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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Bewegungen in der katholischen Welt,

solche Danaidenarbeit zu verrichten. Ihre Friedensbestrebungen haben den tiefern
Grund des königlichen Wohlwollens gegen seine Unterthanen.

Man darf auch nicht glauben, daß diese Erscheinungen nur deutsche oder
gar preußische sind; bereits hat der Abgeordnete Windthorst es verstanden, ans
dem Amberger Katholikentage seine baierischen und österreichische" Glaubens¬
genossen zu revolutioniren, und schon beginnen die von ihm ausgestreuten Keime
Früchte zu tragen; in Baiern und Österreich wird bereits die Gründung einer
Zentrumspartei nach dem Muster der preußischen in Aussicht genommen; die¬
selben Vorgänge wiederholen sich in Frankreich, wo als rsuaissanve roMvusö
dieselben Maßregeln angepriesen werden, welche in Preußen der katholischen Partei
zu ihrer Machtstellung verholfen haben. In Lüttich hat bereits ein inter¬
nationaler sozialpolitischer Katholikenkongreß getagt, und auf dem letzten Bres-
lauer Katholikentage hat der Abgeordnete Windthorst uuter Beifall als das
künftige Programm die internationale Bereinigung der Katholiken des Erdkreises
verkündet. Was eine solche für die kirchlichen Autoritäten zu bedeuten hat, das
bedarf nach den Vorspielen innerhalb unsers Vaterlandes keiner Ausführung.
Es ist ein demokratischer Zug, der die heutige katholische Welt ergriffen hat,
und der, wie ini Staate so in der Kirche, darauf abzielt, den Schwerpunkt
des Regiments in die Massen zu verlegen.

Es ist eine eigentümliche Fügung, daß in der Geschichte dieselben Erschei¬
nungen, wenn anch in veränderter Gestalt, nach einem bestimmten Kreislaufe
wiederkehren. Am Ausgange des fünfzehnten und am Anfange des sechzehnten
Jahrhunderts war es, als die Kirche in ihren Spitzen verweltlichte und als diese
Verweltlichung die Spaltung der Kirche zur Folge hatte. Heute zeigen sich die
Anfänge einer solchen Verweltlichung in den breiten Schichten des Laientums.
Damals hat die achtzehnjährige Arbeit des Tridentiner Konzils es vermocht,
die katholische Kirche wieder zu sammeln und zu reformiren. Ob und welche
Mittel heute zu der i'ölorumtio der Glieder angewandt werden, das kann hier
nicht untersucht werden, ebensowenig die Frage erörtert, welche Folgen von einem
Weiterschreiten dieser revolutionirenden Bewegung zu erwarten sind. Denn das
Prophezeien und Vorhersagen ist eine leichte Arbeit für alle diejenigen, welche
an einer solchen Bewegung nicht beteiligt sind und erst an dem Anfange des
Eudes stehen. Aber Sache des Geschichtschreibers und Staatsmannes ist es,
diese Bewegung zu verfolgen, und trügt uns die Beobachtung nicht, so fehlt es
in der mäßigliberalen Presse nicht an Stimmen, welche auf diese Punkte hin¬
weisen. Für diejenigen aber, welche der protestantischen Kirche dieselbe änßere
Unabhängigkeit vom Staate und dieselbe äußere Machtstellung erringen wollen,
die ihnen an der katholischen Kirche Bewunderung einflößt und zur Nachahmung
anregt, wird die Beobachtung dieser Evolutionen im Katholizismus nicht ohne
Warnung sein können. Nicht bloß die Gegensätze berühren sich, sondern auch
die Wirkungen entsprechen nicht immer den ersten. Ursachen, und die Mittel,


Grenzboten IV. 1836. 88
Bewegungen in der katholischen Welt,

solche Danaidenarbeit zu verrichten. Ihre Friedensbestrebungen haben den tiefern
Grund des königlichen Wohlwollens gegen seine Unterthanen.

Man darf auch nicht glauben, daß diese Erscheinungen nur deutsche oder
gar preußische sind; bereits hat der Abgeordnete Windthorst es verstanden, ans
dem Amberger Katholikentage seine baierischen und österreichische» Glaubens¬
genossen zu revolutioniren, und schon beginnen die von ihm ausgestreuten Keime
Früchte zu tragen; in Baiern und Österreich wird bereits die Gründung einer
Zentrumspartei nach dem Muster der preußischen in Aussicht genommen; die¬
selben Vorgänge wiederholen sich in Frankreich, wo als rsuaissanve roMvusö
dieselben Maßregeln angepriesen werden, welche in Preußen der katholischen Partei
zu ihrer Machtstellung verholfen haben. In Lüttich hat bereits ein inter¬
nationaler sozialpolitischer Katholikenkongreß getagt, und auf dem letzten Bres-
lauer Katholikentage hat der Abgeordnete Windthorst uuter Beifall als das
künftige Programm die internationale Bereinigung der Katholiken des Erdkreises
verkündet. Was eine solche für die kirchlichen Autoritäten zu bedeuten hat, das
bedarf nach den Vorspielen innerhalb unsers Vaterlandes keiner Ausführung.
Es ist ein demokratischer Zug, der die heutige katholische Welt ergriffen hat,
und der, wie ini Staate so in der Kirche, darauf abzielt, den Schwerpunkt
des Regiments in die Massen zu verlegen.

