macht. Nur klingt sein Vorwmf sehr matt, als beträfe er einen Punkt von untergeordneter Bedeutung. Und doch verdiente derselbe die ernsthafteste Prüfung bei Erörterung der Frage, worauf der Unfleiß der Studirenden im Besuch der juristischen Kollegien zurückzuführen ist. Daß diese Untugend nicht so außer allem Zusammenhange mit der Ge¬ staltung der Lehrmethode in den juristischen Vorlesungen steht, darauf hätte Lißt eigentlich der von ihm selbst betonte, allerdings aber auf seine Gründe nicht untersuchte Umstand hinführen müssen, daß, entgegen den ungünstigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/468>, abgerufen am 20.10.2024.