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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Bewegungen in der katholischen Welt.

es schwer fällt, die einen von den andern zu trennen und zu unterscheiden. Wer
unbefangen die Parlamentsgeschichte der letzten fünfzehn Jahre betrachtet, wird
sich oft vergeblich fragen, worauf die grundsätzliche Opposition der Zentrums-
partei gegen die Negierung in Dingen, welche mit der Kirche nicht den geringsten
Zusammenhang haben, in ihrem letzten Ursprung beruht. Man wird immer
wieder zu der Überzeugung gebracht, daß die politische Gesinnung des welsisch
gesinnten Führers allein den Ausschlag gab, und daß die Interessen der Kirche
nur den Vorwand darstellten, um völlig fremde Ziele zu verfolgen und zu
erreichen. So mächtig ist diese weltliche Parteileitung bereits geworden, daß
die höchste Autorität in der gesamten Kirche und in der einzelnen Diözese mit
ihr rechnen muß und in ihren Entscheidungen garnicht mehr die volle Freiheit
besitzt. Der absolute Herrscher der katholischen Kirche, welcher dogmatisch als
Lehrer sogar unfehlbar ist, sieht sich Beschränkungen eines Kryptoparlaments
ausgesetzt, denen nicht einmal in einem Verfassungsstaate der konstitutionelle
Monarch begegnet. Die Vorgänge gerade der letzten Zeit sind reich an Belegen
für die Nichtigkeit dieses Satzes.

Auf dem Stuhle Petri sitzt zur Zeit ein ebenso staatsmännisch wie
philosophisch gebildeter, friedliebender, von Idealen erfüllter Mann. Er weiß
es wohl zu schätzen, wie sehr der gerade in der unmittelbarste" Nähe von
stürmischen Wogen nmbrauste Fels der Kirche in dem mächtigen deutschen Reiche
einen moralischen Schutz besitzt, welcher höher zu achten ist als die frühern
Bataillone der päpstlichen Zuaven. Denn überall zeigen sich als Auswüchse der
Demokratie anarchische Bewegungen, die in den einzelnen romanischen Staaten
bereits ihren Einfluß auf die Regierungen üben. Der Anarchismus geht aber
der Kirche mit umso größerer Schärfe zu Leibe, als der Haß gegen das Priestertum
von der Demokratie noch mehr genährt wurde als der gegen den Staat. In keinem
Lande der Welt steht eine so mächtige Autorität dem Anarchismus entgegen wie
in Deutschland; der ^oolior as drouvö des an die Spitze Deutschlands berufenen
preußischen Königtums vermag dem Felsen der Kirche einen gewaltigen Schutz
zu verleihen, nicht mehr einen Schutz, wie er vor der Revolution in der Wechsel¬
wirkung unmittelbarer Beziehungen zwischen Thron und Altar bestanden hat,
sondern mittelbar durch das Vorhandensein einer Autorität, die schon als solche
für jede andre eintritt lind mit ihr solidarisch wird. Das hauptsächlichste Ziel
des weisen und friedliebenden Papstes Leo XIII. ist darauf gerichtet, mit dem
deutschen Reiche zu einer Verständigung zu gelangen. Er war lange genng
als Diplomat in der Welt gewesen, um zu wissen, daß diese Verständigung nicht
in einer Unterwerfung der preußischen Regierung unter die Forderungen des
Zentrums bestehen kann. Er weiß nicht bloß aus seinen Studien, sondern auch
aus seinen in Belgien gesammelten Erfahrungen, daß jeder Staatsmann zu
palliren hat, daß das Staatsleben sich aus Kompromissen zusammensetzt. So
übermächtig aber ist bereits das politische Laienclemcnt in dem Katholizismus ge-


Bewegungen in der katholischen Welt.

es schwer fällt, die einen von den andern zu trennen und zu unterscheiden. Wer
unbefangen die Parlamentsgeschichte der letzten fünfzehn Jahre betrachtet, wird
sich oft vergeblich fragen, worauf die grundsätzliche Opposition der Zentrums-
partei gegen die Negierung in Dingen, welche mit der Kirche nicht den geringsten
Zusammenhang haben, in ihrem letzten Ursprung beruht. Man wird immer
wieder zu der Überzeugung gebracht, daß die politische Gesinnung des welsisch
gesinnten Führers allein den Ausschlag gab, und daß die Interessen der Kirche
nur den Vorwand darstellten, um völlig fremde Ziele zu verfolgen und zu
erreichen. So mächtig ist diese weltliche Parteileitung bereits geworden, daß
die höchste Autorität in der gesamten Kirche und in der einzelnen Diözese mit
ihr rechnen muß und in ihren Entscheidungen garnicht mehr die volle Freiheit
besitzt. Der absolute Herrscher der katholischen Kirche, welcher dogmatisch als
Lehrer sogar unfehlbar ist, sieht sich Beschränkungen eines Kryptoparlaments
ausgesetzt, denen nicht einmal in einem Verfassungsstaate der konstitutionelle
Monarch begegnet. Die Vorgänge gerade der letzten Zeit sind reich an Belegen
für die Nichtigkeit dieses Satzes.