Es ist eine eigentümliche Fügung, daß in der Geschichte dieselben Erschei¬
nungen, wenn anch in veränderter Gestalt, nach einem bestimmten Kreislaufe
wiederkehren. Am Ausgange des fünfzehnten und am Anfange des sechzehnten
Jahrhunderts war es, als die Kirche in ihren Spitzen verweltlichte und als diese
Verweltlichung die Spaltung der Kirche zur Folge hatte. Heute zeigen sich die
Anfänge einer solchen Verweltlichung in den breiten Schichten des Laientums.
Damals hat die achtzehnjährige Arbeit des Tridentiner Konzils es vermocht,
die katholische Kirche wieder zu sammeln und zu reformiren. Ob und welche
Mittel heute zu der i'ölorumtio der Glieder angewandt werden, das kann hier
nicht untersucht werden, ebensowenig die Frage erörtert, welche Folgen von einem
Weiterschreiten dieser revolutionirenden Bewegung zu erwarten sind. Denn das
Prophezeien und Vorhersagen ist eine leichte Arbeit für alle diejenigen, welche
an einer solchen Bewegung nicht beteiligt sind und erst an dem Anfange des
Eudes stehen. Aber Sache des Geschichtschreibers und Staatsmannes ist es,
diese Bewegung zu verfolgen, und trügt uns die Beobachtung nicht, so fehlt es
in der mäßigliberalen Presse nicht an Stimmen, welche auf diese Punkte hin¬
weisen. Für diejenigen aber, welche der protestantischen Kirche dieselbe änßere
Unabhängigkeit vom Staate und dieselbe äußere Machtstellung erringen wollen,
die ihnen an der katholischen Kirche Bewunderung einflößt und zur Nachahmung
anregt, wird die Beobachtung dieser Evolutionen im Katholizismus nicht ohne
Warnung sein können. Nicht bloß die Gegensätze berühren sich, sondern auch
die Wirkungen entsprechen nicht immer den ersten. Ursachen, und die Mittel,


Grenzboten IV. 1836. 88
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[0465] Bewegungen in der katholischen Welt, solche Danaidenarbeit zu verrichten. Ihre Friedensbestrebungen haben den tiefern Grund des königlichen Wohlwollens gegen seine Unterthanen. Man darf auch nicht glauben, daß diese Erscheinungen nur deutsche oder gar preußische sind; bereits hat der Abgeordnete Windthorst es verstanden, ans dem Amberger Katholikentage seine baierischen und österreichische» Glaubens¬ genossen zu revolutioniren, und schon beginnen die von ihm ausgestreuten Keime Früchte zu tragen; in Baiern und Österreich wird bereits die Gründung einer Zentrumspartei nach dem Muster der preußischen in Aussicht genommen; die¬ selben Vorgänge wiederholen sich in Frankreich, wo als rsuaissanve roMvusö dieselben Maßregeln angepriesen werden, welche in Preußen der katholischen Partei zu ihrer Machtstellung verholfen haben. In Lüttich hat bereits ein inter¬ nationaler sozialpolitischer Katholikenkongreß getagt, und auf dem letzten Bres- lauer Katholikentage hat der Abgeordnete Windthorst uuter Beifall als das künftige Programm die internationale Bereinigung der Katholiken des Erdkreises verkündet. Was eine solche für die kirchlichen Autoritäten zu bedeuten hat, das bedarf nach den Vorspielen innerhalb unsers Vaterlandes keiner Ausführung. Es ist ein demokratischer Zug, der die heutige katholische Welt ergriffen hat, und der, wie ini Staate so in der Kirche, darauf abzielt, den Schwerpunkt des Regiments in die Massen zu verlegen. Es ist eine eigentümliche Fügung, daß in der Geschichte dieselben Erschei¬ nungen, wenn anch in veränderter Gestalt, nach einem bestimmten Kreislaufe wiederkehren. Am Ausgange des fünfzehnten und am Anfange des sechzehnten Jahrhunderts war es, als die Kirche in ihren Spitzen verweltlichte und als diese Verweltlichung die Spaltung der Kirche zur Folge hatte. Heute zeigen sich die Anfänge einer solchen Verweltlichung in den breiten Schichten des Laientums. Damals hat die achtzehnjährige Arbeit des Tridentiner Konzils es vermocht, die katholische Kirche wieder zu sammeln und zu reformiren. Ob und welche Mittel heute zu der i'ölorumtio der Glieder angewandt werden, das kann hier nicht untersucht werden, ebensowenig die Frage erörtert, welche Folgen von einem Weiterschreiten dieser revolutionirenden Bewegung zu erwarten sind. Denn das Prophezeien und Vorhersagen ist eine leichte Arbeit für alle diejenigen, welche an einer solchen Bewegung nicht beteiligt sind und erst an dem Anfange des Eudes stehen. Aber Sache des Geschichtschreibers und Staatsmannes ist es, diese Bewegung zu verfolgen, und trügt uns die Beobachtung nicht, so fehlt es in der mäßigliberalen Presse nicht an Stimmen, welche auf diese Punkte hin¬ weisen. Für diejenigen aber, welche der protestantischen Kirche dieselbe änßere Unabhängigkeit vom Staate und dieselbe äußere Machtstellung erringen wollen, die ihnen an der katholischen Kirche Bewunderung einflößt und zur Nachahmung anregt, wird die Beobachtung dieser Evolutionen im Katholizismus nicht ohne Warnung sein können. Nicht bloß die Gegensätze berühren sich, sondern auch die Wirkungen entsprechen nicht immer den ersten. Ursachen, und die Mittel, Grenzboten IV. 1836. 88

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/465>, abgerufen am 28.01.2025.