Auf dem Stuhle Petri sitzt zur Zeit ein ebenso staatsmännisch wie
philosophisch gebildeter, friedliebender, von Idealen erfüllter Mann. Er weiß
es wohl zu schätzen, wie sehr der gerade in der unmittelbarste» Nähe von
stürmischen Wogen nmbrauste Fels der Kirche in dem mächtigen deutschen Reiche
einen moralischen Schutz besitzt, welcher höher zu achten ist als die frühern
Bataillone der päpstlichen Zuaven. Denn überall zeigen sich als Auswüchse der
Demokratie anarchische Bewegungen, die in den einzelnen romanischen Staaten
bereits ihren Einfluß auf die Regierungen üben. Der Anarchismus geht aber
der Kirche mit umso größerer Schärfe zu Leibe, als der Haß gegen das Priestertum
von der Demokratie noch mehr genährt wurde als der gegen den Staat. In keinem
Lande der Welt steht eine so mächtige Autorität dem Anarchismus entgegen wie
in Deutschland; der ^oolior as drouvö des an die Spitze Deutschlands berufenen
preußischen Königtums vermag dem Felsen der Kirche einen gewaltigen Schutz
zu verleihen, nicht mehr einen Schutz, wie er vor der Revolution in der Wechsel¬
wirkung unmittelbarer Beziehungen zwischen Thron und Altar bestanden hat,
sondern mittelbar durch das Vorhandensein einer Autorität, die schon als solche
für jede andre eintritt lind mit ihr solidarisch wird. Das hauptsächlichste Ziel
des weisen und friedliebenden Papstes Leo XIII. ist darauf gerichtet, mit dem
deutschen Reiche zu einer Verständigung zu gelangen. Er war lange genng
als Diplomat in der Welt gewesen, um zu wissen, daß diese Verständigung nicht
in einer Unterwerfung der preußischen Regierung unter die Forderungen des
Zentrums bestehen kann. Er weiß nicht bloß aus seinen Studien, sondern auch
aus seinen in Belgien gesammelten Erfahrungen, daß jeder Staatsmann zu
palliren hat, daß das Staatsleben sich aus Kompromissen zusammensetzt. So
übermächtig aber ist bereits das politische Laienclemcnt in dem Katholizismus ge-


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[0463] Bewegungen in der katholischen Welt. es schwer fällt, die einen von den andern zu trennen und zu unterscheiden. Wer unbefangen die Parlamentsgeschichte der letzten fünfzehn Jahre betrachtet, wird sich oft vergeblich fragen, worauf die grundsätzliche Opposition der Zentrums- partei gegen die Negierung in Dingen, welche mit der Kirche nicht den geringsten Zusammenhang haben, in ihrem letzten Ursprung beruht. Man wird immer wieder zu der Überzeugung gebracht, daß die politische Gesinnung des welsisch gesinnten Führers allein den Ausschlag gab, und daß die Interessen der Kirche nur den Vorwand darstellten, um völlig fremde Ziele zu verfolgen und zu erreichen. So mächtig ist diese weltliche Parteileitung bereits geworden, daß die höchste Autorität in der gesamten Kirche und in der einzelnen Diözese mit ihr rechnen muß und in ihren Entscheidungen garnicht mehr die volle Freiheit besitzt. Der absolute Herrscher der katholischen Kirche, welcher dogmatisch als Lehrer sogar unfehlbar ist, sieht sich Beschränkungen eines Kryptoparlaments ausgesetzt, denen nicht einmal in einem Verfassungsstaate der konstitutionelle Monarch begegnet. Die Vorgänge gerade der letzten Zeit sind reich an Belegen für die Nichtigkeit dieses Satzes. Auf dem Stuhle Petri sitzt zur Zeit ein ebenso staatsmännisch wie philosophisch gebildeter, friedliebender, von Idealen erfüllter Mann. Er weiß es wohl zu schätzen, wie sehr der gerade in der unmittelbarste» Nähe von stürmischen Wogen nmbrauste Fels der Kirche in dem mächtigen deutschen Reiche einen moralischen Schutz besitzt, welcher höher zu achten ist als die frühern Bataillone der päpstlichen Zuaven. Denn überall zeigen sich als Auswüchse der Demokratie anarchische Bewegungen, die in den einzelnen romanischen Staaten bereits ihren Einfluß auf die Regierungen üben. Der Anarchismus geht aber der Kirche mit umso größerer Schärfe zu Leibe, als der Haß gegen das Priestertum von der Demokratie noch mehr genährt wurde als der gegen den Staat. In keinem Lande der Welt steht eine so mächtige Autorität dem Anarchismus entgegen wie in Deutschland; der ^oolior as drouvö des an die Spitze Deutschlands berufenen preußischen Königtums vermag dem Felsen der Kirche einen gewaltigen Schutz zu verleihen, nicht mehr einen Schutz, wie er vor der Revolution in der Wechsel¬ wirkung unmittelbarer Beziehungen zwischen Thron und Altar bestanden hat, sondern mittelbar durch das Vorhandensein einer Autorität, die schon als solche für jede andre eintritt lind mit ihr solidarisch wird. Das hauptsächlichste Ziel des weisen und friedliebenden Papstes Leo XIII. ist darauf gerichtet, mit dem deutschen Reiche zu einer Verständigung zu gelangen. Er war lange genng als Diplomat in der Welt gewesen, um zu wissen, daß diese Verständigung nicht in einer Unterwerfung der preußischen Regierung unter die Forderungen des Zentrums bestehen kann. Er weiß nicht bloß aus seinen Studien, sondern auch aus seinen in Belgien gesammelten Erfahrungen, daß jeder Staatsmann zu palliren hat, daß das Staatsleben sich aus Kompromissen zusammensetzt. So übermächtig aber ist bereits das politische Laienclemcnt in dem Katholizismus ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/463>, abgerufen am 20.10.2024.